3 Jahre Straflager für Verletzung religiöser und politischer «Gefühle»

publiziert: Freitag, 10. Aug 2012 / 11:20 Uhr / aktualisiert: Sonntag, 12. Aug 2012 / 11:42 Uhr
Punkband «Pussy Riot»: Angeklagt für Pseudo-Vergehen
Punkband «Pussy Riot»: Angeklagt für Pseudo-Vergehen

In Russland droht drei Frauen der Punkrockband «Pussy Riot» eine Verurteilung. In Indien wird der Bürgerrechtler und Rationalist Sanal Edamaruku verfolgt, weil er ein katholisches «Wunder» enttarnt hat, weltweit werden Freidenker und Religionskritiker mit dem Tod bedroht, teilweise auch tatsächlich getötet. Derweil fordern in Westeuropa Kirchenfunktionäre und Feuilletonkatholiken eine strengere Gangart beim Pseudovergehen der Blasphemie.

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Drei junge Frauen der Band «Pussy Riot» stimmten in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale im Februar 2012 ein gegenüber Putin und der russisch-orthodoxen Kirche kritisches (je nach Sichtweise auch: beleidigendes) Protestlied an. Was man so über die russisch-orthodoxe Kirche liest, lässt übrigens fast jede mögliche und erdenkliche Beleidigung gerechtfertigt erscheinen. Die drei Frauen wurden dann wegen «grober Verletzung der öffentlichen Ordnung» verhaftet und angeklagt. Patriarch Kyrill sprach von Blasphemie und einem Angriff auf Kirche, nationale Identität und Staat insgesamt. In die Diskussion haben sich dann viele Stimmen eingeschaltet. Es werden drei Jahre Straflager beantragt, sehr wahrscheinlich erscheint eine Verurteilung angesichts des internationalen Protests jedoch mittlerweile nicht mehr. Trotzdem sitzen die Frauen immer noch in Untersuchungshaft.

Auch in Indien verursachte ein Ketzer hohe Wellen. Der Rationalist Sanal Edamaruku enttarnte ein angebliches Wunder in der Basilika unserer guten Dame von Velankanni. Der Tempel im Süden Indiens ist so etwas wie das «Lourdes des Ostens», hier sollen regelmässige Marienerscheinungen stattfinden und vom Fuss einer Kruzifixstatue tropft vermeintlich heiliges Wasser. Edamaruku hat nun nachgewiesen, dass es sich dabei um simples Abwasser handelt. Dies brachte die römisch-katholischen Gläubigen in Rage, denn wer so leichtgläubig ist, der hat es halt schwer mit Wissen und Fakten. Er wurde dann später wegen Blasphemie angeklagt und ein Haftbefehl wurde ausgestellt. Er hatte zusätzlich noch geäussert, dass die Kirche solche angebliche Wunder vermarkte und sie zu ihrem Vorteil nutze. Eine Aussage, die nicht ganz unplausibel ist, verkauft doch beispielsweise ein Priester abgefülltes «heiliges Wasser» und führen diese vorgeblichen Wunder zu einem hohen Besucher- und wohl auch Spendenaufkommen.

Die katholische Kirche in Indien wurde vergeblich dazu aufgefordert, zu erwirken, dass die Anklage wegen Blasphemie fallengelassen wird. In Pakistan hingegen gehört die katholische Kirche übrigens mit zu den lautesten Kritikern der Blasphemiegesetzgebung. Denn dort sind die christlichen Glaubensäusserungen sozusagen unmittelbar Ketzerei gegen den Islam. Man sieht: Wenn es nützt...

Manch einer und manch eine wird versucht sein, diese Beispiele als Auswüchse in rückständigen oder autoritären Staaten zu bezeichnen. Aber auch in Westeuropa tat sich etwas in der Blasphemie-Diskussion.

Martin Mosebach (immerhin Büchner-Preisträger) fordert eine härtere Bestrafung bei Ketzerei und begrüsst Morddrohungen gegen Autorenkollegen, falls sie über Gott spotten. Seltsam, dass sich gerade ein Schriftsteller mit solchen Ideen hervortut. Der «Philosoph» Robert Spaemann plädierte dann auch dafür, dass der Staat seinen Gott und auch andere Götter vor Beleidigung zu schützen habe, die bestehenden Blasphemiegesetze also rigoroser angewendet werden. Er hat da übrigens ganz konkrete Vorstellungen: «Und was die Höhe [der Bestrafung] betrifft, so müsste sie etwa das Doppelte dessen betragen, was auf Beleidigung von Menschen steht, nicht mehr, aber auch nicht weniger.» Da fragt sich mancher normale Sterbliche natürlich, welche Deliberationen oder Eingebungen Herrn Spaemann zu diesem Faktor haben kommen lassen. Wieso nicht anderthalb mal soviel? Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Weshalb nicht die dreifache Strafe? Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich frage mich aber eigentlich nur, ob er nicht einfach mal wieder vergessen hat, seine Medikamente einzunehmen. Und immer, wenn man denkt, dümmer geht's nicht mehr, kommt von irgendwo ein Bischof her. Der Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick sieht die Menschenrechte (lies: «religiöse Gefühle») verletzt, wenn über Gott und religiöse Überzeugungen gespöttelt und gelächelt wird. Dass man Überzeugungen und Gefühlen keinen Gratisrespekt zollen muss, scheint ihm ein fremdes Konzept. Er fordert schärfere Blasphemiegesetze. Glücklicherweise haben ihm und seiner Forderung bereits viele Politiker unmissverständlich die kalte Schulter gezeigt.

Keine Überzeugung sollte in einer liberalen Demokratie sakrosankt sein, insbesondere nicht Überzeugungen bezüglich des Sakrosankten. Die Überzeugung beispielsweise, dass Homöopathie wirke, darf und soll verspottet werden. Und dieser Spott ist nicht - zumindest ausserhalb von Grossbritannien - von Strafverfolgung bedroht. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass man Lächerliches auch als lächerlich bezeichnen darf. Und falls man dies auch laut und deutlich sagt, soll das ebenfalls erlaubt sein. Grenzen sind ja bereits gesetzt, wo es um die Verletzung der Personen selbst geht, welche diese Überzeugungen tragen. Die Überzeugungen selber dürfen nicht generell geschützt und von Kritik ausgenommen sein. Wer seine Ideen keiner Kritik ausgesetzt sehen will, dem bleibt in einer offenen Gesellschaft wohl nichts anderes übrig, als sie ganz für sich zu behalten, sie niemals auf den Marktplatz der Ideen zu tragen. Viele Religiöse beherrschen dieses Spielchen (daher: der gespielten,) der beleidigten Gefühlsleberwurst recht gut. Sie müssen sich ein dickeres Fell zulegen oder nicht mehr mitspielen im öffentlichen Diskurs. Jegliche andere Lösung dieses Problems ist in einer offenen Gesellschaft nicht praktizierbar.

Ich bin der Meinung, dass sich Homosexuelle durchaus gerechtfertigt in ihren Gefühlen verletzt sahen, als die Junge SVP Wallis in einer Schmähschrift Homosexualität als «abnormales Verhalten» bezeichnete und noch andere Nettigkeiten hinzufügte. Homosexuelle durften und dürfen sich mit Fug durch solche Aussagen herabgesetzt fühlen. Das Bundesgericht entschied 2010 jedoch, dass keine Ehrverletzung vorliege, weil keine genau bestimmte und kleine Personengruppe bezeichnet war und die Antirassismusstrafnorm keine Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung anspreche. Die Junge SVP feierte diese Entscheidung dann als Sieg der Meinungsäusserungsfreiheit. Ich persönlich bin im Grundsatz auch dafür, dass Bigotte und Spiesser durchaus frei darin sein sollen, durch die Äusserung ihrer ehrlichen Meinung sich als bigott und spiessig zu zeigen. Solange aber Homosexuelle von religiösen oder konservativen Kreise regelmässig geringschätzende Äusserungen hinzunehmen haben, wäre es ein Unding, einen imaginierten Gott schützen zu wollen.

Ketzerei bleibt ein Vergehen ohne echtes Opfer. Wenn ich behaupte, der Weihnachtsmann existiere nicht, fühlt sich dieser nicht beleidigt. Unter einer Bedingung wäre ich allerdings FÜR eine Blasphemiegesetzgebung zu gewinnen. Wenn nämlich die beleidigte Göttin, der beleidigte Gott oder die beleidigten Gottheiten selber Strafanzeige gegen den Ketzer erheben müssten. Oder einem Rechtsanwalt eine beglaubigte, schriftliche Vollmacht dazu erteilen würden. Dass eine Göttin einem Anwalt oder Kirchenfunktionär jedoch in einem Traum oder einer anderen Erscheinung diesen Auftrag erteilt, soll nicht ausreichend sein.

(Valentin Abgottspon/news.ch)

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