Absurde Tränen der Reue

publiziert: Freitag, 25. Mai 2007 / 11:18 Uhr / aktualisiert: Freitag, 25. Mai 2007 / 11:45 Uhr

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Für Kenner des Radsports sind die Inhalte der gestrigen Geständnisse von Erik Zabel und Rolf Aldag keine Überraschung. Viel eher, dass diese Leute so lange mit ihrem Doping-Geständnis hinter dem Berg gehalten haben. Doch auch diese Reumütigen, die unter Tränen ihre zum Teil mehr als zehn Jahre zurückliegenden Verfehlungen gestanden, können im Moment nicht mehr viel daran ändern, dass das Image des Radsportes nachhaltig am Boden ist.

Die Fragen, die sich die Öffentlichkeit stellt sind dabei Zweierlei: Warum nur im Radsport und warum so viele dieser Sportler?

Natürlich dopt nicht nur der Radsport. Bei der berühmten «Operation Puerto» um den spanischen Dopingarzt Eufemanio Fuentes wurden diverse Blutkonserven von Spitzenfahrern wie Jan Ullrich, Ivan Basso, Roberto Heras, Tyler Hamilton und Joseba Beloki und diversen anderer Radsportlern in der Madrider Wohnung des ehemaligen Gynäkologen gefunden. Doch, was fast untergegangen ist: auch das Blut von Fussballern und Tennisspielern befand sich bei Fuentes. Warum die Namen dieser Sportler noch nicht veröffentlicht wurden, ist rätselhaft, aber scheinbar geht es dort um mehr Geld und Prestige.

Doch die Frage nach der Übervertretung des Radsports im Doping bleibt. Sind die Fahrer denn so dumm, dass sie die Risiken nicht sehen, die sie eingehen? Kapieren sie denn nicht, dass es unfair UND gefährlich ist?

Als der Autor einen ehemaligen Rad-Amateur auf das Risikobewusstsein von Radrennfahrern ansprach, lächelte ihn dieser mitleidig an. Wer, nur eine Handbreit vom nächsten Fahrer entfernt mit über 60 km/h in einem Feld mit Dutzenden anderen Athleten um den Sieg sprintet, wer, auf Reifen, die schmal wie eine Briefmarke sind, Alpenpässe mit über 100 km/h hinunterstürzt, wer Dutzende Kilometer auf nassen Pflastersteinstrassen um den Sieg bei Paris-Roubaix kämpft und jederzeit einen sehr schmerzhaften, gefährlichen Sturz riskiert, zeigt schon allein mit der Auswahl des Sportes, dass sein Risikobewusstsein nicht ausgeprägt sein kann.

Der Fairness-Gedanke fliegt spätestens dann aus dem Fenster, wenn im ganzen Umfeld bereits alles medizinisch Mögliche gemacht wird, um die Qualen zu mindern. Denn seien wir ehrlich: es gibt fast keine härtere Sportart. Schon bei den Zuschauererwartungen stehen ganz bestimmte Dinge auf der Wunschliste: Übermenschliche Leistungen, dramatische Einbrüche und das Leiden, Leiden, Leiden.

Die Organisatoren sorgen denn auch genau dafür. Oder kennen sie eine andere Sportart, in der Saisonhöhepunkte Übernamen wie «Tour des Leidens» und «Hölle des Nordens» bekommen haben und grosse Enttäuschung herrscht, wenn nicht mindestens zwei, drei Etappen einer grossen Rundfahrt jenseits des menschlich Machbaren zu liegen scheinen? Umso besser, wenn diese Etappen an brütend heissen Tagen statt finden, an denen selbst trainierten Hobbysportlern geraten wird, zu Hause zu bleiben.

Neben der Gefährlichkeit der Rennen und dem Sadismus von Veranstaltern und Publikum kommt noch ein weiterer, das Doping begünstigender Faktor dazu. Die meisten der Fahrer kamen traditionell aus bescheidenen Verhältnissen, lange Zeit war das Rad ein Sportgerät der Unterschicht und selbst heute verdienen Helfer nur bescheidene Gehälter für gigantische Anstrengungen. Der Reiz, dem sozialen Aufstieg mit Medizin ein wenig unter die Arme zu greifen, war entsprechend gross. Daraus bildete sich geradezu eine Tradition, die in der Folge nur schwer zu brechen ist.

All dies ist keine Entschuldigung für den begangenen Betrug, der vor allem jene benachteiligte, die den Sport sauber betreiben wollten. Aber es erklärt, warum dieses System im Radsport so etabliert ist und ein so grosses Beharrungsvermögen hat.

Die öffentlichen Empörung, die nun den Radlern entgegen schlägt, ist hingegen reine Heuchelei. Zum einen werden andere Sportarten, die genau so verseucht scheinen (Skilanglauf, zum Beispiel), geflissentlich ausgeblendet, genau so wie der Umgang mit leistungssteigernden Mittel in der Zivilgesellschaft.

Würden Banker, Manager und Kulturschaffende eben so streng auf verbotene Substanzen getestet wie die Teilnehmer von Giro d'Italia und Tour de France, würden sich die Reihen in vielen Wirtschaftsunternehmen erschreckend schnell lichten. Koks, Amphetamine und Designerdrogen, die mehr Leistungsfähigkeit im Job versprechen, haben einen erschreckenden Durchseuchungsgrad erreicht, wie Analysen von Abwässern in Metropolen ergaben.

In diesem Sinne sind die Tränen von Zabel und Co. eine im grösseren Zusammenhang gesehen fast absurde Reuebekundung für Handlungen, welche in anderen Gesellschafts- und Berufsschichten zur etablierten Selbstverständlichkeit gehören. Profisportler und ihre Handlungen sind eine Reflektion der Gesellschaft. Wenn uns dieses Spiegelbild von Leuten, die alles für den Erfolg machen, nicht gefällt, dann wäre es vielleicht auch an der Zeit, sich selbst an der Nase zu nehmen und nicht nur auf den Spiegel einzuschlagen.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)

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