Angehört: Tocotronic - «Schall und Wahn»

publiziert: Freitag, 22. Jan 2010 / 12:00 Uhr / aktualisiert: Sonntag, 31. Jul 2016 / 16:33 Uhr
Zusammengewachsen im 17. Jahr nach der Gründung: Tocotronic aus Hamburg.
Zusammengewachsen im 17. Jahr nach der Gründung: Tocotronic aus Hamburg.

Der Diskurs-Pop ist nicht tot: Im Gegenteil. Tocotronic veröffentlichen heute im 17. Jahr ihres Bestehens «Schall und Wahn», nach «Pure Vernunft darf niemals siegen» und «Kapitulation» das letzte Album der sogenannten «Berlin-Trilogie». Es ist schon ihr neuntes Studioalbum.

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Tocotronic
Webauftritt der Band aus Hamburg.
tocotronic.de

In zwölf hell und finster leuchtenden Liedern entwerfen Tocotronic eine wahrhaft infernalische Welt, die von Liebe und Verbrechen beherrscht wird, vom Guten wie dem Bösen. Sie erzählen von der Ambivalenz des Schmerzes und von wohlbekannten Lastern wie Neid, Feigheit und Gier.

Aufgenommen wurde «Schall und Wahn», wie schon die beiden Vorgängerwerke, zusammen mit dem Produzenten Moses Schneider in Berlin. Dieser experimentierte unter Zuhilfenahme vieler Mikrophone mit den Möglichkeiten eines erweiterten Raumklangs, was der Platte eine geradezu Cinemascope-hafte Weite verleiht.

Fliessende Streicherarrangements

Live eingespielt, wurden die Songs von den fliessenden Streicherarrangements des Komponisten Thomas Meadowcroft noch zusätzlich ausgedehnt. Und Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Rick McPhail und Arne Zank präsentieren sich als Band geschlossener denn je.

Das Cover zeigt einen schönen, bunten, opulenten Sommerblumenstrauss, kommentarlos, auf der Rückseite zwölf Songtitel wie «Eure Liebe tötet mich» - «Ein leiser Hauch von Terror» - «Die Folter endet nie» - «Das Blut an meinen Händen» - usw. Krasse Gegensätze, man muss acht geben, die «Blumen des Bösen» lauern überall.

8-Minuten-Klotz am Anfang und Ende

Die Platte beginnt mit einem 8-Minuten-Klotz von Song mit dem Titel «Eure Liebe tötet mich». Schwer, melancholisch, abwehrend, verneinend, nachtragend. Eine Spirale hinab in die gefühlsmässigen Tiefen, der man sich aber nicht verschliessen kann. Und genauso endet das Werk, mit acht Minuten «Gift». Schwer verdaulich, aber schön.

Wenn auch das neue Album entschieden weniger gegenwartsdiagnostisch klingt als die Manifest-Platte «Kapitulation», so beschreibt es doch keineswegs eine Flucht ins Private. Schliesslich liegen in den tocotronischen Überschreitungen nur allzu wahre Erkenntnisse über die Verstrickung von Liebe und Macht und den neurotischen Überschuss von Gefühlen. Oder auch über die ganz alltäglichen gesellschaftlichen Anrufungen und inneren Dämonen, denn die Folter endet nie.

Kampf dem Kapitalismus

Die aktuelle Single-Auskopplung heisst «Macht es nicht selbst», eine Absage an den Neoliberalismus, das Individuum. Sänger Dirk von Lowtzow dazu in einem Intervierw mit «Welt online»: «Punk machte aus der Not eine Tugend. Heute ist es neoliberaler Konsens und wird als Imperativ ausgesprochen: Kreative Selbstmobilisierung! Setze dich mit dem Laptop ins Café! Von vielen wird das Vermischen von Privat- und Arbeitssphäre freudig begrüsst. Die Heim- und Netzwerkerei. Je mehr ich aber selber mache, umso mehr Kontrolle gebe ich ab.»

Tocotronic treten mit dieser Platte nicht auf der Stelle, sie haben sich weiterentwickelt, nicht nur beim Sound. Ihr Repertoire ist nun ein breitgefächertes - auch wenn die Verweigerung sich weiterhin durch das Album zieht.

Auf «Im Zweifel für den Zweifel» klingen Tocotronic dann überraschenderweise schon fast wie Reinhard May oder Franz Josef Degenhard: «Im Zweifel für den Zweifel, das Zaudern und den Zorn», singt Dirk von Lowtzow.

Kalauerischer Humor

«Ich bin der Graf von Monte Schizo, und ich singe diesen Hit so», heisst es auf «Gesang des Tyrannen», kalauerischer Humor wechselt mit harten Slogans, das ist neu auf dem Album. «Oft wird alles so wahnsinnig eins zu eins genommen», erklärt Arne Zank in einem Interview. Dabei sehe sich die Band eher «im Reich der Kunst verortet als im Agitprop».

Die «Schall und Wahn 2010»-Tour startet im März. Dann kommen sie auch nach Zürich, und zwar am ab 7. März 2010 in die Rote Fabrik. Karten sollte man sich wegen der grossen Nachfrage schon vorher besorgen. Es lohnt sich.

(Felix Steinbild, Berlin/news.ch)

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