Ariella Kaeslins Abgang in ein neues Leben

publiziert: Montag, 11. Jul 2011 / 14:12 Uhr / aktualisiert: Montag, 11. Jul 2011 / 20:58 Uhr
Ariella Kaeslin gibt den sofortigen Rücktritt bekannt.
Ariella Kaeslin gibt den sofortigen Rücktritt bekannt.

Ariella Kaeslin gibt in Luzern überraschend den Rücktritt bekannt - ein Jahr vor den Olympischen Spielen in London, ihrem letzten grossen Karriereziel.

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Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in London mag Ariella Kaeslin nicht mehr Spitzensportlerin sein. Der Rücktritt überrascht, ist aber nachvollziehbar.
Eigentlich hätte Ariella Kaeslin an diesem Montag nach Magglingen in den normalen Trainingsbetrieb zurückkehren sollen. Zwar reiste die 23-jährige Luzernerin tatsächlich in ihre zweite Heimat. Doch statt zu trainieren informierte Kaeslin die Teamkolleginnen, dass sie ihre glanzvolle Karriere per sofort beende. Wenig später, an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz in Luzern, war dann die Öffentlichkeit an der Reihe. An beiden Schauplätzen flossen Tränen. "Ich bin als Turnerin geboren und werde auch nach meinem Rücktritt Turnerin bleiben", sagte Kaeslin, als sie sich wieder gefasst hatte.

Im Mai, nach den Europameisterschaften in Berlin, hatte sich Kaeslin nach einem Jahrzehnt der permanenten Schinderei in Magglingen zu einem Timeout entschlossen. Die Rückkehr nach Luzern sollte temporär sein, der Körper die Zeit erhalten, sich von den Strapazen zu erholen. Kaeslin hielt sich fit, machte Physiotherapie, Fitnesstraining und ging statt in Magglingen in Littau in die Turnhalle. Doch die dreifache Sportlerin des Jahres merkte, dass ihr Feuer am Erlöschen, sie nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache ist. "Ich hatte erstmals Zeit, meine Karriere etwas aus der Distanz zu betrachten", sagte Kaeslin. "Ich habe eine Karriere wie aus dem Bilderbuch hinter mir und habe meinen Erfolgshunger ein Stück weit stillen können. Jetzt will ich leben wie eine normale junge Lady, neue Sachen entdecken, wieder in die Schule gehen."

An Grenzen gelangt

Vor dem Timeout, das sich ungeplant zur grossen Zäsur ausweitete, hatte Ariella Kaeslin in Berlin unter dem Einsatz ihrer letzten Reserven die Bronzemedaille am Sprung gewonnen. Wochenlang kämpfte sie vor und während der Titelkämpfe mit grippeähnlichen Symptomen, deren genaue Ursache bis heute ungeklärt ist. Schon vor einem Jahr waren Kaeslin von einem Virus die Grenzen aufgezeigt worden. Die Vorzeigeathletin mit dem sturen Kopf und dem unbändigen Willen begann den Preis für die extremen Belastungen zu zahlen. Dass sie nie ernsthaft verletzt war, hatte die negative Konsequenz, dass sich ihr Körper nie richtig regenerieren konnte. Nun hätte aus medizinischer Sicht zwar nichts dagegen gesprochen, die Vorbereitung für die WM in Tokio in Angriff zu nehmen. Doch ob der Körper wirklich mitgemacht hätte, wäre die grosse Frage gewesen.

Nicht einmal die Aussicht auf eine zweite Olympia-Teilnahme konnte Kaeslin davon abbringen, auf ihr Bauchgefühl zu hören und einen Schlussstrich zu ziehen. "Olympische Spiele sind eine riesige Sache, aber eben auch nicht alles." Kaeslin hätte keineswegs einen Freipass gehabt, um in London dabei zu sein. Nur ein Medaillengewinn in Tokio hätte ihr ein Olympia-Ticket garantiert. Im für sie schlechtesten Fall hätte Kaeslin aber auch von einer Teamkollegin um die Teilnahme gebracht werden können. Mit Giulia Steingruber steht die Nachfolgerin nämlich schon bereit. Die erst 17-jährige Ostschweizerin turnte sich in Berlin erstmals ins Rampenlicht. Steingruber gewann am Sprung die Qualifikation und wurde letztlich Sechste, im Mehrkampf klassierte sie sich als Neunte unmittelbar hinter Kaeslin. Dass das Zugpferd und grosse Vorbild jetzt aufhört, beraubt die Schweizer Kunstturnerinnen auch der Chance, sich als Team für London 2012 zu qualifizieren. "Aber was hätte dem Team eine halbe Turnerin gebracht?" fragte Kaeslin rhetorisch.

Ein 5. Platz als Initialzündung

Erst am Sonntag hatte Kaeslin den Entscheid ihrem Trainer Zoltan Jordanov mitgeteilt. Er sei einerseits geschockt gewesen, habe andererseits aber auch Verständnis gezeigt. Unter Jordanov hatte Kaeslin die Früchte für die jahrelange Aufbauarbeit geerntet. Geformt worden war sie zuerst von Susi Stettler und dann in Magglingen von den Trainern des Schweizerischen Turnverbandes. Schlagzeilen produzierten Kaeslin und ihre Kolleginnen, als sie 2007 gegen den langjährigen Nationalcoach Eric Demay und dessen antiquierte Umgangsformen rebellierten. Die Turnerinnen erreichten die Entlassung des Franzosen.

Der leidigen Affäre folgte eine Serie historischer Erfolge, die im Schweizer Turnsport zuvor nur von Männern erreicht worden war. Als Initialzündung wirkte der 5. Platz an den Olympischen Spielen 2008. Im Jahr darauf holte Kaeslin am Paradegerät Sprung den EM-Titel und WM-Silber sowie EM-Bronze im Mehrkampf. In Berlin gewann sie schliesslich ihre vierte und letzte Medaille an einem Grossanlass. "Ich habe 20 Jahre lang meine ganze Leidenschaft ins Turnen investiert. Jetzt freue ich mich extrem auf ein neues Leben", sagte Kaeslin. Wie sie es gestalten wird, wollte Kaeslin noch nicht sagen. Ihr fehlt ein Jahr bis zur Matura, die Rückkehr an ein Gymnasium ist aber nur eine von zahlreichen Optionen. "Zuerst will ich mich einfach nur erholen von der Müdigkeit, die sich über die Jahre aufgestaut hat", sagte Kaeslin sichtlich erleichtert.

 

(fest/Si)

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