Atheistische Pfarrerinnen und ungläubige Priester

publiziert: Donnerstag, 12. Sep 2013 / 14:14 Uhr
Ella de Groot hält Gott für eine Phantasiegestalt, ist aber trotzdem weiterhin reformierte Pfarrerin.
Ella de Groot hält Gott für eine Phantasiegestalt, ist aber trotzdem weiterhin reformierte Pfarrerin.

Es kommt hier und heute immer häufiger vor, dass christliche Geistliche vom naiven Gottes- und Jesusglauben abfallen. Viele bleiben aber trotzdem auf ihren Posten und sind nur insgeheim, verborgen und verkappt Freidenker und Humanisten. Was hindert sie daran, aufrichtig zu sein? Was hindert sie an einem Coming Out?

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Vor einigen Wochen sorgte in der Schweiz und selbst in den Medien des deutschsprachigen Auslandes Pfarrerin Ella de Groot für ein paar Schlagzeilen, Reaktionen und Fragen: Die Pfarrerin glaubt nicht mehr an Gott, bleibt aber auf ihrem Posten. Sie ist mittlerweile eine Atheistin, sagt «es gibt keinen Gott» und «alles, was wir über Gott sagen, ist unsere Fantasie». An ein Leben nach dem Tod glaubt sie nicht. Obschon sie also eine Atheistin ist, mag sie sich jedoch nicht als solche bezeichnen lassen. Aber wichtiger als Fragen der Nomenklatur sind folgende: Wie geht das? Wie kann sie evangelische Pfarrerin sein und bleiben, obwohl sie an keinen Gott und an kein ewiges Leben mehr glaubt?

Es scheint zu gehen. Getauft solle sie sein und sich irgendwie mit der Bibel befassen und im Gemeindeleben wirken. Schon darf man evangelisch-reformierte Pfarrerin sein. Bei den Katholiken würde so viel Aufrichtigkeit bei der Obrigkeit nicht gut ankommen (die zwei Wörter reimen sich, passen aber hier, wie so oft, nicht gut zusammen). Freilich: Es gibt sicherlich auch einen beträchtlichen Teil an Priestern, Pfarrern etc., welche noch an Gott und Jesus glauben. Ich kenne einige Geistliche, die über einen exquisit naiven Glauben an Heiland, den heiligen Geist und das ganze Gedöns ihr eigen nennen. Diese Exemplare sollen uns hier aber nicht interessieren, sie sind ja auch reichlich langweilig.

Daneben gibt es auch die anderen: Sie wissen, dass vieles, was ihre Schäfchen glauben, allzu naiv ist. Sie verstehen und wissen einiges besser und stören sich selber an vielen ihrer Äusserungen wie zum Beispiel am Glaubensbekenntnis. Ganz vom Glauben abgefallen sind sie aber noch nicht. Und leider äussern sie nicht allzu oft öffentlich, was sie aus Theologie und historischer Bibelwissenschaft wissen. Im persönlichen Gespräch oder bei öffentlichen Diskussionen wird dann von solchen Leuten immer wieder (beispielsweise an mich) der Vorwurf gemacht, Kritiker der Kirche oder des Glaubens würden ein naives Gottes- und Jesusbild attackieren. Die Äusserungen würden nicht widerspiegeln, was aktuelle Lehre und eben nicht-naiver, erwachsener Glaube sei. Da muss ich immer schmunzeln und rückfragen: Wie oft erklärst du denn deinen Schäfchen, dass deren Glaube ein naiver, nicht mehr zeitgemässer ist, ein vielen bekannten Fakten widersprechender Irr-Glaube?

Ich vernehme nämlich wenig von Geistlichen, welche in Diskussionen mit ihren Gemeindemitgliedern verstrickt sind darüber, was denn Jesus im neuen Testament nun über Homosexualität sagt (nämlich nichts), wie es um die Historizität der Evangelien bestellt ist (nämlich schlecht) oder was denn allgemein von einer deontologisch-religiösen Ethik zu halten sei (nämlich wenig). Aber das liegt womöglich an meiner nicht sehr repräsentativen Stichprobe.

So gibt es denn diese noch irgendwie aufrichtig gläubigen Kirchenfunktionäre, welche sich ihren Glauben irgendwie gerettet und zurechtgebogen haben und - vor allem im Umgang mit ihren Schäfchen - unaufrichtig sind. Es gibt aber eben auch die anderen: Echte, aufrichtige Ungläubige. Allzu leicht passiert es halt heutzutage, dass man auch in diesen Ämtern vom Glauben abfallen kann. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch einem Priester mal ein gescheites Buch in die Finger gerät. Es kann durchaus sein, dass er bei einer Diskussion mal zuhört und seine Immunisierungsstrategien zu versagen beginnen.

Mit diesen Kirchenfunktionären habe ich ein gewisses Bedauern. Sie müssen, sofern sie nicht ihren Job wechseln oder scharfen Gegenwind verspüren wollen, stets Dienstleistungen anbieten, hinter welchen sie nicht mehr ganz stehen können und Sachen vertreten, die sie nun für falsch halten. Sie geben sich als jemanden aus, der sie nicht mehr sein wollen und können.

Wieso verbleiben sie aber trotzdem noch in ihren kirchlichen Ämtern? Meine Erklärung: Die Bedingungen, die man als Angestellter in den «Landeskirchen» am staatlichen Finanzierungstropf vorfindet, sind einfach zu gut, um sie einfach zurück zu lassen. So kuschelig hat man es auf dem freien Markt garantiert nicht. Dass es auch ehrlicher geht, ist Fakt: Betreuung funktioniert ohne übersinnliches Brimborium. Immer mehr Leute fragen nach säkularen Ritualen. Begrüssungsfeiern, Partnerschaftsfeiern ohne religiöse Unter- oder Obertöne und Abschiedsfeiern ohne Jenseits, ohne das für viele nicht mehr angemessene religiöse Element.

Wir werden trotzdem noch einige Zeit warten müssen, auf eine echte Coming Out-Welle von Priestern, Pfarrern und Pfarrerinnen, die laut und selbstbewusst zu ihrer Überzeugung stehen und den metaphysischen Ballast abwerfen. Immerhin finde ich positiv, dass wenigstens in der reformierten Kirche Gott endlich mehr oder weniger offiziell ein optionales Extra geworden ist. Man darf es sich also mittlerweile erlauben, da drin zu bleiben und zu rufen: «Der Kaiser ist nackt!»

(Valentin Abgottspon/news.ch)

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Viele »Schafe« sind auch schon ungläubig
In noch größerem Maße trifft diese Diskrepanz zwischen äußerer Zurschaustellung und innerer Einstellung auf die »Schafe« dieser »Hirten« zu. Ich sehe mindestens sechs Gründe, weswegen man trotz Nichtglaubens in der Kirche bleibt, warum immer noch so viele Mitbürger statistisch und dem Augenschein nach als Christen gezählt werden, die eigentlich nicht dazu gezählt werden dürften:

1. Unkenntnis oder Nichtwissenwollen wesentlicher Fakten zu Geschichte und Lehre des Christentums. 2. Autoritätsorientiertes Denken und die Sehnsucht nach Führung und verbindlichen Lebensregeln. 3. Angst vor göttlichem Zorn und Verdammnis bei Abwendung vom Glauben, falls Gott doch existieren sollte. 4. Anpassung und Mitläufertum auf Grund gesellschaftlichen und beruflichen Drucks (in Deutschland das kirchliche Arbeits(un)recht!) ohne tatsächliche eigene Überzeugung. 5. Kulturelles oder soziales Engagement im Rahmen der Kirche trotz innerer Distanz zu Kirche und Glauben. Schließlich und ganz besonders 6. Unterbewusst wirkende, durch frühkindliche Indoktrination erzeugte und damit der rationalen Diskussion schwer zugängliche Beharrungskräfte.

(Mehr dazu in: »Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung«)
Biblischer Glaube
Der Glaube des Neuen Testamentes beruht auf historischen Fakten, das lehrt z.B. Lukas im 1. Kapitel. Der christliche Glaube, wie er im Neuen Testament definiert ist, beruht ausdrücklich nicht auf Fabeln (Märchen), das stellt Petrus im Kapitel 1 des 2. Briefes klar. Die Auferstehung Jesu Christi ist eine bewiesene historische Tatsache (Apg 17.31) - Wie zur Zeit Jesu zieht die Welt die Finsternis dem christlichen Glauben vor (Joh 3.19): Die Früchte dieses Irr- und Unglaubens spüren wir am eigenen Leib und werden uns täglich in den Medien präsentiert (Römer 3). Die Bibel dokumentiert ausschliesslich Fakten, die zwar nicht alle im Labor nachweisbar sind, aber dennoch der Wahrheit entsprechen und weitgehend nachvollziehbar sind (Joh 7.17). Das „coming out" der falschen Christen steht noch bevor, auch das lehrt die Bibel, besonders im 2. Brief an die Thessalonicher.
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