Auch nach Rio+20 gilt: «Global denken, lokal handeln»

publiziert: Dienstag, 26. Jun 2012 / 10:30 Uhr

Es ist der 21. Juni 2012, 15 Uhr, Eugene/Oregon im Norden der USA. Gestern durfte ich im Namen der ETH Zürich den «ISCN-Award» entgegen nehmen - eine Auszeichnung, die unseren Weg zu einer fossilfreien Zukunft auf dem Campus Hönggerberg würdigt. Während ich diese Zeilen schreibe, verhandeln mehr als 100 Staats- und Regierungschefs über den Abschlusstext des UNO-Gipfels Rio+20 zur nachhaltigen Entwicklung.

2 Meldungen im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

ETH-Life Artikel
«Erdspeicher in Betrieb genommen» (21.6.2012)
ethlife.ethz.ch

Dieser wird gut 50 Seiten umfassen und eine Vielzahl von Deklarationen und Bekenntnissen zur Ökologie und Armutsbekämpfung enthalten. Die Frage, die ich mir während der letzten Tage immer wieder stellte, ist: Sind wir mit dem Konzept grosser, medienwirksamer Konferenzen auf dem richtigen Weg Richtung Nachhaltigkeit oder braucht es neue, wirksamere Schritte?

Eugene Oregon statt Rio de Janeiro

Anstatt nach Rio de Janeiro zu reisen, vertrat ich die ETH Zürich bis heute Nachmittag und während drei Tagen an der Jahreskonferenz des Internationalen Netzwerks für einen nachhaltigen Campus (ISCN). Über 30 führende Hochschulen haben sich diesem Netzwerk inzwischen angeschlossen. Neben der ETH Zürich und der EPFL finden sich darunter Universitäten wie Harvard, Yale oder Tokyo University, das Indian Institute of Technology in Madras oder die Universität von Peking.

Im Gegensatz zum grossen Erdgipfel in Rio stand auf unserem kleinen Campusgipfel der konkrete Austausch praktischer Erfahrungen im Vordergrund, um das Leben, Lernen und Forschen auf unseren vielfältigen Campusgeländen nachhaltiger zu gestalten. Trotz des breiten kulturellen und ökonomischen Spektrums der Herkunftsländer der teilnehmenden Universitäten, verband uns die Motivation, Nachhaltigkeit nicht nur zu predigen, sondern auch in unseren Alltag zu integrieren. Was uns ebenso verband ist die Erkenntnis, dass viele grosse Herausforderungen noch vor uns liegen und Handeln dringender erforderlich ist denn je.

Lokal handeln in globalen Netzwerken

Unsere chinesischen Kollegen berichteten beispielsweise von Wachstumszahlen, die mich aufhorchen liessen: Zwischen 1998 und 2010 stiegen die Studierendenzahlen in China von 3 Millionen auf 22 Millionen. Die Anzahl chinesischer Universitäten hat sich innerhalb derselben 12 Jahre von 1020 auf 2400 mehr als verdoppelt. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu begreifen, dass die Herausforderungen für die chinesischen Campusanlagen bezüglich Nachhaltigkeit weltweit zu den grössten gehören. Dies betrifft die Qualität des Lehrangebots ebenso wie praktische Aspekte der Umsetzung, wenn es beispielsweise um zusätzlichen Landverbrauch geht, eine nachhaltige Wasser- und Energieversorgung oder die Integration ganzer Universitätsstädte in gewachsene Sozialstrukturen.

Anbetracht der zum Teil gigantischen Herausforderungen war für mich insbesondere der praktische Austausch über Lösungsansätze und «Best-Practice»-Beispiele wertvoll. Unsere Universitäten tragen eine besondere Verantwortung in Bezug auf nachhaltige Entwicklung. Nicht nur in der Ausbildung junger engagierter Menschen, sondern auch in der Umsetzung unserer Werte auf dem eigenen Campus. In diesem Sinn stimmte mich die Erfahrung der letzten Tage positiv.

Entkarbonisierung: Beitrag der ETH Zürich

Insbesondere freute mich, dass die ETH Zürich für ihr Energiekonzept auf dem Hönggerberg den diesjährigen ISCN-Award in der Kategorie «exemplarische Bauprojekte» gewann (siehe Abbildung 1 und ETH-Life-Artikel «Erdspeicher in Betrieb genommen» vom 21.6.2012, siehe weiterführende Links). Mit Hilfe des neuen dynamischen Erdspeichersystems werden wir unsere CO₂-Emissionen auf dem «Science City»-Campus bis zum Jahr 2020 um die Hälfte reduzieren können. Nach Projektabschluss im Jahr 2025 werden die Gebäude auf dem Hönggerberg vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten können (siehe Abbildung 2).

Dies sind praktische Ergebnisse, die sowohl innerhalb der Schweiz als auch international richtungsweisend sind. Mit der Umsetzung dieses Projekts demonstriert unsere Hochschule zum einen, dass wir hinsichtlich der Entkarbonisierung unserer Gesellschaft bereits jetzt weit mehr erreichen könnten, als gemeinhin bekannt ist. Zum anderen zeigt insbesondere unsere Schulleitung, dass es wichtig ist, im Sinn der Nachhaltigkeit langfristig zu denken und zu handeln: Mit einem zusätzlichen Investitionsvolumen von 17 Millionen Franken und erwarteten Einsparkosten von jährlich einer Million Franken wird sich dieses Projekt finanziell erst in zwei bis drei präsidialen Generationen rechnen. Es wäre wünschenswert, dass auch andere Entscheidungstragende den Mut aufbringen, über ihre Amtsperiode hinaus ein nachhaltiges Zeichen zu setzen.

Der Wert geteilten Wissens

In diesem Sinne verstehe ich auch den Wert des «ISCN-Awards», der im Gegensatz zu anderen Preisen nicht mit hohen Fördergeldern verbunden ist. Der wahre Wert dieses Preises besteht darin, positive Spuren in einem internationalen Netzwerk hinterlassen zu dürfen. Wenn unser Wissen und unsere Erfahrung als «Open-Source»-Inspiration weltweite Nachahmung finden, so hat sich unsere Arbeit bereits heute gelohnt. Die Anfragen, die ich zum Anergie-Prinzip1 des Erdspeichers erhielt, stimmten mich in dieser Hinsicht positiv.

In Rio werden im Moment gut 50 Seiten der Abschlussdeklaration fertiggestellt. Auf dem Hönggerberg haben 230 Erdsonden bereits im April ihren Betrieb aufgenommen. Ich wünschte mir, dass heute Nacht auch auf globaler Ebene einige wegweisende Projekte ihren Anstoss zur Umsetzung finden. 20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel in Rio geht es nach wie vor darum, global zu denken, um endlich lokal zu handeln.

1Das System des dynamischen Erdspeichers wird auch als «Anergie-Netz» bezeichnet, weil ein maximaler Anteil des Energiebedarfs durch Anergie (niederwertige Energie) gedeckt wird.

Anmerkung und Dank

Die Anerkennung für das Projekt «Erdspeicher» gebührt innerhalb der ETH Zürich den Teams der Abteilungen Bauten und Betrieb der ETH-Immobilien, dem Umweltteam des Stabs Sicherheit, Gesundheit, Umwelt (SGU) und dem Team von Prof. Hansjürg Leibundgut. Die ETH Zürich hat bereits 2006 mit dem Aufbau des «Anergie-Netzes» auf dem Hochschulcampus Hönggerberg begonnen. Die Idee dazu entstand ursprünglich in einer Variantenstudie zur zukünftigen Energieversorgung des Areals Hönggerberg unter der Leitung von Amstein und Walthert (A&W). Die ETH Zürich hat diese Idee in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieurbüros A&W und Lauber IWISA ständig weiterentwickelt, perfektioniert und zur Umsetzung gebracht. Daher gebührt die Anerkennung ebenso den Teams dieser beiden Büros.

(Dr. Christine Bratrich/ETH-Zukunftsblog)

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Lesen Sie weitere Beiträge und diskutieren Sie mit auf: www.ethz.ch/zukunftsblog

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