Begnadigte Truthähne und fastende Frauen

publiziert: Sonntag, 5. Nov 2006 / 22:59 Uhr

Bern - Anders als Halloween ist das amerikanische Thanksgiving kaum auf andere Kontinente übergeschwappt. Kein Wunder - überall sonst herrscht seit Jahrtausenden eine vielfältige herbstliche Erntedankkultur.

An Thanksgiving essen alle Amerikaner Truthahn, Süsskartoffeln, Maisbrot und Kürbiskuchen.
An Thanksgiving essen alle Amerikaner Truthahn, Süsskartoffeln, Maisbrot und Kürbiskuchen.
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Vom Zürcher Knabenschiessen bis zur Basler Herbstmesse, vom Appenzeller Alpabtrieb bis zur Surseer Gansabhauet, von der Madiswiler Rübenkilbi, dem Aarauer Rüeblimärt bis zum Berner Zibelemärit reicht allein in der Schweiz das Spektrum: Praktisch alle dieser zahlreichen Schweizer Herbstfeste von Anfang September bis Ende November sind im Kern Erntedankfeste.

Bush begnadigt mehr Truthähne als Menschen

Hochstandardisiert ist dagegen das US-amerikanische Thanksgiving: Jedes Jahr reisen bis zu 50 Millionen Amerikaner am vierten Donnerstag im November nach Hause, oft quer durch den Kontinent. Dort essen alle Truthahn, Süsskartoffeln, Maisbrot und Kürbiskuchen und streiten sich. Letzteres behaupten jedenfalls die rund 100 Spiel- und TV-Filme zum Sujet.

45 Millionen Truthähne müssen dran glauben. Nur zwei kommen davon: Seit 1947 will die Tradition, dass der Präsident jährlich einen Puter (und einen Stellvertreter) begnadigt. Vom als herzlos geltenden amtierenden Präsidenten heisst es scherzhaft, er habe mehr Truthähne begnadigt als Menschen.

Behauptete Versöhnlichkeit

Zum Festschema gehört weiter die New Yorker Thanksgiving-Parade des Kaufhauses Macy. Das ist gleichsam ein vorgezogenes Dankfest für die einträgliche Weihnachts-Shopping-Saison, die traditionell am Folgetag beginnt. Der Tag heisst auch «Black Friday», weil da viele Geschäfte erstmals schwarze Zahlen schreiben.

Das erste Thanksgiving wurde angeblich 1621 in Plymouth, Massachusetts begangen. Die Pilgerväter dankten mit einem gemeinsamen Festschmaus den ortsansässigen Indianern, weil diese ihnen den Anbau einheimischer Pflanzen beigebracht hatten. Nicht nur Nachkommen der Ureinwohner halten diese Überlieferung für verlogen.

Erntedank als Frauensache

Dass man die ehrt, die einem den Ackerbau beigebracht haben, hat allerdings eine lange Tradition: Die Griechen feierten im Herbst deshalb die Göttin Demeter mit den Thesmosphoria, die Römer Ceres mit den Cerelia.

Die Thesmosphoria waren eine reine Frauenangelegenheit: Am ersten Tag bauten die verheirateten Frauen auf einem geweihten Berg Laubhütten, am zweiten Tag fasteten sie, und am dritten festeten und opferten sie.

Erntedank und Gemeinschaftssinn

Laubhütten stehen auch im Zentrum des siebentägigen jüdischen Sukkoth: Wenn es das Wetter zulässt, speisen während dieser Zeit die Familien in eigens gebauten Hütten aus Ästen und Laub.

Das Erntedankfest erhielt durch den Exodus eine zusätzliche Bedeutung: Die Laubhütten erinnern an die temporären Unterkünfte während der Reise durch die Wüste und daran, dass man jederzeit seine irdischen Güter verlieren kann.

Ein Erntedankfest, das die nationale Zusammengehörigkeit betont, ist auch das chinesische Chung Ch'ui. Zum Festmenü gehören traditionell runde gelbe «Mondkuchen» zu Ehren des wiedergeborenen Nachtgestirns. Der Legende nach hatte man in China einst mit in Mondkuchen versteckten Botschaften einen erfolgreichen Gegenschlag gegen Belagerer organisiert.

Der frivole Gott Min

Während die Griechen und Römer die Wiederbefruchtung der Erde den Göttinnen und (gebärfähigen) Frauen überliessen, übertrugen die Ägypter das einem Mann. Zu diesem Zweck trugen sie Statuen des Vegetationsgottes Min, der stets mit erigiertem Glied dargestellt wurde, auf die abgeernteten Felder.

Im Gegensatz zu anderen Kulturen herrschte während der Ernte nicht nur eitle Freude. Bauern weinten, wenn sie das Korn schnitten. So hofften sie, zu verhindern, dass die in den Feldern wohnenden Geister über diesen «Diebstahl» wütend wurden.

(Von Irene Widmer/sda)

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