Biotop Weltwirtschaft

publiziert: Dienstag, 9. Mai 2006 / 09:17 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 9. Mai 2006 / 09:36 Uhr

Als in den letzten Monaten Politiker immer wieder Tiernamen benutzten, um gewisse Personengruppen in der Wirtschaft zu bezeichnen, schlug dies hohe Wellen. Sowohl in der Presse wie unter den Betroffenen als auch bei Politikern anderer Parteien. Interessanterweise wurden die einzigen, die wirklich etwas dazu zu sagen gehabt hätten nicht gefragt. Die Biologen nämlich. Denn wer sonst wäre befähigt, sich zu Heuschreckenschwärmen und Raubtierkapitalisten zu äussern?

Dabei wäre speziell die 'Raubtier'-Idee eine, die sich zu betrachten lohnt. Schauen wir erst einmal ein natürliches System an, wie es die freie Wildbahn präsentiert, wobei hier natürlich extrem vereinfacht werden muss. Pflanzenfresser und Vertilger von Insekten und anderem Kleingetier stellen hier den Grossteil der Individuen. Die Raubtiere hingegen stehen an der Spitze der Nahrungspyramide. Die Wachsamkeit und die evolutionäre Anpassung der Beutetiere verhindert, dass allzu viele Raubtiere Nahrung finden können. Vor allem ältere und schwächere Exemplare fallen den Räubern zum Opfer.

Wenn aber Krankheiten die Beutetiere befallen und schwächen würden, wäre der Tisch für die Räuber plötzlich reich gedeckt. Für kurze Zeit würden sie sich ihre Bäuche vollschlagen und sich stark vermehren, bis schliesslich fast keine Beute mehr vorhanden wäre. Das System bräche zusammen. Die Räuber sterben nun auch. Am Ende bleiben ein paar wenige gesunde Pflanzenfresser übrig, die langsam das Biotop wieder bevölkern und nach einigen Jahren stellte sich wieder ein Gleichgewicht ein. Doch der Weg zu diesem neuen Equilibrum ist von Tod, Leid und Schrecken gezeichnet.

Blicken wir nun mal auf die Human-Wirtschaft: Arbeitnehmer, Ressourcen und der Besitz des Mittelstandes sind hier die 'Beutetiere'. Deregulierte Grossunternehmen, die durch Lobbying und Korruption die Regeln der Wirtschaft zu ihren Gunsten beeinflussen, die Raubtiere. Bedenkenlos reduzierter Konsumenten- und Umweltschutz nimmt hier die Stelle der schwächenden Krankheit ein. Ist der Moment günstig, schlagen jene Unternehmen hemmungslos zu, deren Manager und Führungskräfte nur die kurzfristigen Vorteile sehen. Löhne werden gedrückt, biologisch wertvolle Gebiete zerstört, Belegschaften gefeuert – die 'Beutetiere' werden hemmungslos dezimiert, während Gewinne wachsen und Bonus-Zahlungen absurde Höhen erreichen.

Doch irgendwann ist die Party zu Ende. Die Verbraucher, die durch den Konsum die ganze Schose am Laufen hielten, haben kein Geld mehr, die Umweltzerstörung macht sich durch Infrastrukturschäden bemerkbar und kostet Milliarden, die den Staaten durch die Steuerflucht und Sozialkosten an allen Ecken und Enden fehlen. Eine Rezession schlägt zu, das System kollabiert. Die fetten Raubtiere machen nun Winterschlaf, während sich die Wirtschaft wieder langsam aufrappelt. Alles wundert sich über den Crash, die 'Beutetiere' hoffen, dass nun alles besser wird. Verantwortungsvolle Unternehmen engagieren sich und investieren, obwohl auch sie angeschlagen sind.

Sicher – diese Parabel ist viel zu simpel, die Parallelen dürften für viele unbefriedgend sein. Doch neueste Forschungen belegen, dass Systeme wie biologische Gemeinschaften und wirtschaftliche Netzwerke eigentlich Inseln im Chaos sind, welche durch die Verarbeitung von Energie und Materie ihr eigenes Gleichgewicht erschaffen. Wird nun dieses Gleichgewicht gestört (biologische Systeme z.B. durch Umweltverschmutzung, wirtschaftliche Systeme durch extremen Kapitalentzug, hohe Arbeitslosigkeit, etc.), stürzen die Systeme in ein Chaos und kommen auf einer tieferen, primitiveren Ebene wieder an.

Im Gegensatz zu den natürlichen Systemen sollten bei uns aber auch die 'Beutetiere' etwas zu melden haben. In den Demokratien sind wir eigentlich in der Lage, uns durch Gesetze vor den 'Raubtieren' zu schützen. Doch scheinbar sind wir nicht willens dazu. Zwar beklagen die Konsumenten auf der einen Seite den Arbeitsplatzverlust und Lohndrückerei. Doch auf der anderen Seite kaufen Sie bedenkenlos beim Geiz-ist-geil-Grossverteiler.

Ethisch agierende Unternehmen haben mit Erstaunen festgestellt, dass Konsumenten sich nicht darum kümmern, ob – zum Beispiel Bananen – mit Sklavenarbeit oder mit fairer Bezahlung angebaut werden. Genau wie in der Natur herrscht auch bei den Menschen keine Solidarität unter den 'Beutetieren'. Und wenn sie mal – lokal – herrscht, richtet sie sich vielfach gegen das Falsche: Wenn neue, effektivere Techniken bekämpft werden, dann wird meist verhindert, das Ressourcen und die Umwelt zu Lasten alter, verschwenderischer Techniken geschont werden. Denn wie in der Natur benötigt auch die Wirtschaft eine gewisse Anzahl von 'Raubtieren', um zu verhindern, dass alte, kranke Industrien und Unternehmen der Evolution im Weg stehen.

Gesteuert kann eine solche 'biologische' Wirtschaft nur mit griffigen Gesetzen, die die Wirtschaft als System begreifen. Doch die Politik ist von 'Raubtieren' unterwandert. Wenn Regierungen unfaire, einseitige Gesetzgebungen erlassen, wird das Resultat früher oder später Katastrophal sein. Wenn die Völker der Aufgabe, entsprechende Regierungen zu wählen, nicht nachkommen... sind sie selber schuld, wenn sie sich plötzlich in einem Dschungel wieder finden, in dem die Raubtiere nicht nur die schärferen Zähne und längeren Krallen sondern auch Schnellfeuergewehre haben, um sie, die Beute zu erlegen.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)

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