Brassica Rapa Pekinensis

publiziert: Dienstag, 29. Nov 2011 / 09:44 Uhr
Chinakohl: Seit 7000 Jahren in China angebaut
Chinakohl: Seit 7000 Jahren in China angebaut

Der kalte Nordost-Monsun bläst mir um die Ohren. Nase und Mund verhüllt mit einer bunten, modischen Maske gegen die Kälte, vor allem aber gegen die mit Schadstoffen geschwängerte Pekinger Luft. Tief gebeugt über dem Lenker meines Fahrrades «Fliegende Taube» - ohne Schaltung notabene - trotze ich den Naturgewalten und pedale täglich zehn Kilometer zu meinem Büro.

Noch vor wenigen Wochen war es warm, ja heiss in Peking. Doch der Winter bricht nach einem drei bis vierwöchigen Herbst mit roten und gelben Blättern unvermittelt herein. Nachts sind die Temperaturen schon deutlich im Minus. Spätestens Mitte oder Ende Dezember ist das Pekinger Wintervergnügen, Schlittschuhlaufen auf den zugefrorenen Seen Houhai, Beihai oder im Ritan-Park bei Jung und Alt wieder en vogue.

Der nahende, lange und bitterkalte Kontinental-Winter Nordchinas ist an vielen Anzeichen schon viel früher zu erahnen. Die Heizung, nicht ganz unwichtig, ist das Erste. Geheizt wird in China grundsätzlich nur nördlich des Yangtse-Flusses. Im modernen, wirtschaftsboomenden China haben mittlerweile all jene südlich des Yangtses, die es sich leisten können, mit Air Conditioner und elektrischen Heizungen nachgeholfen. Im Norden wird ausschliesslich, bis heute, nach Datum geheizt. Die Heizungsperiode erstreckt sich vom 15. November bis zum 15. März. Unabhängig vom Wetter. Punkt.

Umweltfreundlich ist die Stadtheizung wohl auch nicht gerade. Bezahlt wird nach Quadratmeter der Wohnung. Individuell kann gar nichts eingestellt werden. Das führt dazu, dass im Januar oder Februar bei Aussentemperaturen zwischen minus zehn und fünfzehn Grad die Fenster aufgerissen werden müssen. Die überheizten Räume werden dann zwar angenehmer, aber die einströmende Luft ist nach Umwelt-Messungen der amerikanischen Botschaft «gefährlich». Das städtische Umweltamt meldet derweil immer noch «moderate» bis «gute» Umweltbedingungen.

Vor 25 Jahren kam der Winter genau so schnell wie heute. Allerdings war die Wahrnehmung verschieden. Natürlich, kalt ist kalt und Wind ist Wind. Aber die Gerüche. Jeweils Mitte November begann es nach Kohle zu riechen. Ein grau-schwarzer Schleier hundert bis zweihundert Meter über dem Boden verschleierte die Sicht. Der Grund: mit Kohle wurden damals noch die meisten Pekinger Hutongs, die traditionellen ebenerdigen Häuser, geheizt. Dreiräder mit runden Kohlenbriketts und schwarzgesichtige Fahrer gehörten zum Alltag.

Nicht mehr heute.

In der Innenstadt sind Kohleheizungen verboten. Schliesslich will die Stadtregierung ja ihren Bürgern eine saubere und gesunde Umwelt bieten. Nur eben, die meisten Elektritzitätswerke werden mit Kohle betrieben und - dies vor allem - auf den Strassen verkehren jetzt nicht mehr einige Zehntausend sondern fast fünf Millionen Autos. Auch wenn diese nach neuesten internationalen Normen zugelassen sind, sie verschmutzen die Luft mehr als jene wenigen Motorfahrzeuge vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren. Die Fahrräder, damals fünf Millionen, sind - wie meine «Fliegende Taube» - ja Umwelt-neutral. Die unterdessen über eine Million Elektrofahrräder gelten zwar als Umweltfreundlich. Nur eben, die Batterien werden aufgeladen mit Strom aus Kohlekraftwerken.

Der Pekinger Winter schlechthin hat für mich freilich mit etwas ganz anderem begonnen. Nicht mit dem Geruch von Kohle sondern von Kohl. China-Kohl. Bai Cai. Über Nacht rollten in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts Dutzende, Hunderte ja Tausende von Lastwagen in die chinesische Hauptstadt, beladen bis obenhin mit China-Kohl. Am Strassenrand wurden Kohl-Gebirge aufgebaut.

Daneben in einem Zelt die Verkäufer und Verkäuferinnen. Der Kohl war staatlich subventioniert. Die Pekinger deckten sich für den ganzen Winter ein. Sie stapelten den bis zu dreissig Zentimeter langen Kohl auf ihren Balkons. Bai Cai, wörtlich weisser Kohl, war das Wintergemüse per se. Damals nämlich gab es nicht wie heute 365 Tage im Jahr auf Bauernmärkten und Supermarkets Früchte und Gemüse. Eine Tomate oder eine Banane waren unbezahlbare Kostbarkeiten und Delikatessen.

Heute gibt es keine Invasion von Kohl-Lastwagen mehr, und die Luft ist nicht mehr Kohl geschwängert. Und doch: da und dort gibt es am Strassenrand noch China-Kohl - korrekt wissenschaftlich ausgedrückit Brassica Rapa Pekinensis oder Chinensis. Chinesisch ausgedrückt heisst er Weisskohl, also Bai Cai oder Öl-Kohl You Cai, weil aus dessen Samenkörnern das in China am meisten verwendete Speiseöl gewonnen wird. Mein alter Bekannter Professor Wang, nun in Pension, erläutert mir mit einem Packet Bai Cai unter dem Arm als Amateur-Botaniker stolz die Hintergründe. Bereits vor 7'000 Jahren, so zeigten Ausgrabungen in der Nähe von Xi'an, wurde Brassica Chinensis angebaut, also eine der ersten domestizierten Nutzpflanzen in China.

Ich mag den grün-weiss-gelben Bai Cai. Im Winter. Zubereitet von chinesischen Köchinnen und Köchen auf hundert verschiedene Arten. Der Winter-Kohl-Geruch dagegen ist Vergangenheit. Für immer.

(Peter Achten/news.ch)

Genau
Ganz, ganz sauber und rein muss die Stadt sein - mit Kohlestrom.

Den Kohl kann man hier auch kaufen, im Jahr darauf habe ich sogar selber welchen gesäht. Und Mangold.

Als ich das einzige Mal in meinem Leben in China war, haben die dort in Peking gerade eine neue Autobahn zum Flughafen gebaut. Viele Leute auf der Baustelle, der Zement wurde sackweise gekauft und dort gemischt. Der nigelnagelneue Flughafen in Guilin war eine Katastrophe. Die Toiletten konnten nicht benützt werden. Ein paar Vandalen hatten sich dort vergnügt und alle Türen und was sie sonst noch konnten demoliert.
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 21
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der ...
Mit seinem Besuch in Vietnam hat US-Präsident Obama seine seit acht Jahren verfolgte Asienpolitik abgerundet. Die einstigen Todfeinde USA und Vietnam sind, wenn auch noch nicht Freunde, so doch nun Partner. China verfolgt die Entwicklung mit Misstrauen. mehr lesen 
Zum 50. Mal jährt sich im Mai der Beginn der chinesischen «Grossen Proletarischen Kulturrevolution». Das Chaos dauerte zehn Jahre. Mit tragischen Folgen. mehr lesen
Mao-Büsten aus der Zeit der Kulturrevolution: «Sonne des Ostens» und Halbgott.
Kein Psychopath, sondern ein der Realität verpflichteter Diktator: Kim Jong-un.
Kim Jong-un ist ein Meister der Propaganda und (Selbst)Inszenierung. Nach vier Jahren an der Macht liess er sich nun am VII. Kongress der Koreanischen Arbeiterpartei zum Vorsitzenden krönen. mehr lesen  
Pekinger Pfannkuchen oder Crêpes Pékinoises sind nur schwache Umschreibungen für das ultimative Pekinger Frühstück Jianbing. Wörtlich übersetzt heisst Jianbing ganz banal gebratener Pfannkuchen. Aber oho, Jianbing schmeckt ... mehr lesen
Das Ehepaar Wang in Aktion.
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Die Nike Air Jordan 13s kamen 1998 heraus.
Shopping Erreichen Air Jordan Sneaker 2-4 Mio. Dollar in der Versteigerung? Ein Paar Turnschuhe, das Geschichte geschrieben hat, steht zum Verkauf: Die Nike Air Jordan 13s, die Michael Jordan in seiner letzten ...
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Mi Do
Zürich 11°C 24°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
Basel 11°C 25°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig sonnig recht sonnig
St. Gallen 10°C 21°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig wolkig, aber kaum Regen
Bern 11°C 23°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
Luzern 11°C 23°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wolkig, aber kaum Regen
Genf 12°C 24°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen recht sonnig
Lugano 16°C 24°C vereinzelte Gewitterleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig vereinzelte Gewitter vereinzelte Gewitter
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten