Die Unterschiede zwischen den beiden Finalisten könnten grösser
nicht sein: hier der spanische und europäische Rekordmeister aus
der Millionen-Metropole Madrid, der die beiden teuersten Spieler
der Welt, Zinedine Zidane und Luis Figo, für gesamthaft 200
Millionen Franken erworben hat -- dort das kleine Werkteam aus der
deutschen Industrie-Region, das noch immer dem ersten
Landesmeistertitel nachrennt und von seinem Hauptsponsor jährlich
mit nur 22 Millionen Franken unterstützt wird.
Die Rollen vor dem Spiel, das vom Schweizer Schiedsrichter Urs
Meier geleitet wird, sind jedenfalls klar verteilt. Keiner der
beiden Trainer wehrt sich dagegen, dass Leverkusen nur krasser
Aussenseiter ist. «Wir wissen, dass wir in diesem Final favorisiert
werden», sagt Vicente Del Bosque, und Klaus Toppmöller stimmt dem
zu: «Jeder weiss, dass Real Madrid der Favorit ist. Das ist extrem
gut für uns.»
Del Bosque vor Entlassung?
Wenn da nur nicht dieser unheimliche Erfolgsdruck auf den beiden
Trainern lasten würde. In Madrid wird gar über die Entlassung von
Del Bosque spekuliert, wenn er in der Saison des 100-jährigen
Bestehens des Klubs auch noch den Titel in der Champions League
vergeigt. Nach dem Flop im Cupfinal gegen Deportivo La Coruña und
der Niederlage in der Meisterschaft gegen Valencia käme ein
Scheitern gegen Leverkusen einer Riesenblamage gleich. Die
«Königlichen» würden sich nicht nur zum Gespött von halb Europa
machen, sie müssten im August auch noch die Qualifikation für die
nächste Champions League bestreiten, weil sie die Meisterschaft
hinter Valencia und La Coruña nur auf Platz 3 abschlossen.
«Wenn wir den neunten Europacup der Meister für Real holen, ist
alles in Ordnung. Wenn nicht, erleben wir die Hölle», beschreibt
Brasiliens Starverteidiger Roberto Carlos die Stimmung rund um die
Mannschaft. Real ist zum Siegen verdammt. Die Spanier könnten das
erste Team werden, das die Champions League dreimal gewinnt.
Zidanes Final-Komplex
Finalsiege mit einem Klubteam stellten für Weltmeister Zinedine
Zidane bisher ein Ding der Unmöglichkeit dar. Vor sechs Jahren
verlor er mit Bordeaux den UEFA-Cup-Final gegen Bayern München; ein
Jahr später scheiterte der Franzose mit Juventus Turin in der
Champions League an Borussia Dortmund; und 1998 verlor er mit
Juventus Turin den Champions-League-Final gegen seinen jetzigen
Verein Real Madrid.
Zweimal hat Zidane im Final gegen einen deutschen Gegner
verloren -- kein Wunder, ist er sich gegen Leverkusen der Sache
nicht ganz sicher, auch wenn er vor dem Spiel abwiegelt:
«Leverkusen interessiert nicht, wir müssen unsere Leistung
abrufen.» Mit dieser Leistung träumen die Madrilenen davon, den
deutschen Gegner wie vor 42 Jahren im gleichen Stadion förmlich zu
überrollen: 1960 wurde Eintracht Frankfurt im Glasgower Hampden
Park vor 135'000 Zuschauern mit 7:3 vom Platz gefegt.
Unterhaching-Syndrom
Leverkusen Trainer Toppmöller graut vor einem solchen
Horrorszenario. Das Nervenkostüm seiner Spieler ist nach den beiden
«Final»-Niederlagen in der Meisterschaft und letzten Samstag im Cup
anfällig. Ein einziges Gegentor von Schalke hatte die Leverkusener
in Berlin bereits aus dem Tritt gebracht und in eine 2:4-Niederlage
schlittern lassen. Ein drittes Trauma dürfte die gleichen Symptome
hervorrufen wie jenes vor zwei Jahren in Unterhaching, als im
letzten Meisterschaftsspiel der langersehnte Titel verloren ging.
Nicht nur in Sachen Meriten, Geld, Spielermaterial und Renommé
sind die Spanier den Deutschen weit überlegen. Auch in punkto
Absenzen liegen die Nachteile klar bei Leverkusen, das heute Abend
auf Abwehrchef Jens Nowotny (Kreuzbandriss) und Ballkünstler Zé
Roberto (gesperrt) verzichten muss. Real kann dagegen aus dem
Vollen schöpfen.
Voraussichtliche Startaufstellungen
Bayer Leverkusen: Butt; Sebescen, Lucio, Zivkovic, Placente;
Schneider, Ramelow, Ballack, Bastürk, Brdaric; Berbatov.
Real Madrid: Cesar; Salgado, Hierro, Pavon, Roberto Carlos;
Makelele, Helguera; Figo, Zidane, Raul; Morientes.
Schiedsrichter: Urs Meier (Sz).
(René Baumann, Glasgow /sda)