Charlie, Lassana und ein Trostpreis (der nicht kommen dürfte)

publiziert: Dienstag, 13. Jan 2015 / 15:02 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 14. Jan 2015 / 15:53 Uhr
BR Doris Leuthard: Sie hätte es ja auch grad so sagen können.
BR Doris Leuthard: Sie hätte es ja auch grad so sagen können.

Seit dem Anschlag auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift «Charlie Hébdo» mit 12 und der Geiselname in einem jüdischen Supermarkt in Paris mit 4 Toten ist fast schon eine Woche ins Land gegangen. Eine Woche, die unerwartete Helden hervorbrachte und in der sich auch viele bloss gestellt haben.

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Es begann mit Doris der unsäglichen Leuthard. Dieser Bundesrätin sollte man ihr Twitter-Konto sperren und ihren Zugang zu Kommunikationsmitteln auf eine Hermes Baby und höchstens zwei Blatt Papier begrenzen. Und ja, ein Farbband würde sie natürlich nicht bekommen. Ihr unglaublicher erster Tweet nach dem Massaker begann mit «Satire ist kein Freipass», um dann natürlich mit einer mit «Aber» beginnenden Verurteilung der Morde weiter zu fahren. Für eine offizielle Regierungsvertreterin eines Landes, in dem Meinungsfreiheit gilt, eine untolerierbare Äusserung.

Als sich darauf ein Shitstorm über ihr zusammenbraute, schickte sie ihre Kommunkationsbeauftragte vor, die behaupten musste, dass Doris Leuthard missverstanden worden und dieser Tweet eine schnelle, erste Reaktion gewesen sei. Was natürlich völliger Blödsinn ist. Zum einen kam ihr Tweet um 16.16 Uhr, also mehr als vier Stunden nach dem Massaker. Und auch die Pressesprecherin konnte den Freipass-Satz nicht anders verständlich machen, als er gemeint war: Die Idioten sind selber schuld an ihrem Tod, denn sie haben es mit «Meinungsfreiheit» übertrieben.

Diese Ansicht wurde an manchen Orten - auch hier auf news.ch - vertreten und das ist auch legitim: Wir haben Meinungsfreiheit und es ist eigentlich erlaubt, jeden Humbug zu behaupten und zu rechtfertigen, der einem einfällt. Was nichts daran ändert, dass es Humbug ist.

Vor allem wurde angeführt, dass die Karikaturisten rassistisch gewesen waren, weil sie islamistische Terroristen und auch Mohammed klischeehaft als Nordafrikaner und Araber dargestellt hatten, mit allen übertriebenen Attributen. Ja. Stimmt. Doch dann ist es auch rassistisch, wenn in Karikaturen Skinheads als bleiche Europäer dargestellt werden. Zudem haben sie Mörder und Möchtegernmörder und die von diesen angeführte Identifikationsfigur verhöhnt, und nicht die Bewohner der Banlieus, die um ihren Lebensunterhalt kämpfen, mithin also nicht die Schwachen der Gesellschaft, wie es auch behauptet wurde.

Aus diesen und anderen Gründen haben einige dezidiert den vielen «Je suis Charlies» ein lautes «Je ne suis pas Charlie» entgegen gerufen. Weil die Meinungsfreiheit der Charlies und von «Charlie Hebdo» eben nicht ihre Meinungsfreiheit sei (eine Kommentatorin meinte zum Beispiel, sie möge Satire-Zeitschriften wie Charlie Hebdo und Titanic nicht...).

Echt? Oder noch viel eher: Das meint ihr doch nicht im ernst? Charlie Hebdo und auch Titanic sind Zeitschriften, welche es wagen, gefährliche Ideen zu verhöhnen. Sie sind damit die provokativen Spitzen der Meinungsfreiheit, deren Inhalte nerven und darum absolut debattierbar sind. Doch niemand muss Charlie Hebdo (die auch Rechtsextreme immer abfertigen, so dass alt-franco-nazi Jean-Marie LePen meinte, er sei sicher nicht Charlie) lesen, niemand ist gezwungen, diese Cartoons anzuschauen. Denn wir und jeder verdammte Salafist hat bei uns das Privileg, weg zu schauen. Erst das laute Klagen über die Cartoons gibt diesen erst den Existenzgrund.

Doch sagen wir mal, der Wunsch der nicht-Charlies geht in Erfüllung und echt fiese Satire wird aus Rücksicht auf die Gefühle von geistig labilen Religionsfreaks eliminiert. Dann ist auf einmal wer anders die provokante Spitze. Denn wer wissen will, wie die Meinungsfreiheit nach salafistischer Lesart aussieht, kann ja kurz mal einen Blick nach Saudi Arabien werfen, wo der Blogger Raif Badawi wegen «Beleidigung des Islam» zu tausend Peitschenhieben und zehn Jahren Haft verurteilt worden ist und eben erst die ersten 50 seiner tausend Hiebe bekommen hat, während die dortige heuchlerische Regierung die Anschläge von Paris mit aller gebotenen Verlogenheit verurteilt.

Ich wette, die meisten der nicht-Charlies würden für viele Dinge, die sie täglich machen, in einem salafistischen Staat ähnlich oder gar härter als Raif Badawi behandelt werden. Natürlich würde unsere Gesellschaft nach einem erzwungenen Ende von «Charlie Hebdo» oder «Titanic» nicht sofort zu Saudi Arabien oder dem Islamischen Staat mutieren. Aber die Angst würde uns immer weiter in die Ecke treiben, in eine Ecke aus Anpassung und konziliantem Duckmäusertum vor jenen, die uns mit Gewalt drohen. Das was gestern noch akzeptabel war, wäre heute auf einmal gewagt und morgen unverantwortlich provokant und dem Frieden abträglich. Appeasement gegenüber Radikalen heisst vor allem eines: den Radikalen recht geben. Ganz egal aus welcher Richtung diese stammen.

Dass wir an der Spitze unseres Staates eine Vertreterin des Appeasement-Blocks haben, für welche die Meinungsfreiheit mit einem «Aber» gelabelt ist, ist an sich schon zum Kotzen. Dass dieses Wischi-Waschi-Getue sowohl den Islam-Faschisten wie auch den Rechts-Nationalen Faschos aus heimischer Produktion (wenn auch mit indischen Facebook-Likes) in die Hände spielt, ist zum Heulen.

Und nein, auch nach Charlie Hebdo glaubt der Autor nicht, dass die einzige oder grösste Bedrohung für uns von Islamisten kommt. Es ist die Kombination des religiösen Wahns von jenen, dem Überwachungswahn der Geheimdienste, vermengt mit den immer grösseren, durch den entfesselten Kapitalismus verursachten sozialen Härten, den damit einher gehenden Existenzängsten und der Vereinfachung der Welt hinab auf 30-Sekunden-Häppchen, in denen kaum mehr die Komplexitäten der Realität Platz finden.

So, dass zum Beispiel in diesen beiden Pariser Dramen Muslime nicht nur die Bösewichte waren. Der eine, der Polizist Ahmed Merabet starb beim Versuch, die Terroristen bei der Redaktion zu stoppen, wurde geradezu hingerichtet und der andere, ein Angestellter des Supermarktes, Lassana Bathily, der sechs Kunden im Kühlraum vor dem Geiselnehmer und ihrem möglichen Tod rettete und (nachdem er mit dem Warenlift entkommen und erst von der Polizei als Verdächtiger verhaftet worden war) Hilfe für die Erstürmung des Supermarktes gegeben hatte, sind die zum Teil leider tragischen Helden jener schrecklichen Ereignisse.

So meint der Autor denn: Ja, ich bin auch Charlie, denn ich liebe die Meinungsfreiheit, selbst wenn diese Meinungen erlaubt, die ich verabscheue und bekämpfe. Er hofft auch, nie Lassana sein zu müssen, denn er weiss nicht, ob er in der Lage wäre, das zu tun, was dieser junge Mann getan hat. Und ja, um zum Anfang zurück zu kommen: Wenn Frau Leuthard ihren Hut oder ihr Foulard nehmen würde, wäre das wenigstens ein Trostpreis aus diesem Schrecken für die Schweiz. Man darf ja hoffen.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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