Das olympische Dorf - Schmelztiegel der Nationen

publiziert: Dienstag, 10. Aug 2004 / 12:56 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 10. Aug 2004 / 13:15 Uhr

Wenn Athleten zu ihren persönlichen Olympia-Highlights befragt werden, zählen sie praktisch ausnahmslos das Leben im olympischen Dorf dazu. Ein Augenschein im Epizentrum der Spiele, abseits der Jagd um Zehntelsekunden und Punkte, erklärt dies.

Szenen eines gewöhnlichen Morgens im olympischen Dorf, wenige Tage vor der Eröffnungsfeier, kurz nach 11 Uhr: IOC-Präsident Jacques Rogge bahnt sich nach einer Rede den Weg durch die Menge vorwiegend japanischer Journalisten, Schwimm-Olympiasiegerin Inge de Bruijn kommt aus der Post, und Australiens Nationalheld Ian Thorpe wartet mit Teamkollegen auf den Bus.

Einen Steinwurf davon entfernt halten chinesische Kunstturnerinnen einen Schwatz mit einer indonesischen Badmintonspielerin, checken australische Ruderer ein und befinden sich kenianische Leichtathleten auf dem Weg zum Mittagessen.

Im Normalfall würde sich da mancher Sportfan die Augen reiben und die Frage stellen, ob er wohl wegen der Hitze unter Halluzinations-Symptomen leide. Im olympischen Dorf sind solche zufälligen Begegnungen aber eher die Regel als die Ausnahme und werden gerade deshalb von den Athleten in vollen Zügen genossen. Das "Village" ist gleichsam eine Oase und entschädigt für den Stress, den Olympische Spiele mit ihren ungewohnten Bedingungen oft mit sich bringen.

Mehr Stadt als Dorf

Der Begriff "olympisches Dorf" ist für das Gebiet im Stadtteil Achranes im Nordwesten Athens am Fuss des Parnitha-Bergs eigentlich unzutreffend. Der Athleten und Delegationsmitgliedern vorbehaltene Bereich ist etwa 1,5 Kilometer lang und 900 m breit und damit von der Grösse einer Schweizer Kleinstadt. Nach dem Sicherheitscheck gelangt man in eine kleine internationale Zone, die sämtliche Grundbedürfnisse des Alltags wie Bank, Café, Post, Blumenladen, Souvenirshop, etc., abdeckt und wo auch die traditionellen Fahnenaufzüge abgehalten werden.

Danach sticht bald das Verpflegungszelt ins Auge. Dort fühlt sich zwar garantiert niemand einsam, wer aber einen Bekannten sucht, muss unter Umständen das Handy aktivieren. Rund 5000 Leute können gleichzeitig verpflegt werden, wobei das kulinarische Angebot vom obligaten McDonalds-Food über asiatisch und Pasta bis hin zu griechisch reicht und daher keine Wünsche offen lässt. Unter anderem werden täglich rund 15 000 Liter Milch, 30 000 Eier, 300 Tonnen Früchte und Gemüse, 120 Tonnen Fleisch, 85 Tonnen Fisch und Meeresfrüchte, 25 000 Brote, 750 Liter Tomatensauce und 2 Millionen Liter Trinkwasser verbraucht.

Auf dem Gelände des "Dorfs" stehen Trainingsmöglichkeiten für viele Sportarten zur Verfügung. Die Anlage für die Leichtathleten ist ein wahres Bijou, auch die Schwimmer, Tennisspieler und Kraftsportler müssen das Dorf im Prinzip nur für die Wettkämpfe verlassen.

Den grössten Teil bildet die "Residential Zone". Dort entstanden in der letzten Woche in aller Eile noch viele Grünflächen, indem über einer Humusschicht Rasenteppiche gelegt wurden. Die Zone umfasst 366 Häuser und 2292 Wohnungen, die während der Spiele bis zu 16 500 Personen Platz bieten und - als guter Beitrag zur Nachhaltigkeit - im Endausbau dereinst 10 000 Menschen in Sozialwohnungen aufnehmen können.

Che Guevara und Helvetia

Auf den meisten Balkonen prangen Landesflaggen, mit denen das Territorium markiert wird. Einen Blickfang bildet die überlebensgrosse Statue von Che Guevara auf einem Balkon der kubanischen Delegation. Der zur Legende gewordene Revolutionär und Freiheitskämpfer wird für einmal bei einer seiner weniger bekannten Tätigkeiten gezeigt, dem Schachspiel, das er ausgezeichnet beherrschte.

Die Schweizer belegen (zusammen mit den Liechtensteinern) drei Häuser im Bereich "Pegasus". Neben roten Landesflaggen werden Athleten und Besucher vom neckischen Team-Maskottchen "Helvetia" begrüsst, der gute Laune verströmenden Kuh. Vis-à-vis sind die Russen untergebracht, ebenfalls in unmittelbarer Nähe die Deutschen und die Holländer.

Einfach, aber zweckmässig

Im Souterrain befindet sich die "Kommandozentrale" des Führungsteams von Swiss Olympic. In den oberen Geschossen liegen die Wohnungen mit jeweils vier Schlaf- und zwei Badezimmern sowie einem grosszügigen Aufenthaltsraum. Die Schlafzimmer, die sich zwei Athleten oder Betreuer teilen, sind spartanisch, aber zweckmässig eingerichtet: Auf rund 14 Quadratmetern stehen zwei Betten, Einbauschränke und ein Spiegel; alle Zimmer führen zum Balkon, von wo aus Teile der Stadt Athen überblickt werden können.

Trotz der relativ engen, für einige Athleten ungewohnten Platzverhältnisse dürfte kein Lagerkoller aufkommen. Neben einem Freiluftkino und einer Disco bieten weitere ungezählte Begegnungsplätze die Möglichkeit zu sportartenübergreifenden Kontakten.

(Marco Keller, Athen/Si)

 
Die Anfrage wurde abgebrochen: Timeout für Vorgang überschritten.
Source: http://www.news.ch/ajax/home_col_3_1_4all.aspx?adrubIDs=0