Der Bumerang absoluter religiöser Freiheit

publiziert: Donnerstag, 16. Apr 2015 / 07:24 Uhr / aktualisiert: Donnerstag, 16. Apr 2015 / 09:13 Uhr
Wicca-Altar: Dank Gouverneur Pence's Gesetz bald nächtliche Nackttänzer in Indianas Parks statt nur harmlose Altare?
Wicca-Altar: Dank Gouverneur Pence's Gesetz bald nächtliche Nackttänzer in Indianas Parks statt nur harmlose Altare?

Im US-Bundesstaat Indiana haben nicht nur Individuen, sondern auch Firmen religiöse Rechte, die vom Staat geschützt werden. Was als Bastion christlicher Moral gedacht war, entwickelt sich für ebendiese nun zum Rohrkrepierer.

4 Meldungen im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Interview mit den Betreibern von Memories Pizza
LA-Times zu den diskriminierenden Aspekten der LFA''s in Indiana und Arkansas
dailymail.co.uk

Wie legitimieren sich die Religious Freedom Acts?
Artikel über die Herkunft dieser Gesetze.
businessinsider.com

Religious Freedom Acts in 19 amerikanischen Bundesstaaten
Andere RFA-Staaten in den USA. Dieses Staaten haben diese Gesetze vielfach durch Anti-Diskriminierungsgesetze eingeschränkt.
washingtonpost.com

Religious Freedom Acts in Indiana und Arkansas
LA-Times zu den diskriminierenden Aspekten der LFA's in Indiana und Arkansas
latimes.com

Das Gesetz von Indiana im Wortlaut
Der betreffende Gesetzestext im Indystar.
indystar.com

Der Streit entzündete sich an etwas höchst profanem: Pizza nämlich. Crystal O'Connor, die Besitzerin des Restaurants Memories Pizza im beschaulichen Walkerton (Indiana, USA), verkündete vor laufender Kamera, dass ihre religiösen Überzeugungen es verunmöglichten, Schwulenhochzeiten mit ihren Produkten zu beliefern. Es sei für sie zwar in Ordnung, wenn Schwule bei ihnen im Restaurant essen würde (und wahrscheinlich hält sich Frau O'Connor deshalb für die Speerspitze christlicher Toleranz), aber da sie nicht «an Schwulenhochzeiten glauben würde», könne man leider, leider solche Veranstaltungen nicht beliefern.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass noch nie irgendwo auf dieser Welt Pizza die kulinarische Grundlage einer Schwulenhochzeit gewesen wäre (und Frau O'Connor später auch zugab, dass nie auch nur eine entsprechende Anfrage an ihr Unternehmen gerichtet wurde), ist es doch bemerkenswert, dass sich die Betreiberfamilie von Memories Pizza mit ihrer Haltung auf rechtlich einwandfreiem Gebiet bewegt: Ein neues Gesetz (Religious Freedom Law), das von Governeur Mike Pence (Rep) Mitte März verabschiedet wurde, erlaubt dies explizit.

Dabei ist es interessant, zu sehen, woher dieses Gesetz ursprünglich kommt. Gouverneur Pence bezieht sich nämlich auf ein Bundesgesetz von 1993, den Religious Freedom Restoration Act. Nötig wurde dieses Gesetz wegen Peyote rauchenden Ureinwohnern.

Im Fall Employment Division vs. Smith wurde zweien indianisch-stämmigen Angestellten einer Drogen-Rehab fristlos gekündigt, weil sie Peyote geraucht haben. Peyote ist ein Pilz, dessen Inhaltsstoffe (vor allem Meskalin) eine starke halluzinogene Wirkung haben und der aufgrund dessen von einigen Kulturen als «heilig» angesehen wird. So auch von den beiden Indianern, die nach der Kündigung Arbeitslosenhilfe beantragten, welche ihnen mit dem Hinweis verweigert wurde, dass sie an der Kündigung selbst Schuld tragen. Die beiden akzeptierten das nicht und verklagten den Staat Oregon mit dem Hinweis, dass der Konsum von Peyote zur religiösen Praxis ihrer Kultur gehöre. Zwar verloren die Indianer ihren Gerichtsprozess sowohl auf Bundesstaats- wie auch auf nationaler Ebene, aber bereits drei Jahre später wurde im Kongress der Religious Freedom Restoration Act verabschiedet, der es staatlichen Stellen verbot, Individuen «substantielle Hindernisse bezüglich der Ausübung ihrer Religion aufzuerlegen, sofern nicht ein überzeugender Grund dafür bestehe». In der Folge führten zahlreiche Staaten entsprechende Gesetze ein; bis heute haben 40% der amerikanischen Bundesstaaten Gesetze, welche Individuen vor staatlicher Repression schützen, wenn sich diese auf religiöse Praxis berufen. Speziell an Indiana (und auch Arkansas) ist die Tatsache, dass nicht nur Individuen, sondern auch Unternehmen diese religiöse Freiheit zugestanden wird.

Das TV-Statement von Crystal O'Connor hatte Folgen: Kurz nach Ausstrahlung des Interviews mussten die O'Connors ihr Restaurant schliessen, laut Betreiberfamilie, weil das Restaurant zur Zielscheibe des Mobs wurde. Entrüstete Bürger spendeten daraufhin mehr als 800'000 Dollar und es scheint, als ob der Pizza-Laden mittlerweile wieder im Business sei - soweit, so gut, der christlichen Moral scheint Genüge getan zu sein und alles ist im Staate Indiana wieder in Butter. Müsste man meinen.

Aber der Memories Pizza-Fall löste einen Dammbruch aus, denn dummerweise gilt das Religious Freedom Law nicht nur für Angehörige einer christlichen Konfession, sondern für Anhänger aller Religionen. Egal wie verrückt die religiöse Praxis ist - und es gibt hier unwahrscheinlich verrücktes Zeug - man darf sie nicht verbieten, solange kein zwingender Grund vorhanden ist.

Eine dieser verrückten Gruppen sind die Wicca-Anhänger, die sich als die Nachfahren der Hexen verstehen. Und diese Gruppe plant, die neu geschaffenen religiösen Freiheiten auch weidlich auszunutzen. In einem Interview mit The Daily Beast sagte der Hohepriester der Aquarian Tabernacle Church, Dusty Dionne, er halte das Gesetz zwar für «furchtbar», sehe darin aber auch eine einzigartige Möglichkeit, seinen Anhängern die freie Ausübung ihres Glaubens zu ermöglichen. Denn wenn der Staat keinerlei Einfluss mehr auf religiöse Praktiken habe, seien Wicca-Anhänger auch frei, Drogen wie Marihuana oder Meskalin zu konsumieren, Polygamie zu betreiben und während Vollmondnächten nackt in Stadtparks zu tanzen - alles Praktiken, die durch das heilige Buch der Wicca, The Charge of the Goddess, gedeckt seien. Gouverneur Pence habe hier eine Pandora-Büchse geöffnet, die er ihm mit Freuden unter die Nase zu halten gedenke.

Diesem ist der Shitstorm, der über seinen Staat zog, bereits nicht mehr ganz geheuer und kürzlich kündigte Pence an, das neue Gesetz mit einem Zusatz auszustatten, dass keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Veranlagung stattfinden dürfe. Ironischerweise und wohl nicht ganz im Sinne seiner Klientel würde das Indiana zum Vorzeigestaat befördern, wenn es um LGBT-Rechte geht.

(Claude Fankhauser/news.ch)

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