Der Nachrichtendienst verhöhnt den Rechtsstaat

publiziert: Mittwoch, 7. Jul 2010 / 14:09 Uhr

Die Frage der Woche lautete: Hat die Schweiz einen neuen Fichenskandal? Heute der Beitrag von Michael Köpfli. Michael Köpfli (27) ist Berner Stadtrat und Fraktionspräsident der glp, seit 2010 Vorstandsmitglied der Grünliberalen Schweiz und Master-Student in Volkswirtschaft/Politikwissenschaft.

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Zitat: «Es ist dringend angezeigt, dass die Schweiz dem Datenschutz wieder mehr Gewicht zukommen lässt und so die individuelle Freiheit in unserem Land nachhaltig schützt».

Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation bringt erschreckendes ans Tageslicht, der Nachrichtendienst bricht bei der Erstellung von Personenakten offenbar systematisch die gesetzlichen Vorgaben. Von den rund 200'000 fichierten Personen sind nicht weniger als 80'000 sogenannte Drittpersonen, welche selbst gemäss Nachrichtendienst nicht direkt staatsschutzrelevant sind, sondern einzig Kontakt oder Bezug zu einer angeblich staatschutzrelevanten Person haben.

Die neuerliche Fichenaffäre erschüttert das Vertrauen in den Schweizer Rechtsstaat. Es ist skandalös, dass sich der Staatsschutz 20 Jahre nach dem Fichenskandal offenbar weiter einen Deut um die geltenden Gesetze kümmert und der Bundesrat – trotz Aufsichtspflicht – den Nachrichtendienst offenbar gewähren lässt.

Die Politik ist nun gefordert. Umso erstaunlicher ist, dass gerade viele Vertreter der angeblich liberalen FDP - welche sonst stets «Mehr Freiheit, weniger Staat» rufen - beim Thema Datenschutz blind sind. Erinnert sei an die Abstimmung über die biometrischen Pässe, wo von Seiten des Bundesrates und der befürwortenden Parteien (allen voran der FDP) stets versichert wurde, dass keinerlei Missbrauchspotential bestehe. Verweise auf den Fichenskandal vor 20 Jahren wurden belächelt und als haltlos betitelt, da sie in der heutigen Zeit jeglicher Grundlage entbehrten. Die aktuellen Ereignisse zeigen wahrlich ein anderes Bild...

Als Liberaler bin ich ein Verfechter der wirtschaftlichen und der persönlichen Freiheit. Heute wird die Freiheit aber leider allzu oft einseitig als Wirtschaftsfreiheit definiert. Ändert sich dies nicht, droht die Schweiz zu einem Schnüffel- oder gar zu einem Präventivstaat zu verkommen.

Es ist deshalb dringend angezeigt, dass die Schweiz dem Datenschutz wieder mehr Gewicht zukommen lässt und so die individuelle Freiheit in unserem Land nachhaltig schützt. Als erster Schritt dazu muss nun ein besseres Auskunftsrecht über mögliche Fichen über die eigene Person eingeführt werden. Es ist eine Farce, dass man heute diese Auskunft nur dann erhält, wenn man darlegen kann, dass einem «ein erheblicher, nicht wiedergutzumachender Schaden droht», falls man von einer allfälligen Fichierung nichts erfährt.

Neben dem Auskunftsrecht müssen die neuerlichen Verfehlungen des Nachrichtendienstes natürlich systematisch aufgearbeitet werden und die notwendigen personellen und institutionellen Konsequenzen gezogen werden. Insbesondere muss die Aufsicht über den Nachrichtendienst verbessert werden.

(von Michael Köpfli/news.ch)

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