Der rosa Elefant im Garten

publiziert: Dienstag, 16. Jun 2015 / 15:29 Uhr / aktualisiert: Dienstag, 16. Jun 2015 / 15:50 Uhr
Wenn Sie das im Garten sehen können Sie entweder ihr Leben dem Elefanten widmen oder einen Realitätscheck durchführen.
Wenn Sie das im Garten sehen können Sie entweder ihr Leben dem Elefanten widmen oder einen Realitätscheck durchführen.

Was tun, wenn ein rosafarbener Elefant im Garten sitzt? Man kann ihn zum Haustier machen. Oder man kann einen Realitätscheck durchführen.

Erinnern Sie sich an das Märchen «Des Kaisers neue Kleider»? Die Schneider des Kaisers wissen nicht mehr, wie sie den extravaganten Wünschen ihres gekrönten Kunden nachkommen können und behaupten schliesslich, sie hätten ihm Kleider aus einem exquisiten, unsichtbaren Material geschneidert. Man würde heute beim Kaiser von einem Fashion Victim sprechen, denn kaum hat er von dieser Mode vernommen, zögert er keine Sekunde diese anzulegen und er präsentiert sich so stolz seinem Volke. Ein grosses «Aaaaah!» und «Ooooooh!» geht durch das Volk, denn niemand wagt es, den Kaiser darauf hinzuweisen, dass er nackt durch die Strassen promeniert. Nur ein Kind zeigt auf den Kaiser und ruft: «Der Kaiser ist ja nackig!», worauf sich diese Aussage wie ein Lauffeuer unter dem Volk ausbreitet. Trotzdem setzt der Kaiser seine Promenade unbeirrt im Adamskostüm fort.

Natürlich - es ist nur ein Märchen. Im realen Leben wäre das Kind höchstwahrscheinlich von den Schergen des Kaisers in den Blutturm geworfen und die Mode, sich in «unsichtbare» Kleidung zu hüllen, wäre im Volk zur Tradition geworden (man denke hier an das höfische Lispeln im Spanischen). Das Märchen verweist aber auf eine wichtige Tatsache: Auch wenn ein ganzes Volk an etwas glaubt, muss es nicht zwingend wahr sein. Es ist irrelevant für die Existenz eines Gottes, ob fünf Milliarden Menschen an ihn glauben. Realität ist keine Frage der Demografie und schon gar keine der Demokratie. Und ganz sicher ist Realität keine Frage des Respekts.

Wenn ich behaupte, dass Gläubige unter einer Wahrnehmungsstörung leiden, weil sie die Stimme Gottes hören, ist das keine Beleidigung und keine Respektlosigkeit. Wir alle leiden hin und wieder unter Wahrnehmungsstörungen. Sei es als Folge von Alkoholkonsum. Sei es, weil uns eine Midlife Crisis vorgaukelt, wir seien trotz Halbglatze und Bierbauch für Sexualpartner begehrenswert, die ein Drittel so alt sind wie wir selbst. Sei es, weil wir einen Kaviar-Geschmack, aber ein Pizza-Einkommen haben. Oder sei es, weil wir partout nicht erkennen wollen, dass nicht der Rest der Welt der Grund ist, warum wir keine Freunde haben, sondern wir selbst. Wahrnehmungsstörungen sind ein Teil davon, was uns als Individuen ausmacht. Es ist absolut normal, nicht die vollständige Kontrolle über sich selbst und seine Körperfunktionen zu haben - das schliesst das Gehirn explizit mit ein.

Entsprechend schwierig ist es, selbst festzustellen, dass man unter einer Wahrnehmungsstörung leidet. Der einzige Weg, um dies zu merken, besteht darin, sich mit der Restwelt abzugleichen.

Wenn ich einen rosaroten Elefanten bei mir im Garten sitzen sehe, kann ich ihm einen Namen geben und beginnen, ihn zu füttern. Ich kann meine Arbeitsstelle kündigen und mein Leben der Pflege meines neuen Haustieres widmen. Ich kann meine Gartensitzecke abbrechen und stattdessen einen Stall für meinen rosafarbenen Freund zimmern - unter Beachtung der lokalen Bauvorschriften, selbstredend. Kurz, ich kann mein gesamtes Leben in den Dienst dieses einen rosafarbenen Elefanten stellen. Und, das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen, ich könnte mit diesem Elefanten vielleicht sogar ein glückliches Leben führen.

Alternativ könnte ich stattdessen einen Stock höher bei meinem Nachbarn klingeln. Ich könnte ihn runter bitten und ihm ganz unverblümt sagen, da stehe was Komisches in meinem Garten rum und ich möchte gerne seine Meinung dazu hören. Ich würde mit meinem Nachbarn runtergehen und ihn beobachten, wie er schaut. Wie er «hmmm» sagen würde und «soso». Wie er schliesslich eine leere Whiskyflasche vom Boden auflesen, an meinem Atem riechen und «Heureka!» rufen würde. Und ich würde meinem Nachbarn auf die Schulter klopfen, ihm herzlich danken und mein gewohntes Leben wieder aufnehmen, während sich in meinem Garten ein nicht existierender rosafarbener Elefant langsam und parallel zu meiner zunehmenden Wiederernüchterung in einem rationalen Rauchwölklein auflösen würde.

Ich vermeide es tunlichst, an der einen oder anderen Lebensweise ein allgemein gültiges Schild wie «richtig» oder «falsch» anzukleben. Letztlich liegt es an Ihnen, ob Sie in der realen Welt leben möchten oder einer, die Sie sich vorstellen. Versuchen Sie aber trotzdem einmal, kleine Kinder, die vehement darauf hinweisen, dass Ihr Genital zu sehen ist, nicht direkt in den argumentativen Blutturm zu werfen, sondern alllenfalls mal einen Blick in Richtung Ihres Schritts zu wagen. Wenn Sie schon dabei sind, hinterfragen Sie am besten auch mal diejenigen, die Ihre Meinung konstant bestätigen.

Denn Sie wollen ja wohl nicht nackig durch die Stadt laufen - oder?

(Claude Fankhauser/news.ch)

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