Bereits weitergezogen

Die 2000 Mineure des Gotthard-Basistunnels sind Namenlose geblieben

publiziert: Samstag, 28. Mai 2016 / 14:19 Uhr
Wehmut, Stolz und Genugtuung empfindet Rene Kaufmann, wenn er an den Tunnel denkt.
Wehmut, Stolz und Genugtuung empfindet Rene Kaufmann, wenn er an den Tunnel denkt.

Bern - Sie schwitzten und schufteten unter Tage - 17 Jahre lang, rund um die Uhr, an 360 Tagen. Wenn der Gotthard-Basistunnel nächste Woche feierlich eröffnet wird, sind viele der 2000 Mineure, die das Jahrhundertwerk erschaffen haben, jedoch bereits weitergezogen.

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Wehmut, Stolz und Genugtuung empfindet Rene Kaufmann, wenn er an den Tunnel denkt. «Es ist seltsam, dass die Arbeit auf einmal zu Ende ist.» Kaufmann, ein Hüne, leuchtende Weste, fester Händedruck hat in den vergangenen 14 Jahren im Gotthard-Basistunnel gearbeitet. Zuerst in der Grubenwehr, dann als Disponent und später als Lokführer in Sedrun GR, wo wegen der schwierigen geologischen Verhältnisse nur Sprengstoff zum Einsatz kam.

Arbeit unter Extrembedingungen

Sprengen ist die Königsdisziplin im Tunnel. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Der Sprengmeister macht den letzten Kontrollgang, dann wird gezündet.

Die Detonation ist ohrenbetäubend, die Druckwelle gewaltig, und es ist unmöglich ihr auszuweichen. Beissender Ammoniakgeruch steigt den Mineuren in die Nase. Es ist feucht, staubig und bis zu 50 Grad heiss. So schildert der 46-Jährige seinen damaligen Arbeitsalltag. «Ich musste Kollegen aus dem Tunnel tragen, weil sie kollabiert sind.»

Die Schichtarbeit im Herzen des Berges ist hart: Zehn Tage schuften, vier Tage frei. Nicht selten wechselt jemand rasch den Job. «Entweder du bist gemacht für den Tunnel oder nicht.» Kaufmann macht den Job seit 30 Jahren. Er wurde ihm in die Wiege gelegt. Schon der Urgrossvater und Opa haben in der Esse geschuftet. In Sangerhausen sei das Tradition. Die ostdeutsche Kleinstadt war jahrzehntelang für ihr reines Kupfererz bekannt - bis nach der Wende der Niedergang einsetzte. Und Kaufmann in die Schweiz kam.

Menschliche Dramen

Seit er 16 Jahre alt ist, arbeitet er im Bergbau. Dabei hat sich der Arbeitsalltag dramatisch verändert: Während er das Handwerk von der Pike auf erlernt hat, übernehmen heute satellitengestützte Maschinen viele Aufgaben. Die ersten Arbeiter rückten dem Gestein gar noch mit Pickel und Schaufel zu Leibe. Für Kaufmann ist die Herausforderung aber dieselbe geblieben: dem Berg einen Tunnel abzutrotzen.

Was bleibt ist das Risiko: Trotz modernster Technologie fährt die Angst mit, wenn bei Sedrun der Lift 800 Meter in die Tiefe fällt und ein neuer Arbeitstag beginnt. Lose Felsblöcke, Chemikalien, Brände oder Unfälle mit Maschinen: Im Berg lauern viele Gefahren.

Das musste Kaufmann auch schmerzlich erfahren. Im Tunnel verloren zwei Kollegen ihr Leben. In Erinnerung bleibt ihm vor allem der 28-jährige Deutsche, der kurz zuvor Vater geworden war, und zwischen zwei Schotterwagen eingequetscht wurde.

«Es waren schwere Momente, auch weil die Unfälle vermeidbar gewesen wären», sagt Kaufmann. Sein Landsmann hatte vergessen, den Notknopf zu drücken, um den Betrieb zu unterbrechen. Ein Mineur müsse nicht nur Respekt haben vor dem Berg, sondern auch vor der Maschine. Bergleute zählen aber auch auf die Heilige Barbara. So gibt es keine Tunnelbaustelle, bei der nicht am Eingang eine Statue der Schutzpatronin wacht.

Einsames Leben

Es sind nicht nur Schicksalsschläge, welche die Tunnelarbeiter zusammenschweissen. So unsichtbar die Schufterei im Berg, so abgeschieden leben die Männer. Am Dorfrand von Sedrun wohnte Kaufmann in einem Containerdorf oberhalb der Baustelle. Jeder hatte Anrecht auf ein Einzelzimmer, WC und Bad waren auf der Etage. Gegessen wurde in der Kantine, in den Zimmern war Kochen verboten.

Die Mineure stammen allesamt aus dem Ausland: Es sind vorwiegend Deutsche, Österreicher, Portugiesen und Italiener. Kameradschaft wird gross geschrieben. «Wir sind eine kleine Familie», sagt Kaufmann. Und so lädt man sich zur Grillade ein, spielt gemeinsam Fussball oder Karten. Noch heute steht er mit einigen Kollegen in Kontakt - «Facebook sei dank».

Pendeln zwischen Schweiz und Heimat

Erst der Schichtbetrieb ermöglicht ein wirkliches Familienleben. Nach acht Arbeitstagen setzt sich Kaufmann ins Auto und fährt 800 Kilometer weit. Fünf Tage verbringt er mit seiner Frau und den zwei Söhnen, dann geht es zurück in die Schweiz.

Es sei ein merkwürdiges Gefühl, Gast im eigenen Haus zu sein, sagt Kaufmann. In einem Streit sagte sein Sohn einmal: «Du bist ja nie da, wenn wir dich brauchen.» Ein Umzug war für die Familie aber keine Option. Er hätte ja nicht wissen können, dass er 14 Jahre in der Schweiz bleiben werde.

Wie es nun für den Mineur weitergeht, ist offen. Kaufmann ist etwas konsterniert. Er hätte hierzulande mehr Wertschätzung erwartet. «Ist der Tunnel fertig, lassen sie dich wie eine heisse Kartoffel fallen.»

Zurzeit führt er die letzten Unterhaltsarbeiten im Tunnel durch. Die Tage sind gezählt: Sein Arbeitsvertrag läuft einen Tag vor der feierlichen Eröffnung des Basistunnels aus. Er hat sich bereits beim RAV angemeldet. Dass er etwas anderes als Bergarbeit machen wird, ist schwer vorstellbar. In der Schweiz ist er an der Gotthardstrasse in Schattdorf UR gemeldet. Einmal Tunnel, immer Tunnel.

(kjc/sda)

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