Die Logik einer Tragödie

publiziert: Donnerstag, 4. Mai 2006 / 11:50 Uhr / aktualisiert: Montag, 8. Mai 2006 / 16:11 Uhr

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Die Tragödie um Corinne Rey-Bellet wird immer erschütternder. Nach dem Mord an seiner schwangeren Frau und ihrem Bruder hat sich gestern der flüchtige Ehemann, Gerold Stadler, in einem Wald erschossen. Vermutlich realisierend, was er in jenen Sekunden der rasenden Wut angerichtet und vernichtet hat. Zurück bleiben nur Opfer – der zweijährige Sohn, nun Vollwaise, die Eltern, die Verlobte des Bruders. Es ist zum Heulen.

Im Windschatten dieser tief traurigen Geschichte drang eine andere Story an die Oberfläche. Die Tatsache, dass die Schweiz, was Tötungen auf Grund von Familienkonflikten einen traurigen Spitzenplatz in der westlichen Welt einnimmt. Dies – auf die Bevölkerung hoch gerechnet – sogar noch vor den USA. Die Ursache darin sehen Experten in der leichten Erhältlichkeit von Schusswaffen einerseits und dem Vorhandensein von Ordonanzwaffen in sehr vielen Haushalten.

Dass Schweizer aber trotzdem recht friedliebend sind, zeigt sich daran, dass die gesamte Anzahl Schusswaffenopfer immer noch vergleichsweise (sowieso mit den USA) niedrig sind. Trotzdem wird die Frage gestellt, ob und wie viel strenger das Schusswaffengesetz in der Schweiz werden müsste. Doch die Fälle, auf die jetzt ein Schlaglicht fällt, würden vermutlich durch ein anderes Waffengesetz gar nicht verhindert werden. Denn meistens – wie auch im Fall Rey-Bellet – sind die Waffen im Besitz von gut beleumundeten, wenn nicht sogar angesehenen Bürgern. Nicht selten handelt es sich dabei um Ordonanzwaffen, Waffen, die immer noch zum Selbstverständnis vieler Schweizer dazu gehören.

Betrachtet man die 'Waffendichte' der Schweiz, ist die totale Anzahl der Opfer sogar als erstaunlich gering zu betrachten, wobei jedes Opfer eines zu viel ist. Was aber schockiert – und, wie wir sehen werden, einer grausamen Logik entspricht – ist der Einsatzort, wenn denn getötet wird: Der engste Familienkreis gerät mit meist tödlichen Folgen in die Schussbahn.

Familienkonflikte sind meist hoch-emotionale Auseinandersetzungen. Seelische Abgründe können bei solchen Gelegenheiten aufgerissen werden. Wenn solche Konflikte ins gewalttätige umschlagen, kommen bei geistig gesunden Menschen aber immer Hemmschwellen ins Spiel. Bei engem Körperkontakt finden sehr wohl Misshandlungen statt, aber vielfach lässt ein Angreifer vom Opfer doch noch ab. Tötungshemmungen sind in uns allen eingebaut, werden aber in extremen Situationen womöglich erst durch die Interaktion mit dem Opfer ausgelöst.

Wird ein Angriff aber mit einer Schusswaffe gemacht, gibt es keine solche Interaktionen mehr. Vom Aggressionsimpuls bis zur Tötung vergehen meist nur Sekunden. Die Evolution hat unser Verhalten nicht auf Schusswaffen hin ausgerichtet. Das Opfer ist tot, bevor der Aggressionsdialog je beginnen konnte. Der Mord ist passiert, das Leben des Opfers zerstört, jenes des Täters ruiniert. Dass danach meistens ein Selbstmord folgt, entspricht einer fast zwingenden Logik.

So sind denn die Schusswaffen an solchen Tragödien Schuld, doch ein pauschales Verbot wäre keine Lösung. Der illegale Waffenhandel würde in der Folge aufblühen, das Problem aus den Familien auf die Strasse verschoben werden. Doch mit so viel Idealismus kann man die Existenz von Schusswaffen nicht mehr aus der Welt bringen, und schon gar nicht aus der Schweizer Tradition verbannen.

Das Problem scheint keine griffige Lösung zu kennen. Es lässt sich unmöglich bestimmen, welcher legitime Waffenbesitzer eines Tages in einen tödlichen Familienstreit verstrickt und in einen hoch emotionalen Konflikt eine Waffe einbringen wird, die kein Halten, keinen Schritt zurück mehr erlaubt, kam sie erst mal zum Einsatz. So wird es weitere solche Dramen geben – zu hoffen, dass sich der Mensch und seine Emotionen an die moderne Technik bald anpassen werden, ist illusorisch.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)

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