Die Tragödie um die französische Nummer 10

publiziert: Dienstag, 11. Jul 2006 / 08:39 Uhr

Um 22.19 Uhr verschwand Zinédine Zidane im Gang zu den Kabinen. Die grosse Nummer 10 verabschiedete sich auf tragische Weise und mit einer roten Karte vom Weltfussball.

Abgang von Zinedine Zidane nach der roten Karte.
Abgang von Zinedine Zidane nach der roten Karte.
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Im verlorenen WM-Final gegen Italien zeigte er ein letztes Mal alle Facetten seiner Karriere -- genial bis fatal.

Eine auf den ersten Blick harmlose Szene weitete sich innert Sekunden zur sporthistorischen Tragödie aus, die Hunderten von Millionen Fans so sehr in Erinnerung bleiben wird wie die «Hand Gottes» von Diego Armando Maradona.

Nach einem abgewehrten Angriff der Franzosen kam es zu einem kurzen Wortwechsel zwischen Zidane und Marco Materazzi. Die Botschaft des Italieners löste beim französischen Captain etwas Teuflisches aus: Zidane drehte um und rammte dem Verteidiger mit brachialer Gewalt den Kopf gegen das Brustbein.

Die beim wunderbaren Penaltytor verbreitete Magie wich auf einen Schlag dem Irrsinn. So brillant Zidane immer wieder war, so grenzenlos wütend konnte der vom französischen Dokumentarfilmer Stéphane Meunier («Les yeux dans les Bleus») zum Buddha (v-)erklärte Spielmacher sein.

Schon beim Strassenkick Selbstjustiz

14-mal wurde Zidane während seiner Karriere vom Platz gewiesen. Schon auf den Quartierstrassen von Marseille hatte «Yazid» zur Selbstjustiz gegriffen. Diese Haltung legte er nie mehr ab; auch im 108. und letzten Länderspiel vor den Augen der Weltöffentlichkeit nicht.

Spielentscheidend war die beispiellose Entgleisung wohl nicht, aber sie wird einen Schatten auf Zidane werfen, der womöglich in keinem Verhältnis zu den grossartigen Leistungen des Magiers steht.

Bilder gingen um den Globus

Die Bilder mit dem brutal zustossenden Zidane gingen um den Globus und werden bei keinem Rückblick auf die Endrunde 2006 fehlen. So wie Aimé Jacquet, der Weltmeister-Trainer von 1998, sah es gewiss die Mehrheit: «Es war schrecklich, ihn so abtreten zu sehen.»

Aus Respekt zur Figur Zidane äusserte sich (bislang) keiner der französischen Entscheidungsträger negativ. Verbandspräsident Jean-Pierre Escalettes sagte nur, dass es ihm nicht zustehe, von Zidane eine Erklärung zu fordern.

Unglücklicher Mann

«Ich will ihn weder beschuldigen noch über ihn richten. Man sollte nicht auf diesen Künstler schiessen.» Auf die Frage, in welcher Verfassung er Zidane in der Garderobe vorgefunden habe, antwortete Escalette nur: «Ich habe einen unglücklichen Mann gesehen.»

Auch Nationalcoach Raymond Domenech nahm seinen Captain in Schutz. Zidane habe natürlich gefehlt in den letzten 20 Minuten. «In der Balance des Spiels wog der Ausfall schwer. Aber wenn einer so viele Schläge einsteckt und der Schiedsrichter alles grosszügig zulässt, kann man das zwar nicht entschuldigen, aber doch mindestens verstehen.»

Wie erkläre ich es den Kindern?

Deutlicher äusserte sich hingegen die französische Presse zur unglaublichen Aggression von Zidane. «Zidane, der verpasste Abgang», titelte «L´Equipe» auf der Frontseite. Es sei schwer, den Millionen von Kindern zu erklären, wie man so die Selbstkontrolle verlieren könne.

«Er hatte nicht das Recht, die Blauen zu zehnt zurückzulassen. Er hatte nicht das Recht auf eine Provokation von Materazzi so zu reagieren. Er hatte nicht das Recht, auf diese Weise abzutreten», kritisierten die Kommentatoren der «L´Equipe» Zinédine Zidane.

Viel verloren

«Das Land verlor einen Star, ohne einen Stern zu gewinnen.» Die Kernaussage der «Libération» ist treffend. Frankreich hat in der Tat viel verloren, auch den Final. Zidane selber hat wohl noch mehr verloren.

Nie mehr wird der unkontrollierbare Zauberer seinen unwürdigen Abgang beschönigen können. Neue wunderbare Augenblicke und Tore werden von ihm nicht mehr zu sehen sein. Es war sein letzter Auftritt -- nicht mit dem Fuss, sondern mit dem Kopf. Und doch ohne.

(Sven Schoch, Berlin/Si)

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