Die lebendige Münze

publiziert: Mittwoch, 16. Jan 2013 / 10:19 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 16. Jan 2013 / 11:20 Uhr
Wirtschaftsgut Mensch: Vom Sklaven zum Organdepot und Währung an sich.
Wirtschaftsgut Mensch: Vom Sklaven zum Organdepot und Währung an sich.

Simon Schmid vom TagesAnzeiger berichtet gestern auf Newsnetz: «Das Börsenfieber ist zurück.» Der Finanzkapitalismus macht fröhlich weiter als wäre nie die Börse gecrasht und wir tanzen weiterhin auf dem Vulkan. Dies sind nicht nur in pekuniärer Hinsicht schlechte Nachrichten für uns Steuerzahlende, sondern dies lässt auch im Hinblick auf Politik und Demokratie nichts Gutes erhoffen.

Ich nehme diese Meldung zum Anlass, um Ihnen das neuste und komplexe Buch von Christina von Braun «Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte» vorzustellen. Christina von Braun ist Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin und eine der ausgwiesensten Kennerinnen von Geschichte, Philosophie und Psychologie. Ihr über 510 Seiten langes Werk empfehle ich Allen, die auch Tomas Sedlacek's Buch «Ökonomie von Gut und Böse» interessant finden. Beide Autoren beschäftigen sich eigentlich mit dem Thema, das hier schon von Patrik Etschmayer aufgegriffen wurde, nämlich Geld als Funktionselement einer neuen Religion.

Auch Christina von Braun erzählt uns vom religiösen Ursprung des Geldes. Lustigerweise erinnern die zwei Striche auf unseren Währungen an die Stiere, die seit Urzeiten irgendwelchen Göttern geopfert wurden. All diese religiösen Ursprünge sind vergessen, ebenso wie die Fruchtbarkeitsgöttinnen auf den Münzen - oder sollen wir die Abbildung der Queen auf dem englischen Pfund noch als solche interpretieren? Bei der schönen Helvetia auf dem Zweifränkler fällt uns dies schon leichter.

«Geld stinkt vielleicht nicht, aber an ihm klebt seit Jahrtausenden Blut: Der menschliche Körper ist heutzutage mehr als je zuvor ein eigentlicher Goldstandard, eine lebendige Münze» wie dies der französische Schriftsteller Pierre Klossowski beschreibt. Der globale Menschen- und Kinderhandel ist eine gewinnbringende Tauschbranche, wo sich Produzenten nicht mehr wie im 19. Jahrhundert «Frauen leisten», sondern mit Frauen und Kindern regelrecht bezahlt werden. Die «Vergnügungsfahrten» von Siemens, von VW, die Boni-Feiern der Wallstreetbanker sind hier deutlich: Frauen und Kinder haben kein Geld, sie sind das Geld. Auch in den beliebten TV-Serien hält sich die Geld-Menschenopfergeschichte: In «How I met your mother», dem «Friends» der Nulljahre werden Frauen wie Aktienkurse gehandelt. In «Two and a half men» gehört der Kauf einer Prostituierten mittlerweile ebenso zum guten Ton wie das tägliche Benutzen von Zahnseide.

Der Historiker Valentin Groebner und der Historiker Philipp Sarasin schreiben an voluminösen Körpergeschichten und erzählen uns lapidar: «Tja, das ist nichts Neues. Der Mensch als Rohstoff wandert durch die Geschichte.» Beide sind aber zu wenig politisch um zu erkennen, welche direkten Konsequenzen diese modernen Menschenopfer und welchen direkten Link sie mit dem galoppierenden Finanzkapitalismus haben.

Kein Seminar, kein Ethikrat, keine politische Kommission beschäftigt sich mit der immer brennenderen Frage, inwiefern Geld nicht mehr nur Menschenopfer verlangt, sondern in seiner Funktion den Menschen auslöscht, umformt, neu selektioniert. Im Kapitel von Christina von Braun über den monetären Zusammenhang mit der Reproduktionstechnologie sowie der pharmazeutischen Menschen-Versuchsanlagen in Afrika und Indien erinnert alles an vergangene Zeiten, die statt einer Herrenrasse nun eben eine genetisch konsumable Geldrasse heranzüchtet.

Braun zeigt, dass mittlerweile nicht einfach die menschliche Arbeitskraft ausgebeutet wird, sondern Geld direkt auf den menschlichen Körper greift. Die Entfremdung ist die Enteignung unserer Organe, unserer Ei- und Samenzellen, unserer Brüste etc.

Ob Prostitution oder Kinderherstellungsfabriken (Reproduktionstechnologie) - der Mensch ist die einzig reale Absicherung des entkörperlichten Geldes geworden. Anders als bei den Nationalsozialisten ist dem freien Markt alles erlaubt, es gibt keinen Churchill, der die Werte der Menschlichkeit selbst unter widrigen Umständen verteidigen will.

Dank der Privatisierung aller menschlicher Zusammenhänge sind deshalb die eugenischen Programme der Nationalsozialisten en vogue, nur benennt dies niemand so klar, weil ja historische Vergleiche immer etwas hinken und über den Nationalsozialismus nur noch entpolitisiert à la Spielberg diskutiert werden darf.

Klar will niemand behaupten, er und sie bestellten sich ein Designbaby. Selbst über die Invitro-Fertilisation halten die meisten Menschen ihre Klappe, weil sie instinktiv fühlen: Hier geht etwas nicht mit richtigen Dingen zu. Ja klar! Hier werden gegen teures Geld Kinder hergestellt. Hier werden gegen teures Geld Hormone in den weiblichen Körper gepumpt, hier werden Eizellen geerntet (so nennen es die Reproduktionsmediziner: egg cell harvest)- schon mal dazu Gedanken gemacht?

Kein Mensch will oder gibt zu, in einer Welt leben zu wollen, in der reiche Eltern genetische Wertsteigerung für ihre Sprösslinge kaufen während Arme auf die Gnade der Natur angewiesen sind. Nur Wenige befürworten offen ihren Bestellzettel nach Geschlechts- oder andere Selektionen. Aber individuell, von Fall zu Fall macht die genetische Selektion oft Sinn. Aha. Ist es der Staat, dann realisieren wir, dass die Technik schlecht ist, ist es das Individuum, dann hat der Markt schon recht. Voilà die neue Religion!

Klar doch: Auch in der frühen Neuzeit steht der menschliche Körper im christlichen Abendland als «Ware am Schnittpunkt zwischen moralischem Diskurs und juristischer Kategorie.» Eidgenössische Söldnerfamilien kriegten von ihren gefallen Söhnen oft Geld für die Weiterverwertung der Leichen der betreffenden Söhne. Diese Ware tauchte locker als Körperrechnungen auf. Menschliche Leichen waren schon in der frühen Neuzeit knapper Rohstoff - meist für medizinische Untersuchungszwecke, Fett und Seife. Körperteile wurden als Rohmaterial gegen Geld gehandelt, gestohlen und weiterverkauft. In «La merda d' artista» nimmt Piero Manzoni diesen Gedanken für die Spätmoderne wieder auf, ebenso wie er das abgesaugte Fett Berlusconis als Seifen-Kunststück exponiert.

Menschen- und Kinderhandel in Prostitution und Reproduktionsindustrie (indische Leihmütter) inkarnieren wie kein anderen «Produktionsfelder», dass Geld zum Mass für den Menschen und der Mensch zum Mass für das Geld geworden ist. Das «erotische Kapital» der Frauen ist nicht Geld, sondern ihr Körper - im menschlichen Körper verdichtet sich das Geld und findet im Finanzkapitalismus seine Abstützung. Der Oxford English Dictonary definiert das Kapital als «akkumuliertes Vermögen, das zur kollektiven Reproduktion eingesetzt wird.» Christina von Braun macht daraus: «Geld kann sich vermehren, Menschen können sich vermehren - warum nicht beide Fortpflanzungsarten miteinander verbinden?»

Die englische Zweipfundnote macht genau das: Sie zeigt auf der einen Seite der Medaille die Queen, auf der anderen die Doppelhelix. Bäng. Hier haben wir den Materialismus der herrschenden Wissenschaften mit der herrschen Macht verknüpft.

So. Alles klar? Aus der Lektüre von Christina von Braun sehe ich das, was ich an anderen Orten schon öfters beschrieben habe. Es besteht ein gefährlicher Komplex zwischen Biologisten und Finanzkapital. Die einen versuchten via berechtigtem und begründetem Atheismus den Menschen zu emanzipieren, binden ihn aber wie keine andere Ideologie an den Körper des Menschen, der dem Finanzkapital wie jede andere Ware mittlerweile so harmonisiert und austauschbar geworden ist, dass er an der Börse gehandelt werden kann. Der Kinder- und Frauenhandel sind nicht einfach Exzesse im galoppierenden Finanzkapitalismus, sondern konstituieren diesen nach dem klassischen Prinzip von Angebot (arme Drittweltmenschen, die ein Organlager für westliche Menschen anbieten oder Leihmütter für infertile Westmenschen darstellen) und Nachfrage.

Und: Jetzt kommt der Hammer. Die historisch gewachsene, immer stärker werdende Verknüpfung von Geld und Körper lässt sich direkt mit der Emanzipation der Frauen in Verbindung setzen. Was als Feminismus in der Geschichte begann hat sich nun in Verdinglichung gewandelt.Sie sehen: Brauns Buch ist voller Denkanstösse und neuen Ansätzen. Schade, dass sie oft Sätze schreibt, die aufgrund ihres Nebels ärgern: «Reproduktion ist nicht nur metaphorisch, sondern auch faktisch in Kategorien von Geld zu denken. Es gibt nicht nur einen Sextourismus, sondern auch einen Fertilitätstourismus - und beide bewegen sich in denselben Bahnen wie der intensivste Geldfluss.»

Der entkörperlichte Finanzkapitalismus entwickelt sich bei genauerem Hinsehen sowohl an den Universitäten, in den Medien, im Bildungs- und Gesundheitssystem sowie wie im Unterhaltungskomplex mehr und mehr zu einem regelrechten Body Snatcher, zu einem mannigfaltigen Körperfresser. Und es tut Not, weiter darüber zu diskutieren, wie wir den Trend der Absicherung der Börse in unseren eigenen Körpern und den unserer Kinder aufhalten können. Im Moment sind wir voll im Trend als Menschen lebendige Münzen zu werden.

Literatur:

Christina von Braun, Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte. Aufbauverlag ISBN 978-3-315-02710-0, 3. Auflage 2012

Pierre Klossowski, Die lebende Münze, Berlin 1998

(Regula Stämpfli/news.ch)

schon wieder ein ’Plagiat’
"Schade, dass sie oft Sätze schreibt, die aufgrund ihres Nebels ärgern." Diesen Satz beziehe ich auf die Kolumnistin. Diese Zusammenhänge sind sehr gesucht, denn ich stelle die Frage, ob das Aufwiegen einer Braut mit Kamelen die bessere Variante ist? Ich werde einfach den Verdacht nicht los, dass die Kolumnistin nach Anzahl getippter Zeichen entschädigt wird, egal, was sie schreibt. Zudem gibt sie zum grossen Teil einfach wieder, was irgendjemand anders geschrieben hat. Kurz zusammengefasst: So ein Stuss!
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