Ecopop-Nein als Etappe in der Migrationsdebatte
Bern - Die Zeitungskommentatoren zeigen sich am Montag erleichtert, dass das Stimmvolk die Ecopop-Initiative so wuchtig abgelehnt hat. Sie sehen das Nein allerdings nur als Zwischenschritt auf dem schwierigen Weg der Umsetzung der SVP-Zuwanderungsinitiative. Eine Übersicht:
Am Abstimmungssonntag hat sich jene Schweiz geregt, die trotz Wachstumsstress das Bewusstsein nicht verloren hat, wie wichtig für uns ein geordnetes Verhältnis zur EU ist. ... Das überwältigende Nein zu Ecopop ist innenpolitisch aber dennoch einiges wert; es legitimiert den Bundesrat und das Parlament, für die im Februar gutgeheissene SVP-Zuwanderungsinitiative auch weiche Umsetzungsvarianten zu erarbeiten. ... In zwei, drei Jahren müssen die Stimmbürger entscheiden: Entweder machen sie den 9. Februar rückgängig und verzichten darauf, dass die Schweiz die Zuwanderung minimal steuern kann. Oder dann künden sie die Freizügigkeit, reduzieren die Zusammenarbeit mit der EU auf das technisch und wirtschaftlich Notwendigste und nehmen die Nachteile solcher «Bilateralen light» in Kauf. Das wird der wahre Test dafür sein, wie viel den Schweizerinnen und Schweizern der bilaterale Weg wirklich wert ist.
«Tages-Anzeiger»:
Das Anliegen der Ecopop-Initianten war hehrer, als es die gegnerische Propaganda im Abstimmungskampf darstellte. Vielen Befürwortern ist die Sorge um die Umwelt abzunehmen, einzig die Verknüpfung mit der Einwanderung leuchtete nicht ein. Letztlich scheiterte das Anliegen daran, dass die SVP-Basis und die grüne Basis gegenüber diesem Mix gespalten waren, der Rest der Bevölkerung dagegen. ... Es bleibt das knappe Ja von Anfang Februar. Dieser Entscheid macht das Verhältnis der Schweiz zur EU schwierig genug. Zu erwarten ist, dass der Bundesrat nun etwas deutlicher sagen wird, wie er sich dessen Umsetzung vorstellt. Bis anhin waren diese Äusserungen mehrdeutig und vage, offensichtlich darauf angelegt, keinen Vorwand für zusätzliche Ja-Stimmen zu Ecopop zu liefern. Das ist gelungen, hat aber keine Klärung gebracht.
«Neue Zürcher Zeitung»:
Ecopop ist mit nur einem Viertel Ja-Stimmen sehr unsanft gelandet. Die verbreitete Skepsis gegenüber der hohen Zuwanderung konnten die Initianten nur bedingt für sich nutzen. Daraus sollte man keine voreiligen Schlüsse für andere Volksinitiativen und Gesetzesvorlagen ziehen: Das Volk hat sich am Sonntag nicht gegen einen Zuwanderungs-Stopp ausgesprochen. ... Was das für die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bedeutet, bleibt vorderhand offen. Bevor man sich festlegt, müssen Gespräche mit der EU geführt werden - oder Verhandlungen, sofern die andere Seite einwilligt.
«Nordwestschweiz»:
Was in der Erleichterung über den Ausgang des Urnengangs in jedem Fall nicht vergessen werden darf: Noch vor fünf Jahren wäre eine derart sektiererische Vorlage wie Ecopop ganz selbstverständlich mit über 80 Prozent abgeschmettert worden. Heute spricht man bei 74,1 Prozent Nein von einer erfreulichen Überraschung. Das allein schon heisst: Trotz des gestrigen Erfolges können Politik und Wirtschaft nun nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. ... Die erfolgreiche Masseneinwanderungsinitiative (...) wird die politische Agenda noch lange beherrschen. Am Ende dieser Debatte werden die Stimmbürger in irgendeiner Form abermals über die Personenfreizügigkeit und die Beziehungen mit der EU zu befinden haben.
«Neue Luzerner Zeitung»:
Volk und Stände haben einer radikalen Initiative eine Abfuhr erteilt. Sie taten dies erstaunlich deutlich, was nicht zuletzt der breiten Gegnerschaft zu verdanken ist, die von ganz links bis zur SVP-Spitze reichte. ... All das ist gewiss erfreulich, aber noch kein Grund zum Jubeln. ... Ungelöst bleibt vor allem das aussenpolitische Problem Nummer eins, das künftige Verhältnis zur EU. Der bilaterale Weg ist seit dem 9. Februar steiniger geworden. ... Das Nein zu Ecopop ist aber kein Ja zum bilateralen Weg. Der Hosenlupf mit Europa ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Die Diskussion um das künftige Verhältnis zur EU kann jetzt wohl freier geführt werden. Machen wir uns aber keine Illusionen: Einfacher wird die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative damit nicht.
«St. Galler Tagblatt»:
Dass die Ecopop-Initiative am Sonntag vom Volk abgelehnt wird, zeichnete sich ab. Doch nur die wenigsten hätten auf ein derart breites und wuchtiges Nein gewettet. Das ist ein Erfolg für alle Befürworter einer offenen und prosperierenden Schweiz. ... Jubel wäre dennoch verfehlt. ... Mit dem Nein zu Ecopop bleiben der Schweiz neue Probleme mit der EU erspart. Die bestehenden hat sie damit keineswegs gelöst. Der Bundesrat versucht, wie vom Volk gewünscht, die Einwanderung zu reduzieren - und gleichzeitig die Bilateralen zu erhalten. Das ist eine Quadratur des Kreises. Das wuchtige Nein zu Ecopop legt Bern aber immerhin keine neuen Steine in den Weg.
«Berner Zeitung» / «Landbote»:
Ecopop wurde an der Urne zu einem einzigen Ecoflop. Und das ist gut so. Auf den ersten Blick hatten die Rezepte der Ecopop-Initiative einen gewissen Charme verbreitet. ... Auf den zweiten Blick war Ecopop dem Stimmvolk zu extrem. Das dürfte die wichtigste Erklärung dafür sein, dass die Zustimmungswerte in den Umfragen vor der Abstimmung stark rückläufig waren und gestern in ein klares Nein mündeten. Etwas mehr als die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer - das weiss man seit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar - möchte die Zuwanderung steuern und begrenzen. Vom Ziehen der Notbremse, wie das Ecopop postuliert hat, will das Stimmvolk aber ganz offensichtlich nichts wissen.
«Südostschweiz»:
Nein, in dieser Deutlichkeit war die Ablehnung der Ecopop-Initiative nicht zu erwarten gewesen. Nach dem 9. Februar und dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative (MEI) der SVP schien alles möglich. Auch die totale Abschottung der Schweiz gegenüber Europa und dem Rest der Welt. ... Tatsache bleibt: Der Bundesrat hat die MEI umzusetzen. Allerdings ist es in einer direkten Demokratie erlaubt, auf einen Entscheid zurückzukommen. Insofern ist es absolut legitim, wenn nun ein Komitee mit einer neuen Volksinitiative die MEI ungeschehen machen will, wie die «SonntagsZeitung» gestern berichtete.
«Blick»:
Drei Mal Nein und eine Siegerin: die Schweiz. Wir wissen nun drei Dinge. Erstens: die Schweizer wollen die Einwanderung selber steuern können, wie sie das Anfang Jahr an der Urne kundgetan haben. Aber sie wollen keinen Infarkt der Wirtschaft, der Wohlstand und Sozialstaat ernsthaft gefährden würden. Das Volk will zweitens einen starken Franken und keine Spekulanten an der Gurgel der Nationalbank. Und der Souverän will drittens, dass die Steuerhoheit dort bleibt, wo sie historisch hingehört: bei den Kantonen und Gemeinden.
«Basler Zeitung»:
Das Stimmvolk hat gestern in der Zuwanderungsfrage eindrücklich unter Beweis gestellt, wie differenziert es zu entscheiden in der Lage ist. Am 9. Februar hatte es auf sensationelle Weise Ja gesagt zur eigenständigen Steuerung der Zuwanderung. ... Und gestern hat dasselbe Volk einen Vorschlag verworfen, der vorschreiben wollte, wie genau diese Zuwanderung nun eigenständig zu regeln sei. ... Es taxiert die Ecopop-Initiative mit aller Deutlichkeit als falsches Rezept gegen ein drängendes Problem. ... Das Volk will Bundesrat und Parlament nun zuerst die Chance einräumen, in der Massenzuwanderungsfrage eine tragfähige und zielorientierte Vorlage zu erarbeiten.
Tageswoche:
Es ist nochmals gut gegangen: Eine klare Mehrheit der Abstimmenden hat sich von den Ecopop-Propagandisten nicht verführen lassen und deren Initiative «Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» eine Abfuhr erteilt. ... Bedenklich aber stimmt, dass solche abenteuerlichen Initiativen überhaupt erst zur Abstimmung kommen. Noch vor wenigen Jahren wäre eine Vorlage wie die Ecopop-Initiative bei der parlamentarischen Prüfung durchgefallen, weil sie das Gebot der Einheit der Materie nicht erfüllt - ob die Zuwanderung in der Schweiz gestoppt werden soll, ist eine andere Frage als jene der Geburtenkontrolle im Ausland. ... Der hiesige Politbetrieb ist zum Tollhaus geworden.
Watson:
Ein Gespenst ging um in der Schweiz: Das Gespenst Ecopop. Seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative war die Angst vor der Unberechenbarkeit der stimmenden Einwanderungsskeptiker gross. ... die deutliche Ablehnung von über 70 Prozent zeigt, dass das Nein-Lager in den zwei Wochen seit dem letzten Abstimmungsbarometer (56 Prozent Nein-Anteil) besser mobilisieren konnte. Wer genau sich zuletzt noch gegen Ecopop entschieden hat, werden die VOX-Studien zeigen müssen, aber zwei Annahmen sind sicher nicht ganz falsch: Erstens hat es sich das Initiativkomitee von Ecopop bei einem grossen Kreis des potentiellen Ja-Lagers ausserhalb der SVP verscherzt: Der weiblich-grün-progressive Szene. ... Und zweitens haben sich die Zuwanderungsskeptiker aus dem konservativen Einfamilienhaus- und Pendlermilieu für Flexibilität statt unverrückbare Tatsachen in der Einwanderungsfrage entschieden.
Kommentare aus der Romandie (sinngemäss übersetzt)
«Le Temps»:
Egal was die Gründe für die Ablehnung der Ecopop-Initiative waren, (...) die Deutlichkeit des Resultats sollte nichts an der Strategie des Bundesrates ändern. Links mag die Versuchung gross sein, das sonntägliche Verdikt als Korrektur des Resultats vom vergangenen Februar zu interpretieren und als Aufforderung für eine lockere Umsetzung des Verfassungsartikels zur Zuwanderung aufzufassen. Eine solche Interpretation wäre aber ein schlimmer Fehler und könnte sich bei einer späteren Abstimmung rächen. Das Volk hat die Ecopop-Initiative deswegen abgelehnt, weil der Bundesrat es überzeugt hat, dass er im Sinne des Volkswillens entschlossen handeln wird.
«La Liberté»:
Einige Optimisten mögen in der Ablehnung der Initiative den Traum einer Streichung des Abstimmungsresultats vom 9. Februar realisiert sehen. Achteinhalb Monate nachher hat sich das Volk doch noch für den bilateralen Weg mit der Europäischen Union entschieden. Doch sachte! Die Rückkehr zu einem Kontingentssystem für ausländische Arbeitskräfte und der Inländervorrang stehen nach wie vor in der Verfassung. Nur eine Initiative zur Streichung des Artikels, wie sie in der Luft liegt, könnte den Status quo ante wiederherstellen. Vorerst loten der Bundesrat und die Schweizer Diplomatie aber die Enge zwischen den Forderungen der EU und dem Willen des Schweizer Volks zur Personenfreizügigkeit aus. Die Ablehnung von Ecopop, kurz vor Beginn des Wahljahrs, verschafft ihnen immerhin ein wenig Luft.
«24 Heures»:
Nach dem Paukenschlag vom Februar hat das Stimmvolk ein gefährliches und inkonsequentes Begehren an den einzigen möglichen Ort befördert: in den Papierkorb. ... Die Episode Ecopop hat vielleicht einen positiven Aspekt: die wuchtige Ablehnung könnte dem Bundesrat und dem Schweizer Verhandlungsteam einen kleinen Handlungsspielraum verschaffen, um in Brüssel eine akzeptable Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zu erreichen.
«Tribune de Genève»:
Die Ablehnung der Ecopop-Initiative muss eine Auswirkung auf die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative haben. Dennoch gilt es das Resultat nicht überzuinterpretieren. Das Volk toleriert nicht, dass der neue Plafond für die Zuwanderung wieder in Frage gestellt wird. Andererseits scheint aber auch klar, dass es die bilateralen Verträge und die Beziehungen zur EU nicht opfern will. Das Resultat von diesem Wochenende präzisiert das Mandat für den Bundesrat dahingehend, dass er eine europakompatible Umsetzung der Initiative vom 9. Februar anstreben soll.
(jz/sda)
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