Von Peter Wyrsch
si.
Henry von Arsenal brachte Frankreich nach einer katastrophalen
Rückgabe von Gabriel in der 7. Minute frühzeitig in Führung. Mit
einem geschenkten Foulpenalty glich Poborsky von Benfica Lissabon
(35.) zum Pausenstand von 1:1 aus. Der eingewechselte Djorkaeff von
Kaiserslautern sorgte nach einer herrlichen Kombination über
mehrere Stationen mit einem noch leicht abgefälschten Flachschuss
aus 12 Metern für die Entscheidung des glücklicheren und nicht des
besseren Teams.
Die «equipe tricolore», die dank seiner torgefährlichen Stürmer
noch homogener und gefestiger erscheint als vor zwei Jahren beim
grossen Triumph im einen Land, verdiente sich den Erfolg durch
seine Effizienz. Die physisch überlegenen Tschechen waren im
tempostarken Duell mit zahlreichen Torszenen nicht schlechter, aber
im Abschluss unglücklicher. So traf der Hüne Koller (202 cm) mit
einem Kopfball (71.) wie schon im Startspiel gegen Holland nur die
Latte. Auch Poborsky oder Nedved vergaben erstklassige Chancen
knapp oder scheiterten am hervorragenden Barthez. Tschechien, in
der Qualifikation als einziges Team ohne jeden Punktverlust, war
erneut vom Pech verfolgt und hadert mit seiner ungenügenden
Chancenauswertung.
Fehlentscheid ohne Folgen
Das einzige Plustor der Schützlinge von Jozef Chovanec war erst
noch das Ergebnis eines Fehlentscheids. Bevor Schiedsrichter Graham
Poll aus England, der vor einem Jahr auch das Qualifikationsspiel
zwischen Schweiz und Italien in Lausanne arbitriert hatte, auf den
Elfmeterpunkt zeigte, erkundigte er sich bei seinem Linienrichter.
Erst danach zeigte er -- fälschlichwerweise -- auf den ominösen
Punkt. Deschamps beging zwar ein Foul an Nedved, doch TV-
Wiederholungen bewiesen, dass der Check des französischen Captains
klar vor der Strafraumlinie erfolgte.
Die Ordnung und Zidane
Die Franzosen, die seit dem WM-Titel unter Jacquet-Nachfolger
Roger Lemerre erst ein Spiel verloren haben, überzeugten in
verschiedenen Belangen. Die Abwehr um die makellosen Blanc und
Desailly, die den tschechischen Riesen Koller (202 cm) und Lokvenc
(197 cm) auch im Luftkampf kaum Spielraum liessen, verteidigte
kompakt. Da gab es kein Durchkommen, weil die Automatismen
funktionieren und jeder genau weiss, was der andere tut. Auch der
verletzungsbedingte Ausfall von Lizarazu, der durch Candela
vertreten wurde, fiel nicht ins Gewicht.
Ordnung und Sicherheit herrschte auch bei den drei
«récupérateurs», den «Staubsaugern» Deschamps, Petit und Vieira
vor, der von Trainer Lemerre wegen seiner Grösse und Kraft zunächst
dem offensiveren Djorkaeff auf der rechten Flanke vorgezogen wurde.
Sie hielten ihrem Star, Zidane, den Rücken frei. So konnte der
zweifache WM-Finaltorschütze seine ganze Kreativität ausschöpfen
und tat dies einige Male in bestechender Manier. Wie er den Ball
kontrolliert, lupft und in den freien Raum spielt, ist
Sonderklasse. Von seiner Inspiration profitierte vor allem Henry,
der sich seit der WM immens gesteigert hat. Antrittsschnell,
dribbelstark, der dunkelhäutige Arsenal-Stürmer war von den
Tschechen kaum zu halten. Anelka fiel weniger auf und musste seinen
Platz auch Dugarry überlassen.
Tschechen spielten um alles oder nichts
Die Tschechen, die sehr aggressiv begannen, und in ihren kleinen
Technikern Nedved und Poborsky ihre besten Kräfte hatten, spielten
in der zweiten Halbzeit um alles oder nichts. Mit der Einwechslung
von Lokvenc setzte Trainer Chovanec einen zweiten Brecher neben
Koller ein. Er ward nicht gesehen. Die Wechsel dadurch störten den
Spielfluss, der durch unsaubere Zweikämpfe und härtere Attacken
zusätzlich gestört wurde. Frankreich hatte den Geheimfavoriten
spätestens nach Kollers Lattenköpfler sicher im Griff und hätte
wahrscheinlich nochmals zulegen können. Doch es bestand kein
Bedarf. Es wurden Kräfte für die kommenden Aufgaben gespart.
(ba/sda)