Franzosen strafen Europa ab

publiziert: Montag, 30. Mai 2005 / 07:51 Uhr

Paris - Jacques Chirac hat gefragt - und die Franzosen haben ihm klar Nein gesagt. Dass es bei der Abstimmung am Sonntag um die EU-Verfassung ging - nicht etwa um das Staatsoberhaupt und dessen ebenfalls unpopuläre Regierung -, spielte für viele keine Rolle.

Jacques Chirac klammert sich nach der Niederlage krampfhaft an sein Rednerpult bei der TV-Ansprache.
Jacques Chirac klammert sich nach der Niederlage krampfhaft an sein Rednerpult bei der TV-Ansprache.
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Europa und seine Zukunft waren zwar Thema der teils hitzigen Kampagne, letztlich war aber der Ärger über Chirac und dessen ungehaltene Versprechen zu gross.

Frankreich ist zutiefst gespalten, und auch Chiracs Partner in der Europäischen Union bringt das Nein von rund 55 Prozent der Franzosen in eine heikle Lage.

Umfragen hatten die Ablehnung der EU-Verfassung seit Wochen heraufbeschworen. Gegner des Textes frohlockten schon ob einer revolutionären Stimmung wie einst im Mai 1968.

Treffender war aber wohl der Verweis auf Frankreichs noch etwas jüngere Geschichte: Im April 2002 stand das Land unter Schock, weil der sozialistische Premierminister Lionel Jospin sensationell aus der Präsidentschaftswahl flog und alle Demokraten schliesslich Chirac wählen mussten, um den Aufstieg des Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen zu stoppen.

Keine Lehren gezogen

Aus diesem Debakel wollten Frankreichs grosse Parteien Lehren ziehen - gelungen ist ihnen dies ganz offenbar nicht. Selbst die bürgerliche Ex-Umweltministerin Corinne Lepage klagte, die Politik habe dem Groll der Bürger nicht Rechnung getragen.

Der Staatschef hatte einen offeneren Kurs versprochen; stattdessen vergrätzte er seine linken Wähler wider Willen mit unpopulären Reformen, für die vor allem Premierminister Jean-Pierre Raffarin immer wieder abgestraft wurde.

Raffarins Tage gezählt

Raffarin dürfte nun baldigst von der Bildfläche verschwinden und einem weniger belasteten Vertreter des bürgerlichen Lagers Platz machen. Als Favorit gilt Noch-Innenminister Dominique de Villepin, ein alter Vertrauter Chiracs, der den vom Staatschef versprochenen "neuen Anstoss" wohl umsetzen soll.

Die Sozialisten, die noch im vergangenen Jahr Triumphe bei den Regionalwahlen gefeiert hatten, könnten sich nun spalten. Ihr Parteichef François Hollande versicherte sich im Dezember der mehrheitlichen Zustimmung seiner Parteibasis für das Ja.

Er erlitt beim Referendum eine schwere Niederlage gegen seinen Stellvertreter, Ex-Premier Laurent Fabius, der sich gegen die offizielle Parteilinie gestellt hatte. Mit einem Mal sind die Karten für das nächste Superwahljahr 2007, wenn Präsident und Nationalversammlung neu bestimmt werden sollen, völlig neu gemischt.

Deutschland ohne Wirkung

Welche Schockwellen das neuerliche politische Beben in den übrigen EU-Staaten auslöst, war zunächst nur zu ahnen. Der deutsche Bundestag und Bundesrat hatten die Verfassung eigens im Eiltempo durchgezogen, um dem Ja-Lager in Frankreich einen Schub zu geben.

Nun tritt ein, wovor Chirac seine Landsleute eindringlich gewarnt hatte: Erstmals seit Menschengedenken legen Deutsche und Franzosen in Europa nicht dasselbe Tempo vor. Andere, "ultra-liberale" Kräfte würden dann das Kommando übernehmen, hatte er gewarnt.

Viele Franzosen hatten Umfragen zufolge aber nicht in erster Linie ein anderes Europa im Sinn - sie wollen ein anderes Frankreich. Chiracs Versprechen mochte offenbar eine Mehrheit schon seit langem nicht mehr glauben.

Die zweite Amtszeit des altgedienten Konservativen dürfte nun endgültig seine letzte sein - auch wenn er anders als 1969 sein Vorbild Charles de Gaulle einen Rücktritt beim Scheitern des Referendums ausgeschlossen hatte.

(Von Reinolf Reis/afp)

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