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Fussball: Der Goldjunge will in den goldenen Westen

publiziert: Dienstag, 22. Jun 2004 / 22:14 Uhr

Als absolute Aussenseiter in der (Hammer-)gruppe D waren die Letten nach Portugal gereist. Doch jetzt können die Balten mit einem Sieg gegen Holland vielleicht gar die Viertelfinals erreichen. Die Tore dafür soll Nationalheld Maris Verpakovskis schiessen.

Maris Verpakovskis ist bisher positiv in Erscheinung getreten.
Maris Verpakovskis ist bisher positiv in Erscheinung getreten.
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Die Atmosphäre in den Trainingscamps könnte unterschiedlicher nicht sein. Während bei den Holländern jeder dem anderen und alle vor allem Trainer Dick Advocaat die Schuld für die heikle Ausgangslage vor dem letzten Vorrundenspiel zuschoben, herrschte bei den Letten eitel Sonnenschein -- auch wenn sich am Himmel über der Trainingsanlage im nordportugiesischen Anadia dicke Regenwolken türmten.

Und während sich die Aktivitäten der holländischen Medien im Absägen der Beine an Advocaats (Trainer-)stuhl erschöpften, spielten ihre Kollegen der lettischen Presse ein Freundschaftsspiel gegen die Verbandsdelegation des neuen EU-Staates. Die Funktionäre, die sonst angeblich immer verlieren, gewannen 6:2. Gerüchte, dass der lettische Topskorer Verpakovskis den Verband auf dem Fussball-Platz unterstützt habe, wurden jedoch vehement dementiert.

Nachhaltiger Eindruck

Weitere Tore in Portugal hat sich der 24-Jährige nämlich für am Mittwochabend gegen Holland aufgespart. Verpakovskis hat von den vielen mehr oder weniger unbekannten Spielern, die auf den EURO-Plätzen bisher auftraten, den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen.

Gegen Tschechien schoss er das 1:0-Führungstor, gegen Deutschland erspielte sich der Alleinunterhalter in der lettischen Offensive zwei hochkarätige Chancen und wurde zweimal im Strafraum gefoult. Weil die Pfeife des Schiedsrichters aber jeweils stumm blieb, kam die deutsche Mannschaft am vergangenen Samstag um eine noch grössere Blamage herum.

Glaube an ein Wunder

Um zu nationalen Helden aufzusteigen, genügte den Spielern aus Riga und Ventspils auch dieses torlose Remis. Und nun geht der Traum sogar weiter. Auch Trainer Aleksandrs Starkovs glaubt an ein Wunder: "Alles ist möglich." Erstaunliche Worte für den Coach, der noch vor der EM gesagt hatte, es sei vermessen, auch nur einen Dollar auf sein Team zu setzen.

Doch mit den bisherigen Leistungen, so defensiv und unattraktiv sie aus neutraler Sicht waren, wie Kritiker nicht zu Unrecht monier(t)en, hat sich der Aussenseiter grossen Respekt verschafft. Einen Tag vor dem Duell gegen das Oranje-Ensemble besuchten daher erstaunlich viele holländische Journalisten die lettische Mannschaft. Der Fokus ist nicht mehr ausschliesslich auf das eigene Team und den Ausgang der Partie Tschechien - Deutschland gerichtet. Die Holländer haben erkannt, dass auch die Partie gegen Lettland kein Selbstläufer ist.

Präsidialer Kuss

Gefragtester Spieler der Letten war natürlich Verpakovskis. Mit sechs Toren hat er sein Land fast im Alleingang an die Endrunde geschossen. Der Stürmer von Dynamo Kiew traf in der Barrage gegen die Türkei zweimal und wird seither in der Heimat wie ein Pop-Star gefeiert. Sogar Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga wurde zuletzt von der Euphorie um den Stürmer erfasst. Vor der Reise nach Portugal empfing sie die Nationalmannschaft. Jedem Spieler drückte sie die Hand; einzig Verpakovskis, den sie auch schon "Goldjunge" nannte, bekam von der höchsten Politikerin des Landes einen Kuss.

Trotzdem ist Verpakovskis, der mit 19 Jahren in der Nationalmannschaft debütierte und dabei gegen Griechenland gleich ein Tor erzielte, auf dem Boden geblieben. Das Lob der internationalen Presse gibt er artig an die Kollegen weiter. "Fussball ist ein Mannschaftssport. Ich führe jeweils nur zu Ende, was die anderen vorbereiten." Ob er nach diesen portugiesischen Tagen nach Kiew zurückkehren wird, ist ungewiss. Schon vor einem halben Jahr sollen Bayern München, Arsenal und der FC Barcelona Interesse an einer Verpflichtung gehabt haben. Letztlich gab er aber Dynamo Kiew den Vorzug, "weil ich dort keine Sprachprobleme habe und mehr zum Einsatz komme, als in einem Top-Verein."

Karriere wie "Sheva-Gol"?

Jetzt aber träumt er vom ganz grossen Karrieresprung, wie ihn sein Vorbild Andrej "Sheva-Gol" Schewtschenko gemacht hat. Der Ukrainer war ebenfalls von Dynamo Kiew in den Westen zu Milan gewechselt. In einer der fünf grossen Ligen will auch Verpakovskis dereinst seinen Alltag verbringen.

Ein Angebot vom Ligue-1-Aufsteiger St-Etienne soll vorliegen. Doch die Franzosen befürchten, dass die Leistungen Verpakovskis an der EURO den Preis in unerschwingliche Höhen treiben werden. Noch muss sich der "Goldjunge" nicht entscheiden. "Die EM ist ein enormes Schaufenster. Schon jetzt habe ich gezeigt, was ich kann." Gesehen haben es sicher nicht nur die Verantwortlichen von St-Etienne.

(von Stefan Wyss, Anadia/Si)

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