Fussball: Meisterporträt der Grasshoppers
Die Grasshoppers und nicht Ligakrösus Basel sind Schweizer Fussballmeister der Saison 2002/2003. Trainer Marcel Koller ist es geglückt, dass GC-Puzzle erfolgreich zusammenzusetzen, individuelle Stärken und jugendliche Leidenschaft zu einem kompakten Ganzen zu bündeln.
Die Mosaiksteine des Titels
Der 27. Titelgewinn des Zürcher Rekordmeisters lässt sich aber nicht nur in Zahlen spiegeln, sondern wurzelt tiefer. Wie bei einem Puzzle fügte Trainer Koller mehrere Mosaiksteine sorgfältig zusammen. Innert 17 Monaten ist es dem Ur-Hopper (7 Titel als Spieler während 25 Jahren Aktivkarriere bei GC) geglückt, eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen zu bilden. Um die bestandenen Teamsäulen, Torhüter Fabrice Borer (32), den erfahrenen argentinischen Abwehrchef Fernando Gamboa (33), die wertvollen Mittelfeldmotoren Mihai Tararache (Rum, 26), Christoph Spycher (25) und Ricardo Cabanas (24) sowie Nuñez (Uru, 27) formte er ein beständiges Team, das sich durch Stabilität, Kompaktheit und Leistungsbereitschaft auszeichnete.
Die Grasshoppers haben sich den 27. Titel, den fünften in den letzten 10 Jahren, nicht erkauft, sie haben ihn mit kontinuierlichen Fortschritten erarbeitet und erspielt. Der Finanznot gehorchend, war Koller gezwungen, zurückzubuchstabieren. GC verjüngte sein Kader und trennte sich von Stéphane Chapuisat, Stefan Huber, Luca Ippoliti und verlor Benjamin (Auxerre) und Bruno Berner (SC Freiburg). Junge, neue, "hungrige" Kräfte wie Roland Schwegler (21), Stephan Lichtsteiner (19), Kim Jaggy (21), Mladen Petric (22) oder Reto Ziegler (17) wurden suksessive eingebunden. Seit dem Meistertitel unter Kollers Vorgänger Hanspeter Zaugg im Sommer 2001 haben 17 Kaderspieler gewechselt. GC hat ein neues, jugendlicheres und bescheideneres Gesicht erhalten.
Teamgeist und Wendigkeit
Der ehrgeizige Koller, der in der Saison 1999/2000 den FC St. Gallen sensationell zum Titel geführt hatte, hat seine Mannschaft nicht nur stets weiterentwickelt, er hat sie auch neu strukturiert, zu einer Einheit verschmolzen und sie stets stark geredet. So nahm er seinem relativ unerfahrenen Team den Druck, der durch den FC Basel gegen Saisonschluss immer grösser und (auch verbal) bedrohender wurde. "In den letzten Wochen und Monaten sind wir entscheidend zusammengerückt. Ein gesunder Teamgeist wurde entwickelt, Individualisten und Arbeiter, Jung und Alt fanden zusammen. Doch ich will nicht von Jung und Alt reden, die Klasse entscheidet. Unsere Routiniers Gamboa und Borer bewiesen dies."
In der Winterpause holte der finanziell wesentlich potentere FCB (scheinbar) zum grossen Schlag aus. GC-Captain Boris Smiljanic wurde für rund zwei Millionen weggekauft und ans Rheinknie transferiert. Das in Finanznöten steckende GC, das gezwungen ist, sein zuvor zu euphorisches Budget auf rund 20 Millionen zu reduzieren, willigte ein. Doch Smiljanic´ Wegzug wurde zum Glücksfall. Sein Ersatz, der 33-jährige Argentinier Gamboa, war sofort der anerkannte Abwehrchef. "Er brachte uns Ruhe und Abgeklärtheit. Er hat die notwendige Spielintelligenz und das Auge für die Situationen. Und er versteht es, als Patron die Jungen zu führen", schwärmt Koller.
Kollers taktischer Griff
Auch Richard Nuñez machte einen positiven Wandel durch. Mit drei Toren schoss er GC bereits vor zwei Jahren beim finalen 4:0 in St. Gallen zur Meisterschaft, jetzt hat er beim 4:2 bei YB in Bern erneut seine Wichtigkeit und Treffsicherheit (mit zwei Toren und zwei Assists) in entscheidenden Momenten bewiesen. "Nuñez ist mit seiner Schnelligkeit, seinen Tricks und seiner Effizienz im Abschluss nicht nur eine hervorragende Offensivkraft, er hat seine Dienste vermehrt ins Kollektiv gestellt", wand Koller dem kleinen Urugayer ein besonderes Kränzchen.
Der gewiefte Taktiker Koller kam ihm aber auch entgegen. Nicht zuletzt wegen der Wendigkeit seiner Südamerikaner Eduardo, den der Trainer besonders förderte und in die erste Mannschaft integrierte, und Nuñez baute er sein System um. Er stellte vom 4-4-2 zunächst auf ein 4-3-3 und dann auf ein 4-2-3-1 um. Koller liess nur noch eine Spitze vorne, meist Mladen Petric, der in der Finalrunde aufblühte und den "Gaucho" Antonio Barijho verdrängte. Hinter der Spitze setzten Eduardo und Nuñez auf den Flanken die Akzente und wurden durch Cabanas wirkungsvoll unterstützt. Defensiv wurde dieses Trio durch den aufsässigen Rumänen Tararache und die Laufmaschine "Wuschu" Spycher abgeschirmt. Diese Umstellungen bewährten sich. Der Flexibilität, Wendigkeit und Frische der Zürcher war der dynamischere und körperlich stärkere FCB nicht gewachsen.
Der nächste Einschnitt folgt
Doch, wie geht es mit GC weiter? Ein nächster Einschnitt steht unmittelbar bevor. Am 16. Juni wird der 42-jährige Thomas Gulich, Chef des Credit-Suisse-Leasinggeschäfts, Anwalt Peter Widmer an der Spitze der GC-Fussballabteilung ablösen. Die Hauptinvestoren Fritz Gerber und Rainer E. Gut, zu denen zunächst auch Uli Alberts gehörte, ziehen sich zurück. Bis im Sommer 2004 leisten die beiden einflussreichen Herren noch die Defizitgarantie. Sie treten auch aus dem Verwaltungsrat aus und werden ihre Aktien GC schenken, doch ihre (notwendigen) Millionen zur Deckung des Budgets werden fehlen.
Heute generiert der Rekordmeister zirka 9 bis 10 Millionen aus eigener Kraft. Für den Rest standen in den letzten vier Jahren Gerber und Gut gerade. "Ich habe schon meine Vorstellungen, wie wir die Mannschaft sinnvoll verstärken und ergänzen können", meint Trainer Koller. "Ob dies aber finanziell möglich ist, werden die nächsten Tage zeigen."
Bleiben Cabanas und Nuñez?
Meister Grasshoppers muss sich verstärken, um die Chance zu besitzen, in die Champions League vorzustossen und an die fetten Honigtöpfe zu gelangen, an denen der FCB labte. Zwei Spieler aber sind auf dem (Ab-)Sprung. Ricardo Cabanas, dessen Vertrag ausläuft, möchte sich weiterentwickeln und liebäugelt mit einem Transfer nach Deutschland, Spanien oder Frankreich. In Frankreich und Spanien (und offenbar auch bei Basel) ist auch Richard Nuñez ein Thema. Wenn die beiden Leistungsträger wegziehen, benötigt GC nicht nur zwei oder drei, sondern vier oder fünf gestandene Zuzüge.
(pt/Si)
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