Fussball: Wer spielt Portugal und Spanien einen Streich?
Die Rollen in der Gruppe A scheinen klarer verteilt zu sein als in anderen Vorrundenpools. Gastgeber Portugal und Spanien sind klare Favoriten auf den Viertelfinal-Einzug, Russland und Griechenland werden allenfalls Aussenseiter-Chancen eingerechnet.
Seit 1984 in Frankeich hat es kein Gastgeber-Team mehr geschafft, die Coupe Henri Delaunay im eigenen Land zu gewinnen. Letztes Beispiel waren vor vier Jahren Holland und Belgien, die im Halbfinal respektive in der Vorrunde ausschieden.
Portugal will in den Final
Unter dem letzten brasilianischen Weltmeister-Trainer Luiz Felipe Scolari soll für Portugal, das bei den drei bisherigen EM-Teilnahmen immer mindestens die Viertelfinals erreicht hat, die EURO 2004 im Freudentaumel enden. "Ich bin nach Portugal gekommen, um den EM-Final zu erreichen", liess Scolari bereits bei seiner Ankunft im Dezember 2002 verlauten.
Mit strittigen Personalentscheiden schuf sich der als stur, aber stressresistent geltende Scolari nicht nur Freunde. Nach der Bekanntgabe des Verzichts auf die äusserst populären João Pinto und den legendären, aber sehr fehleranfällig gewordenen Goalie Vitor Baia liefen die Fans in Portugal Sturm.
Scolari hatte die passende Antwort parat. Er baute unter anderen mit Manchester Uniteds Supertalent Cristiano Ronaldo (19) junge Spieler in die A-Nationalmannschaft ein. Dem enorm dribbelstarken Offensivkünstler wird inzwischen zugetraut, einer der EM-Topstars zu werden.
Hoffnungen ruhen auf Deco
Nach dem missglückten Jahr mit Real Madrid ohne Titelgewinn will Luis Figo, der seine Länderspiel-Karriere nach der EM abschliessen möchte, sein Palmarès endlich mit Meriten der A-Nationalmannschaft ergänzen. "Der Stachel der Halbfinal-Niederlage gegen Frankreich 2000 (1:2 n.V.) sitzt noch immer tief", gibt der Denker und Lenker im rechten Mittelfeld zu. "Aber wenn wir Griechenland im Eröffnungsspiel schlagen, ist alles möglich."
Zu Portugals Trumpf könnte mit dem 26-jährigen Mittelfeldspieler Deco ein Spieler werden, dessen Karriere in der Nationalmannschaft anfänglich argwöhnisch beurteilt worden war. Starspieler Figo hatte nach der Einbürgerung des Brasilianers im Februar 2003 öffentliche Kritik an der Integration von Spielern im Nationalteam geäussert, die nicht aus Portugal stammen. Deco konterte die Aussagen mit starken Leistungen en masse.
Zwei portugiesische Meistertitel in Folge, der Triumph im UEFA-Cup 2003 und der Champions-League-Gewinn mit dem FC Porto sind die starke Referenz des Regisseurs, der sich mittlerweile in den Fokus diverser europäischer Grossklubs gespielt hat.
Spaniens Fluch
Für Spanien wäre die Genugtuung, im Land des Erzrivalen Portugal Europameister zu werden und endlich das Image eines "Loser-Teams" abzulegen, doppelt gross. Seit 1964 und dem Gewinn der EM im eigenen Land spielten die Iberer an internationalen Turnieren zwar meistens gefällig, zu mehr als einer Final-Qualifikation (EM 1984 in Frankreich) reichte es aber nie. Zudem hat man in Spanien immer noch nicht vergessen, dass vor fünf Jahren die kontinentalen Titelkämpfe ausgerechnet an Portugal vergeben wurden.
Die wenig überzeugenden Auftritte in der Qualifikationskampagne dämpften die Erwartungen auf der iberischen Halbinsel indes etwas. Den Millionen Fussball-Fans war nicht entgangen, dass zum Beispiel Teamcaptain Raul (Real Madrid) von seiner Bestform meilenweit weg war.
Der Rekordtorschütze der "Seleccion" und der Champions League ist im Sturm dennoch unbestrittene Nummer 1, sekundiert wird er je nach Spielsystem von seinem Kumpel Fernando Morientes, dem Topskorer der AS Monaco. Mit Youngster Fernando Torres (20/Atletico Madrid) und La Coruñas Albert Luque (25) hat Nationaltrainer Iñaki Saez nur zwei Alternativen im Sturm.
Offensivspektakel vorprogrammiert
Saez gilt nicht als grosser Verfechter von Offensiv-Fussball. Deshalb ist zu erwarten, dass Spaniens vergleichsweise junges Team sich eher der Spielweise des Gegners anpassen wird. Weil Saez die meisten seiner Akteure noch aus Juniorenzeiten kennt, können diese die Anweisungen des Basken innert Sekunden auf dem Feld umsetzen.
Die Mittelfeldachse wird voraussichtlich aus David Albelda, Ruben Baraja und dem in Spaniens Liga überragenden Vicente Rodriguez (alle Valencia) bestehen, Spielmacher wird Juan Carlos Valeron (La Coruña) sein.
Zur "Problemzone" der Iberer könnte die Abwehr werden, die vorwiegend durch Spieler von Real Madrid gebildet wird. Für die Position des linken Backs hat Saez in der Primera Division offenbar keine valable Besetzung gefunden, womit nun entweder Raul Bravo oder Barcelonas Carles Puyol als Aussenverteidiger eingesetzt wird. Kurzfristig reagierte Saez auf den verletzungsbedingten EM-Ausfall von Michel Salgado (Muskelfaserriss) mit der Nachnominierung von Deportivos Joan Capdevila.
Georgi Jarzew sei Dank
Dass Russland in Portugal vertreten ist, hängt eng mit einem Trainerwechsel zusammen. Mit Georgi Jarzew, der im August 2003 Nachfolger des entlassenen Waleri Gassajew wurde, schafften die Osteuropäer trotz fünf Punkten Rückstand auf die Schweiz und deren drei auf Irland die neunte EM-Qualifikation doch noch.
Der frühere Assistent des langjährigen Nationalcoachs Oleg Romanzew überredete die nach der WM 2002 von Gassajew ausgemusterten Altstars Alexander Mostowoj, Jegor Titow (wegen Dopings an der EM gesperrt) und Dimitri Alejnitschew zum Comeback und machte den nun allerdings wie Innenverteidigungs-Partner Sergej Ignaschewitsch verletzt ausfallenden Viktor Onopko wieder zum Captain. Damit kam der Erfolg zurück.
Russlands Spiel steht und fällt mit den Launen des bald 36-jährigen Mostowoj. Der Captain von Primera-Division-Absteiger Celta Vigo hat in Spanien endlich Verantwortung übernommen und sein ausschweifendes Nachtleben unter Kontrolle gebracht. Falls es dem "Zar" bei seinem wohl letzten Auftritt auf der internationalen Bühne gelingt, die jungen Stürmer Dimitri Sitschew (20) und Dimitri Bulikin (25/Hattrick beim 4:1 gegen die Schweiz in seinem zweiten Länderspiel) zum Abschluss zu bringen, könnte Russland in der Gruppe A eine Überraschung gelingen.
König Otto erneut als Held?
In Griechenland herrscht nach der zweiten EM-Qualifikation nach 1980 grosse Euphorie. Der deutsche Nationaltrainer "König Otto" Rehhagel will mit den Hellenen, die den zwei Niederlagen in der EM-Qualifikation sechs Siege ohne Gegentore und insgesamt 15 Partien ohne Niederlage folgen liessen, in Portugal "mindestens eine Partie gewinnen".
Rehhagels Wahlheimat ist an einem grossen Turnier noch immer sieglos: An der WM 1994 gab es drei Niederlagen, an der EM 1980 ein Remis und zwei Niederlagen. Als Hauptproblem der Griechen gilt der Sturm, der in acht Qualifikationsspielen trotz dem Gruppensieg nur halb so viele Tore (8) zu Stande brachte wie Verfolger Spanien.
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