Kambodschas prekäre Textilindustrie

Geiz ist geil

publiziert: Montag, 20. Jan 2014 / 10:41 Uhr / aktualisiert: Montag, 20. Jan 2014 / 11:10 Uhr
Textilarbeiterprotest in Kambodscha vor der Niederschlagung: zuviel zum Sterben, zu wenig zum Leben.
Textilarbeiterprotest in Kambodscha vor der Niederschlagung: zuviel zum Sterben, zu wenig zum Leben.

Kambodschas Textilarbeiterinnen schuften weiter unter prekären Bedingungen. Nach dem Streik und den anfangs Jahr Manu militari unterdrückten Protesten in Phnom Penh hat sich nichts verändert.

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Die moralische Entrüstung im Westen dauerte nur wenige Tage. Tote, Verletzte und Verhaftete nach dem Eingreifen der militärischen Spezialeinheit 911 des Langzeit-Premiers Hun Sen in der kambodschanischen Hauptstadt erschütterte Menschenrechts-Organisationen, Regierungen und sogar prominente westliche Textil-Firmen. Es hagelte Proteste. Kaum war Kambodscha aus dem Fokus der den digitalen Aktualitäten hinterherhechelnden internationalen Medien wieder verschwunden, kehrte der Courant normal im südostasiatischen Armenhaus wieder ein. Und auch im Westen. Zur Freude der Konsumenten, vermutlich klammheimlich auch der Gutmenschen von Menschenrechts- und Entwicklungshilfe-Organisationen, sind Textilien - unter anderem aus Kambodscha - in Läden und Warenhäusern der westlichen Industriestaaten noch immer spottbillig. Fair Trade oder Clean Clothing Campaign hin oder her, eingekauft wird im Westen jenseits von Moral nach dem Motto «Geiz ist geil». Die Tränen der Empörung über die Gewalt gegen Streikende und Demonstranten sind deshalb nichts anderes als Krokodils-Tränen.

Premier Hun Sen - ehemaliges mittleres Kadermitglied der mörderischen Roten Khmer - klopft sich derweil als «guter Demokrat» selbst auf die Schulter. Der Einsatz seiner Soldaten und Polizisten hat sich für ihn und seine Partei - die Kambodschanische Volkspartei CPP - gelohnt. Hun Sen verfügte, kaum war Ruhe und Ordnung wieder eingekehrt, harte Massnahmen, auf dass sein widerspenstiges Volk ja nicht auf falsche Gedanken komme. Versammlungen von mehr als zehn Personen sind verboten. Die Uni-Studenten wurden angewiesen, keine «politischen Versammlungen zu veranstalten» und sich «politisch sensitiver Diskussionen» zu enthalten. Polizei und Armee stehen in Phnom Penh in voller Anti-Demo-Montur, Gewehr bei Fuss, allzeit bereit. Der 62 Jahre alte Hun Sen, seit bald dreissig Jahren an der Macht, will schliesslich noch lange nicht abtreten. Seine Popularität freilich hat in den letzten Jahren gelitten. Bei den Wahlen im vergangenen Juli hat er zur Überraschung aller, auch der internationalen Medien, gewaltig an Boden verloren. Seine CPP konnte nur noch 68 Sitze gewinnen, die Opposition kam auf sensationelle 55 Sitze.

Ob alles mit richtigen Dingen zugegangen ist, im elend korrupten Land, daran zweifelt nicht nur die oppositionelle «Nationale Rettungspartei Kambodschas» (CNRP). 1,3 Millionen Stimmen, so die CNRP, seien ihr «gestohlen» worden. Wie auch immer, die Opposition hat an Popularität gewonnen. Galionsfigur ist der ehemalige Finanzminister Sam Rainsy. Er hatte einst mit Hun Sen gemeinsame Sache gemacht, trennte sich aber im Streit, wurde verhaftet, landete im Gefängnis, ging ins Exil nach Frankreich und kehrte für die Wahlen zurück. Hun Sen gab sich gnädig, weil er seines überlegenen Wahlsieges gewiss war. Er sollte sich täuschen.

Oppositions-Supremo Rainsy nützte als gewiefte Politiker den seit längerer Zeit schwelenden Streit um die Lohnfrage in den Textilfirmen. Er unterstützte die Forderungen nach einer Verdoppelung des Monats-Mindestlohns von 80 auf 160 Dollar und nach Verbesserungen der desolaten Arbeitsbedingungen. Die Textilarbeiter und Arbeiterinnen und der Gewerkschafts-Dachverband ihrerseits unterstützen nun die Forderung nach Rücktritt Hun Sens und vorgezogenen Neuwahlen. Mit 100 Dollar im Monat kann ein Textilarbeiter oder Arbeiterin im heutigen Kambodscha kaum leben. Es ist zu viel zum sterben und zuwenig zum leben.

Hun Sen denkt freilich nicht an Rücktritt und blickt gelassen auf die verfassungsgemäss erst im Jahre 2018 fälligen Neuwahlen. Den Mindestlohn hob die Regierung moderat von 80 auf 95 Dollar im Monat an. Damit hat er auch die zu neunzig Prozent asiatischen Textil-Industriellen - aus Thailand, Singapur, China, Taiwan, Südkorea - auf seiner Seite. Schliesslich trägt die Textilindustrie zu einem Drittel des Staatsbudgets bei und generiert mit fünf Milliarden Dollar im vergangenen Jahr über 80 Prozent aller Exporte. Die Textil-Industrie argumentiert glaubwürdig, dass sie als Lieferant bekannter westlicher Kleidermarken unter starkem Preisdruck stehen. Sie hätten keine Wahl. Zudem sind sie sich der Unterstützung der korrupten Regierung von Hun Sen gewiss. Zu Recht, wie die Repressionsmassnahmen zeigen. Dass Textil-Unternehmer bei Erhöhung des Mindestlohns abwanderten, ist eine Drohung ohne Substanz. Denn billiger geht es kaum irgendwo. Kambodscha gehört mit Bangla Desh und Pakistan zu den absoluten Textil-Billigstlohnländern.

Die Luft für Hun Sen und dessen Volkspartei CPP wird allerdings immer dünner. Eine Rolle dabei spielt nicht zuletzt das Internet. Die sozialen Medien verbreiteten Meldungen und Videos über das brutale Vorgehen von Hun Sens Prätorianergarde in der Hauptstadt Phnom Penh bis ins hinterste Dorf. Die Mehrheit der über 500'000 in der Textil-Industrie Beschäftigten kommt vom Land. Bei Neuwahlen hätte Hun Sen deshalb heute kaum eine Chance. Doch mit Hilfe seiner Partei, seiner Freunde in Industrie und Handel wird er vorerst Neuwahlen zu verhindern wissen. Im Jahre 2018 dann, bei den regulären Wahlen, wird sich Hun Sens CPP sicher etwas Kreatives einfallen lassen.

In der Zwischenzeit müssten eigentlich westliche Kleidermarken und Konsumenten in sich gehen. Doch der politisch korrekte Geiz wird eine Umkehr verhindern.

(Peter Achten/news.ch)

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