Gelassene Trägheit kontra Risikoexport

publiziert: Mittwoch, 14. Aug 2013 / 14:47 Uhr / aktualisiert: Donnerstag, 15. Aug 2013 / 00:10 Uhr
Geothermieanlage in St. Gallen - zu riskant für uns Schweizer?
Geothermieanlage in St. Gallen - zu riskant für uns Schweizer?

Nun gibt sie wieder Ruhe, die Erde um St. Gallen. Als sie vor knappen 4 Wochen mitten im Sommerloch mit einer Stärke von 3.5 (Richter Skala) bebte, als bei einer Tiefengeothermiebohrung eine Gasblase wieder ins Gestein gepresst werden musste, herrschte mancherorten schon Panik. Die 0-Risiko-Schweiz zeigte mal wieder ihr Gesicht - aber nicht überall.

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Weiterführende Links zur Meldung:

Wikipedia zur Richterskala
Hilfe, um die 3.5 Magnitude einzuordnen: Die Richterskala erklärt
wikipedia.de

Haben Sie ein Smartphone? Fahren Sie Auto? Besitzen Sie Gegenstände die Zinn, Mangan oder gar Seltene Erden enthalten? Na, dann seien Sie mal froh, dass diese Materialien alle weit weg von uns produziert werden.

Denn viele dieser Rohstoffe werden in der dritten Welt und vielfach unter katastrophalen Bedingungen gewonnen. Das Lötzinn, welches für Kontakt auf den Platinen unzähliger elektronischer Geräte vom Furby bis zum Steuerungssystem eines Passagierflugzeugs sorgt, kommt vielfach aus den Zinn-Minen von Bangka in Indonesien, wo dieses Metall meist durch Kinder und unter unmenschlichen Bedingungen abgebaut wird.

Ob Zinn (Lötmaterial), Seltene Erden (Magnete, Bildschirme Akkus), Coltan (Handy-Kondensatoren) oder Gold (Elektrische Kontakte), vielfach werden diese Rohstoffe unter inhumanen und auch extrem unökologischen Bedingungen gewonnen. Selbst wenn wir bei uns diese Rohstoffe finden würden und die Anlagen behördlich genehmigt würden, wäre es praktisch sicher, dass sich die hiesigen Anwohner mit Händen und Füssen gegen solche Bergwerke wehren würden. Nicht, weil wir die Endprodukte nicht wollten, sondern weil wir die potentielle Schweinerei nicht tolerieren wollen, welche die Rohstoffgewinnung verursachen könnte.

Nun hat die Schweiz «glücklicherleider» keine nennenswerten Rohstoffe, deren Abbau unsere Agglo-Romantik zwischen Genf und St. Gallen stören könnte, so dass wir das meiste mit leicht schlechtem Gewissen importieren können.

Doch sobald die Gelegenheit da wäre, Rohstoffe oder Energie lokal zu gewinnen und eine Kleinigkeit (ja, das Wort wird hier bewusst benutzt) schiefgeht, geht vielfach kopflose Panik um. Es war daher von den St. Gallern mutig genug, nach dem Basler-Geothermie-Debakel ein eigenes (aber auf einem grundsätzlich anderem Ansatz beruhendes) Projekt mit dem Segen des Stimmvolkes anzuschieben.

Das Projekt lief dabei - bis in das diesjährige Sommerloch hinein - ohne irgendwelche Probleme ab. Dann wurde eine Erdgasblase angebohrt, was den Druck im Bohrloch schlagartig ansteigen liess, weshalb Wasser und eine Schwere Bohrspülung in das Loch eingepresst wurden, um eine Explosion zu verhindern. Dieses Zurückpumpen verursachte am darauffolgenden Tag den Erdstoss mit der Stärke von 3.5 auf der Richterskala (herabgestuft von anfänglich 3.6), der, wie von der Stärke her zu erwarten, nur sehr geringe Schäden verursachte. Eine Reihe von sukzessiv kleineren Nachbeben während der folgenden Tage weist darauf hin, dass das Beben keine Reaktion des Untergrundes auf die eingepumpte Flüssigkeit war, sondern dass damit vorhandene sogenannte Gebirgsspannungen des Untergrundes gelöst, womöglich ein kleines Erdbeben vorzeitig losgetreten wurde.

Ob alle Spannungen weg sind, lässt sich nicht sagen, doch nicht wenige wünschten lautstark den sofortigen Abbruch des Projektes und im Sinne der alternativenergetischen Nachhaltigkeit, dass man sich im Ausland an Geothermieprojekten beteiligen solle.

Sprich: Wenn's im Ausland rumpelt, ist uns das Wurst, selbst wenn bei uns das Risiko sehr klein sein sollte. Denn die Schweiz soll sauber sein: Ohne AKW's (aber wehe die Franzosen können uns keinen Strom verkaufen, wenn wir ihn brauchen), ohne Windräder (unsere Landschaft!), ohne höhere Staumauern (schon wieder «unsere Landschaft!!») und womöglich auch sonst ohne Störungen unseres helvetischen Vorgärtchens.

Erstaunlicherweise schien die Hysterie umgekehrt proportional zur Entfernung vom Bohrloch zuzunehmen. In St. Gallen, dass sich immer seine Provinzialität von allem, was westlich von Wil liegt, vorhalten lassen muss, herrscht kritische Gelassenheit, die häufig verspottete Trägheit verhinderte soeben auch panische Kurzschlusshandlungen. Es wird abgeklärt, informiert und gespannt auf die Resultate gewartet. Man wusste ja von Anfang an, dass man ein finanzielles und auch geringes seismisches Risiko einging, mit der die Chance eines kleinen energietechnischen Befreiungsschlages - nicht zuletzt aus der Abhängigkeit von zunehmend antidemokratischen Gasproduzenten - einherging.

Ja, es gibt gewisse Risiken, die unser Lebensstil einfordert, selbst wenn wir diesen etwas bescheidener gestalten würden (wonach es momentan nicht aussieht). Diese immerzu einfach zu exportieren, lässt uns blind gegenüber globalen Realitäten werden. Einige dieser Risiken wieder zu importieren wäre in dieser Hinsicht nur fair. Wir sind nicht besser als jene Menschen, die in der Nähe von Gasfeldern und von Rohstoffminen leben. Es leuchtet nicht wirklich ein, warum nur jene die Nachteile unseres Lebensstils erfahren sollten. Denn das Geld mit den Rohstoffen wird ja nicht von den dort lebenden Menschen, sondern durch die nicht zuletzt in Zug angesiedelten Multis gemacht.

Sollte in der Ostschweiz das Geothermieprojekt trotz des Bebens verwirklicht werden, wäre es ein erfreuliches Beispiel in dieser Hinsicht - wenn es hingegen auf dem politischen Parkett (nach einer allfälligen geologischen Entwarnung) doch noch gekillt würde, wäre endlich auch die Ostschweiz wieder total im helvetischen Mainstream angelangt.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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