Gisela Widmer: Heute keine Annahme von Streicheleinheiten

publiziert: Dienstag, 17. Okt 2000 / 12:10 Uhr

Zürich - Soeben wurde der dritte Band mit Kolumnen von Gisela Widmer veröffentlicht. «Heute keine Annahme von Streicheleinheiten» sprüht wie seine Vorgänger vor Phantasie und doppelbödigem Humor.

Wer kennt sie nicht, die leicht rauchige Stimme mit dem unverwechselbaren Timbre der London-Berichterstatterin? Widmers träfe, klugen und witzigen Analysen britischer Gesellschaft und Politik schlugen zehn Jahre lang DRS-Hörerinnen und -Hörer in ihren Bann. Ende Oktober ist letzter Sendetermin.

Als Trost bleiben uns ihre Kolumnen aus «Schweizer Familie» und «Tagi». Sie berichten natürlich nicht nur vom fremden Inselreich, sondern handeln allgemein vom menschlichen Zusammenleben im Kleinen und im Grossen.

In ihrem neuen Buch lüftet Widmer endlich das Geheimrezept für ihre beliebten Kleintexte: Sie werden jeden Montagmorgen um elf Uhr verfasst, wobei dem eigentlichen Schreiben unbedingt ein Rundgang durch den Garten vorausgehen muss. Im Gegenuhrzeigersinn - das versteht sich von selbst!

Meist machen schon die Titel neugierig. Ihr tieferer Sinn freilich ist ihnen selten anzusehen. So führt der Weg von der Überschrift «Autopilot» zu erstaunlichen Erkenntnissen über die Gemeinsamkeiten der Begriffe «Trott» und trottelig».

Und im Kapitel «Ohne Worte» gelangt man zu grundlegenden anthropologischen Einsichten: «Je öfter man in den Zoo geht, desto mehr erfährt man über die Tierwelt. Und ich gehe nun mal oft unter die Menschen». Das sitzt.

Die vierzigjährige Journalistin ist eine welterfahrene Frau mit analytisch scharfem Blick, aber nicht ohne Verständnis für menschliche Schwächen bei Frauen und Männern. Die kleinen Alltäglichkeiten entgehen ihr ebenso wenig wie die weltweiten Zusammenhänge, romantische Illusionen hat sie schon lange abgelegt.

Ihren Mann und Chefstatisten «Pepino» liebt sie heiss und innig, besonders wenn er den Güselsack ins Freie trägt. Eine Ähnlichkeit mit Ephraim Kishons «bester Ehefrau von allen» ist nicht von der Hand zu weisen. Pepino ist Widmers «alter ego» und Lieferant einer zweiten Perspektive. Sein Einfluss auf Sicht und Lauf der Dinge ist beträchtlich, egal, ob er träfe Kommentare abgibt oder sich in vielsagendes Schweigen hüllt.

In Widmers Kolumnen sind Leerzeichen wichtig. 1250 Zeichen «inkl. Leerzeichen» darf die Länge der Texte laut Redaktionsrichtlinien maximal betragen. Das ist erschreckend wenig. Da muss man auch scheinbare Leerläufe und Leerzeichen vollpacken, um etwas aussagen zu können. Und das beherrscht Widmer.

Denn natürlich reicht es nicht, den Garten im Gegenuhrzeigersinn zu umrunden und sich Montags um elf an den PC zu setzen. Eine Idee sollte man schon haben. Und eine Pointe. Plus Begabung. So lassen sich denn Gisela Widmers Kolumnen selbst mit Rezept nicht nachkochen.

Notiz: Gisela Widmer, «Heute keine Annahme von Streicheleinheiten. Kolumnen». Zytglogge Verlag, Gümligen 2000, 184 Seiten, 29 Franken.

(sda)

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