Hat die Klimaerwärmung nur scheinbar pausiert?

publiziert: Freitag, 4. Sep 2015 / 10:02 Uhr / aktualisiert: Freitag, 4. Sep 2015 / 10:33 Uhr

Der Befund, dass es auf der Erde in den letzten Jahren trotz steigender CO2-Emissionen kaum wärmer wurde, prägt die Klimadiskussion seit geraumer Zeit. Nun behauptet eine Studie der amerikanischen Wetterbehörde NOAA, dass die «Klimapause» gar nicht existiert. Ein lehrreiches Beispiel dafür, was die «Realität» eigentlich ist, und wie Wissenschaft funktioniert.

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Ein oft genanntes Argument gegen den menschengemachten Klimawandel ist, dass sich die globale Oberflächentemperatur seit 1998 nicht erhöht hat, obwohl die CO2-Konzentration in der Luft weiter angestiegen ist. Das Phänomen der stagnierenden Erderwärmung ist gemeinhin als Klimapause bekannt und seit längerem Gegenstand einer heftigen Debatte. Skeptiker sahen sich in ihrem Zweifel am Klimawandel bestätigt, während Wissenschaftler auf der ganzen Welt nach plausiblen Erklärungen suchten - und solche auch fanden. Nun sorgt eine neue Arbeit des amerikanischen Wetterdienstes NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) in «Science» für Wirbel: Die Klimapause, englisch auch «hiatus» genannt, habe es gar nie gegeben - neue Messdaten zeigten, dass die Erdtemperatur seit 1998 kontinuierlich angestiegen sei. Die fehlende Erwärmung, zu der es Dutzende von Studien und Begründungen gibt, sei demnach ein Artefakt, also ein methodisch bedingtes falsches Ergebnis. Verschiedene Medien berichteten darüber.

Kein einheitliches Messnetz

Wie kam es dazu? Die Antwort ist simpel: Es ist schlicht ein komplexer Prozess, die globale Temperatur exakt über die Zeit zu bestimmen. Die Frage, wie genau Meteorologen und Klimaphysiker dabei vorgehen, und welche Schwierigkeiten sich ergeben, werde ich aus Platzgründen in meinem nächsten Beitrag vertiefen. Daher an dieser Stelle nur so viel: Die globale Temperatur kombiniert Daten von tausenden Messungen, welche die Lufttemperatur über Land und die Wassertemperatur im Ozean ermitteln. Um die verschiedenen Messresultate vergleichbar zu machen und zusammenzuführen, und um Fehler in Stationen zu finden, müssen die Daten immer wieder vereinheitlicht (homogenisiert) und aufeinander abgestimmt (kalibriert) werden. Genau das hatten die NOAA-Forscher gemacht: Sie überprüften die Daten des weltweiten Messnetzes und korrigierten sie.

Vergleichbare Daten und lange Zeiträume sind entscheidend

Die neue Studie kalibriert nun die verschiedenen Datentypen im Ozean besser. Zudem berücksichtigt sie mehr Datensätze und nimmt die letzten zwei Jahre seit dem Klimabericht IPCC von 2013 dazu. Das Resultat ist, dass der Trend über die letzten 15 bis 20 Jahre ähnlich ist wie die langfristige Erwärmung vorher. Effektiv unterscheiden sich die Daten aber wenig von den früheren Versionen der gleichen Institution. Das zeigt, dass Trends über kurze Zeiträume oft nicht robust genug und daher nicht repräsentativ sind, um daraus auf die langfristige Entwicklung zu schliessen. Hinzu kommt, dass viele alte Aussagen zum Hiatus auf Datensätzen basieren, die Gebiete ohne Messungen ignorieren, zum Beispiel die Arktis. Werden die fehlenden Daten durch Nachbarstationen, Satellitendaten oder typische Muster eingefüllt, wird auch die Erwärmung  grösser. Die Details sind hier entscheidend.

Umsonst die Pause erklärt?

Ob es die Klimapause gibt oder nicht, hängt also davon ab, welche Daten und welchen Zeitraum man betrachtet. Die Erwärmung des Ozeans beispielsweise, der am meisten Energie aufnimmt, hat nie pausiert. Auch sind unsere Erklärungen für die verlangsamte Erwärmung damit nicht vom Tisch, insbesondere wenn man die Konsistenz von Beobachtungen und Modellsimulationen betrachtet: Mit dem starken El Niño von 1998 und einer Tendenz zu La Niña bis 2012 haben die natürlichen Klimaschwankungen einen kühlenden Beitrag geliefert, und damit einher geht gemäss den Modellen eine leicht höhere Wärmeaufnahme der Ozeane. Ohne diesen kühlenden Effekt der natürlichen Klimaphänomene wäre der Erwärmungstrend seit 1998 also wahrscheinlich noch grösser gewesen, und damit völlig konsistent mit den Klimamodellen, wie wir letztes Jahr argumentiert haben (siehe Beitrag in ETH-News). Dass die lückenhaften Messdaten ein Teil des Problems sind, hatten wir damals auch schon betont. Die vielen Studien zur Klimapause waren nicht umsonst - im Gegenteil: Sie haben entscheidend zum besseren Verständnis von kurzfristigen Klimaschwankungen beigetragen, und sie erklären die Unterschiede zwischen Modellen und Beobachtungen.

Fazit für die Wissenschaft

Die Klimapause ist in verschiedener Hinsicht lehrreich. Es ist einfach, ein kurzes Stück aus einer Datenreihe herauszupicken und einen scheinbaren Widerspruch aufzuzeigen, und es verkauft sich gut. Die Realität halte sich hartnäckig nicht an die Modelle, kritisierten einschlägige Medien kürzlich wieder einmal. Aber was ist überhaupt die «Realität»? Die naive Annahme, dass ein Computermodell stets falsch und die Beobachtungen richtig sind, greift immer öfter zu kurz. Beobachtungsdaten über lange Zeiträume haben alle möglichen Tücken. Das Klima kann man nicht im Labor aufbauen und vermessen, und wir können die «Realität» nur näherungsweise bestimmen, vor allem wenn sie Jahrzehnte zurück liegt.

Wie so oft sind es verkettete Umstände und damit mehrere Faktoren, die zusammenspielen und zu einem unerwarteten Ereignis führen - zum Beispiel bei Fukushima oder der Finanzkrise. Bei der Klimapause sind es ein zufälliger Trend in El Niño, eine starke aber schlecht vermessene Erwärmung in der Arktis, ein paar kleinere Vulkane sowie eine schwächelnde Sonne, die die Modellsimulationen nicht voraussehen konnten. Saubere Wissenschaft braucht Zeit, um verschiedene Ideen zu testen, die wiederum von anderen reproduziert werden, bis ein robustes Bild entsteht. Und oft sind es etliche Puzzleteile, die erst zusammengefügt ein Phänomen erklären. In einem Tweet oder einem kurzen Artikel lässt sich so was meist schlecht vermitteln, aber sehr einfach verzerren.

Dass sich die Erde erwärmt, ist mit der neusten Studie noch klarer geworden. Aber dass damit nun alles klar ist, wäre falsch zu glauben, weil das unserer Grundhaltung als Wissenschaftler widerspricht. Andere Forschungsgruppen werden die neuen Resultate hinterfragen, kritisieren, und die Aussagen verfeinern. Wir müssen kritische Fragen stellen und Herausforderungen annehmen. Wir lernen aus Fehlern und aus unerwarteten Beobachtungen, und das wird auch in Zukunft so sein.

(Reto Knutti/ETH-Zukunftsblog)

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