Am Rande Lumbreins errichteten Hurst Song Architekten einen Zweitwohnsitz, der durch seine polygonale Form an einen Kristall erinnert. Im Innern verblüfft die konsequente Reduktion auf die Materialien.
Die Wahl des Orts für dieses alpine Refugium fiel auf die kleine Bündner Gemeinde Lumbrein, die vom Tourismus kaum berührt ist und daher viel Authentizität bewahrt hat. Das Grundstück befindet sich an einem Südhang am Rand des Dorfs und ist über die neue Gemeindestrasse, die unterhalb der Parzelle eine scharfe Kurve zieht, erreichbar. Ein knapper Einschnitt in die Böschung ermöglicht die Zufahrt zur Garage und gewährt über das Untergeschoss den direkten Zugang von der Strasse ins Haus – auch bei viel Schnee. Weiter führt ein unauffälliger Gehweg aus Granit und Geröll von der Strasse zum Haupteingang im Erdgeschoss.
Die Autoren, Hurst Song Architekten, haben besonderen Wert darauf gelegt, dass sich das Haus gut ins Landschaftsbild einfügt: Es sollte ein kompakter Bau werden, ähnlich der bestehenden Häuser im Lugnez. Wie es die Tradition und das Baugesetz vorsehen, sind alle Dachfirste zum Tal hin orientiert. Den darunterliegenden Gebäudekörper versetzten die Architekten allerdings leicht, um den Ausblick auf die Berge und übers Val Lumnezia, wie das Tal auf Rätoromanisch heisst, zu optimieren. «Durch diese Verdrehung erhält der Bau eine polygonale Form und weckt so die Assoziation mit einem Bergkristall. Um diese Wirkung zu verstärken, wurde auf ein Vordach verzichtet», erklärt uns Alex Hurst. Die schwarze Fassade ist eine Reverenz an die alten Holzhäuser im Dorf, die über die Jahrzehnte ganz dunkel geworden sind. Nach einer Weile wird auch das Kupferdach schwarz werden, was den monolithischen Eindruck des Baus noch einmal intensivieren wird.
Kompakte, funktionale Innenräume
Das Haus gliedert sich in drei Ebenen: Ein Eingangs-, ein Wohn- sowie ein Schlafgeschoss. Ins unterste Stockwerk gelangt man direkt durch den Aufgang der Garage. Hier befinden sich Skiraum und Ablageflächen für Wanderschuhe, Jacken und andere Utensilien, die gut verstaut sein möchten. Auf derselben Ebene ist ein Zimmer untergebracht, das vielseitig nutzbar ist. Die drei Doppelbetten können nämlich von der Wand heruntergeklappt werden, was eine massentaugliche Unterkunft ermöglicht. Zusätzlich könnte das Zimmer aber auch als Therapie- oder weiterer grösserer Aufenthaltsraum genutzt werden – ein ausdrücklicher Wunsch der Bauherrin.
Eine Etage weiter oben befinden sich die Koch- mit Esszone sowie der Wohnbereich. Das Geschoss ist als offener Raum konzipiert, der als Rundgang begehbar ist. Trotzdem trennen die Wände, die den Treppenaufgang umschliessen, klar den Essbereich vom Wohnzimmer. Die beiden Teile vermitteln auch ein völlig unterschiedliches Raumgefühl und sind gegensätzlich ausgerichtet. Von der Esszone mit der schwarzen MDF-Küche, eigens für das Ferienhaus errichtet, schaut man quasi auf den Hang hinaus. Ein Aussensitzplatz vor der Küche stellt einen engen Bezug zur Alpenwiese her – dort speist man sozusagen im Angesicht der Kühe. Vom Wohnzimmer aus führt der Blick hingegen aufs Bergpanorama und in die Weite des Tals.
Im Dachgeschoss befinden sich zwei geräumige Schlafzimmer. Die beiden Suiten, wie die Architekten die beiden Hauptschlafzimmer nennen, verfügen beide über ein eigenes Bad mit Dusche. Zudem wurde in einer Nische je ein fixer Schreibtisch mit Anschluss für Internet und Computer eingefügt. Die Zimmer orientieren sich leicht diagonal zum Grundriss, das heisst der Kniestock ist wie das Dach leicht verdreht, was dem Raum seine konische Grundform gibt und die Zimmerhöhe bei der Dachschräge auf angenehme 140 Zentimeter hält.
Holz trifft auf Beton
Eine unglaubliche Wirkung hat der konsequente Einsatz zweier Materialien: Beton und Fichtenholz. Im gesamten Innern des Hauses kommen nur diese beiden Konstruktionsmaterialien vor. Konkret bedeutet das, dass im untersten Geschoss Beton vorherrscht, im mittleren die beiden Materialien ziemlich ausgewogen aufeinandertreffen und im obersten Stockwerk Holz überwiegt. Das ergibt auch Sinn, denn in den Schlafzimmern, wo man sich auch gerne mal barfuss aufhält, fühlen sich warme Materialien wohnlicher an. Überhaupt wurde in diesen Zimmern die Reduktion der Materialien auf die Spitze getrieben – sie wirken wie heimelige Holzhöhlen. Die Decken der Schlafzimmer sind nicht etwa eine Verkleidung, wie das üblicherweise bei Täferungen der Fall ist, sondern sie sind die eigentliche Dachkonstruktion. Der Boden besteht aus denselben Holzbrettern, die auch für die Decke eingesetzt wurden. Und daraus sind auch alle weiteren Möbel gefertigt wie Sideboards, Regale, Einbauschränke oder Stauraummöbel, die spezifisch für dieses Haus entworfen wurden. «Fichtenholz eignet sich hervorragend für ein solches Haus, denn es hat besonders viele Astzeichnungen, was dem Holz Lebendigkeit und Authentizität verleiht», sagt Architekt Alex Hurst. Im belebten Wohnzimmer dagegen, das man auch mal schnell mit Strassenschuhen betritt, besteht der Boden aus praktischem Hartbeton.
Das Haus ist im Minergie-P-Standard erbaut. Dies wurde mittels Wärmepumpe und besonders guter Dämmung erreicht. Das Dämmmaterial besteht aus Cellulose, das umweltschonend aus Altpapier gewonnen wurde. Besonders in diesem Haus, das regelmässig auch während zweier Wochen gar nicht bewohnt ist, dann aber wieder einige Tage am Stück, ist es sinnvoll, wenn die Heizung nicht immer ganz nach unten gefahren und wieder aufgedreht werden muss. Der Specksteinofen vermag zudem die beiden oberen Geschosse schnell zu wärmen.
Credo der Reduktion
Nicht nur der Einsatz der Materialien ist auf ein Minimum reduziert, auch die Einrichtung ist enorm zurückhaltend. Einige wenige Designermöbel wie die Liege von Le Corbusier oder ein Jasper-Morrison- Sofa fügen sich dezent in den Raum ein. Ein prominent platzierter Flügel lässt auf ein Hobby oder eine Leidenschaft der Bauherrin schliessen. Man stellt sich vor, wie eine Schar von Enkelkindern der Grossmutter beim Spielen lauscht, vielleicht dazu mitsingt. Dieses Haus füllen vor allem Menschen und ihre Stimmen.
(Nina Huber/Wohnrevue)
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