«Internetgeneration kann nicht zuhören»

publiziert: Freitag, 7. Nov 2008 / 12:10 Uhr / aktualisiert: Freitag, 7. Nov 2008 / 15:05 Uhr

Hatfield - Die Mitglieder der Internetgeneration eignen sich nicht mehr dazu, als Schöffen (ehrenamtliche Richter) vor Gericht eingesetzt zu werden. Mit dieser Einschätzung sorgt derzeit der oberste Richter Grossbritanniens Sir Igor Judge für Aufsehen.

Sir Igor Judge hält nicht viel von modernen Technologien im Gericht.
Sir Igor Judge hält nicht viel von modernen Technologien im Gericht.
Wie die britische Times berichtet, hatte der als Lord Chief Justice bezeichnete Träger des höchsten Richteramtes diese Auffassung erst kürzlich im Rahmen einer Rede an der University of Hertfordshire vertreten.

Judge zufolge seien viele junge Menschen heute zwar «technisch sehr geschickt» und würden sich eine «Vielzahl von Informationen aus dem Internet» besorgen. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang aber, dass sie die Inhalte dort lediglich lesen würden.

Die für Gerichtsverhandlungen notwendige Fähigkeit des Zuhörens - auch über längere Zeitspannen hinweg - bliebe dabei völlig auf der Strecke, so Judge.

Information durch moderne Technologie?

«Ein mögliches Problem ergibt sich aufgrund der innerhalb der Internetgeneration mittlerweile üblichen Lernpraktiken, durch die junge Menschen heute nicht mehr wie wir gewohnt sind, über einen längeren Zeitraum hinweg zuzuhören», zitiert die Times aus der Rede des obersten britischen Richters.

Einige würden es zwar vielleicht doch noch aushalten, über Stunden und ganze Tage im Gerichtssaal zu sitzen und den Ausführungen zu lauschen. «Es würde aber wohl nicht lange dauern, bis so mancher von ihnen verlangt, dass er die Informationen, auf deren Grundlage er seine Entscheidung treffen muss, auch in Form von modernen Technologien zur Verfügung gestellt bekommt», betont Judge.

Dieses Problem werde sich durch den rasanten technologischen Fortschritt in Zukunft noch weiter verschärfen. «Ich will erst gar nicht damit anfangen, mir das Ausmass der vor uns liegenden Veränderungen vorzustellen», meint Judge.

Illegale Recherche im Internet

Der Zugang zum Internet stelle aber auch noch aus anderen Gründen eine Herausforderung für das geltende Rechtssystem dar. So würden die Richter mittlerweile die Schöffen bereits am Beginn von Verhandlungen darauf hinweisen, dass eine Recherche zum aktuell behandelten Fall im Internet nicht zulässig ist.

«Wir nehmen zwar an, dass diese Anordnung in der Regel akzeptiert und befolgt wird. Dadurch lässt sich aber nicht verhindern, dass einzelne Jury-Mitglieder von Zeit zu Zeit gegen diese Vorschrift verstossen und ihre eigenen privaten Nachforschungen anstellen», erläutert Judge. Der oberste britische Richter verweist dabei auf einen Vergewaltigungsfall, in dem die Anklage aufgrund der nachweislichen Verwendung des Internets fallengelassen werden musste.

Problematische Verfügbarkeit von Informationen

Allein schon der Umstand, dass bereits vor dem eigentlichen Prozessbeginn zu vielen Gerichtsverfahren Informationen im Netz zu finden sind, stelle das Rechtssystem vor ein ernstzunehmendes Problem. «Es nützt nichts, dass die Medien dazu angewiesen werden, sich in Bezug auf die Veröffentlichung von Informationen zu Prozessen in Zurückhaltung zu üben, wenn heute jeder Bürger im Internet die Möglichkeit hat, sich über alle Details des entsprechenden Falls zu informieren», erklärt Judge.

Der britische Lord Chief Justice habe selbst aber keine Lösung für diese Probleme parat. Es wäre etwa eine vollkommen unakzeptable Vorstellung, das technische Equipment eines Schöffen auf eine Verletzung der richterlichen Anordnung hin zu prüfen. «Es ist besser, diese potenziellen Schwierigkeiten und Probleme dann aufzeigen, wenn es noch Zeit dafür gibt, als zu warten und die Gesetzgebung - wie so oft - in Eile zu überstürzen», so Judge.

(bert/pte)

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