Ist der Papst eigentlich katholisch? Oder Abt Martin Werlen? Oder sonst wer?

publiziert: Donnerstag, 14. Feb 2013 / 14:19 Uhr
Ist er nun katholisch? Oder noch? Oder wieder? Und wie steht es mit allen anderen?
Ist er nun katholisch? Oder noch? Oder wieder? Und wie steht es mit allen anderen?

Gedanken zum schwurbeligen Selbstbedienungsbegriff «katholisch».

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«Ich bin zwar katholisch, aber was der Papst so sagt, damit bin ich nicht einverstanden!» So oder ähnlich tönt es immer wieder, wenn man mit Schweizer Katholiken zu tun hat und sich über ihren Glauben, ihre Einstellungen in religiösen Dingen unterhält.

Mich erstaunt diese Ungenauigkeit im Denken und Sprechen immer wieder. Nun ist es ja nicht so, dass ich den Katholizismus einzig auf das Papsttum und den Katechismus reduzieren will, aber es erstaunt mich doch immer wieder, wie sehr die Rosinenpickermentalität in diesen Dingen vorangeschritten ist. Es ist eine wichtige Grundregel in aller Kommunikation: Unterstelle deinem Gegenüber keine Ansichten, die jenes nicht auch tatsächlich hat. Ich versuche, diese auch mehr oder weniger zu befolgen: Ich lasse mein Gegenüber zuerst darlegen, woran und was es denn überhaupt glaubt, ansonsten kämpft man ja vielleicht gegen Strohmänner an. Nun fährt es mir aber dann doch bisweilen schräg ein, dass ich sogar bei selbstbekennenden Katholiken nicht davon ausgehen darf, dass sie z.B. die Autorität des Papstes anerkennen oder den Katechismus für richtig und wichtig halten.

So wirkt das auf mich: «Ich bin Veganer.» - «Du konsumierst also kein Fleisch, Fisch und Produkte aus Milch und Ei und verzichtest auch allgemein auf Tierprodukte?» - «Nein, nein! Ich esse immer Fleisch, Fisch etc., wenn mir danach ist, fast täglich! Ich finde, man darf den Begriff nicht so eng sehen, es geht eher so um die persönliche und spirituelle Einstellung. Veganismus ist, was ich darunter verstehe. Ich finde es nicht so wichtig, was als Definition im Duden steht und andere dazu denken.»

Der Katholizismus wird also passend gemacht: Frauen, Lesben, Schwule und Transgender diskriminieren? Nein, das finden die meisten nicht so gut. Keine Sexualität ausserhalb der Ehe, Sexualität eh nur zu Fortpflanzung? «Nicht meine Einstellung!» lautet dann die Antwort. Keine Verhütungsmittel erlauben, obwohl sie die Ausbreitung von HIV eindämmen könnten? Keine sehr oft verteidigte Haltung.

Da wird einer vergewaltigten Frau in einem Krankenhaus in Deutschland die Behandlung verweigert, weil die katholische Trägerschaft entsprechende Richtlinien erlassen haben. Nein, es war kein «Missverständnis». Die Bistumsleitung zeichnet für solche Abweisung verantwortlich. Denn Fundi-Katholiken haben die in katholischer Trägerschaft befindlichen Krankenhäuser getestet. Und wenn in einem die «Pille danach» verschrieben wurde, folgte eine Anschwärzung bei den Kirchenoberen, die dann auch reagierten. Für mich: Typisch katholisch. Für viele: Nicht wirklich katholisch. Definitions- und Ansichtssache halt.

Der Umgang mit den Kindsmissbräuchen und vor allem deren systematische Vertuschung? Die Annäherung der römischen Katholiken an die Piusbrüderschaft (inklusive Holocaustleugner)? Da wird zwar etwas Kritik geübt, aber am Ende bleibt es dabei: Das seien halt kleinere Probleme, das treibe einen doch nicht zum Kirchenaustritt, darüber könne man doch hinweg sehen... Die Liste ist lang, hier aber noch etwas ganz Famoses: In Brasilien wurde an einer vergewaltigten Neunjährigen ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen, die Schwangerschaft war für das Mädchen gesundheitsgefährdend. Mutmasslich war sie schwanger nach einer Vergewaltigung durch ihren Stiefvater. Die Reaktion der katholischen Kirche? Die Mutter des Mädchens wurde exkommuniziert. Denn Abtreibung ist inakzeptabel.

Einzelfälle? Vielleicht. Viele Einzelfälle sind jedoch ein Symptom. Natürlich ist die Weltkirche ein Riesenbetrieb (auch wirtschaftlich). Und freilich ist sie kein Monolith. Es handeln viele Menschen innerhalb dieses Gebildes, da geschehen halt auch viele Fehler. Für mich sind solche Geschehnisse jedoch gerade Ausdruck des Glaubenssystems (glauben statt wissen, nachbeten statt denken oder kritisieren) und der Machtfülle, welche in der katholischen Kirche grösstenteils herrschen.

Es gibt jene, die sich «liberalen Katholiken» nennen, verheiratete Pastoralassistenten, Seelsorger, Diakone, ganz normale Kirchgänger usw... oder auch weibliche Pfarreibeauftragte, die sich wünschen, dass es in der Kirche vorwärts gehe, vielleicht sogar die Pfarreiinitiative unterzeichnet haben. Es ist ihnen ein echtes Anliegen, dass sich die Kirche reformiere. Ich frage mich dann immer: Wenn die alles durchreformieren wollen: Warum werden sie dann nicht gleich reformiert?

Ich bin sehr skeptisch, dass sich die katholische Weltkirche wirklich reformieren lässt und reformieren lassen will. Sie hätte zu viel zu verlieren. Sie hat ja gesehen, was passiert, wenn man zu liberal, zu humanistisch wird. Die evangelischen Kirchen befinden sich im freien Fall. Freilich soll sich nicht unbedingt ein Freidenker darüber auslassen, was denn jetzt die «echten Katholiken» sind, und welches die «unechten». Viele dieser unechten Katholiken halte ich trotzdem vom Gedankengut her eher für reformiert, oder gar für Humanisten und Freidenker, die einfach noch nicht richtig eingestehen wollen, dass sie nicht mehr an Übernatürliches glauben. Trotzdem: Es ist schon ein immenser geistiger Spagat, der da bewerkstelligt werden muss: Man ignoriert gerne mal den Papst, den Bischof Huonder, Bischof Overbeck und den Katechismus kennt man erst gar nicht mehr. Man nimmt sich für seinen ganz persönlichen Wohlfühlkatholizismus die flauschigen Dinge heraus. Wie's einem gerade so gefällt, wie's passt. Dass sich bei mir da Gedanken von «Unechtheit» einstellen, mag man mir nachsehen. Ich nenne diese Leute gerne Kuschelkatholiken.

Das Gegenteil eines Kuschelkatholiken ist z.B. Martin Lohmann, der Chefredaktor des Senders k-tv. Da hält einer mit reaktionären Ansichten (Frauen, Homosexualität...) nicht hinterm Berg, d.h. er sagt einigermassen offen, was denn die aktuelle Lehrmeinung der Katholica ist. Der aktuell noch amtierende Papst hat ihn übrigens gelobt für seine wichtigen Dienste, die er für die Kirche leiste. Atheisten und Agnostiker werden vom Papst übrigens nicht so wohlwollend gesehen und ermuntert. Leute wie Lohmann sind dafür zuständig, der katholischen Kirche Konturen zu geben. Sie heben sich ab vom Einheitsallerlei der verwaschenen inkonsequenten Katholiken. Aber auch Bischof Huonder und Bischof Norbert Brunner gehören zu den konsequenteren und sorgen immer wieder mal für Irritationen.

Anders sieht es aus bei Leuten wie dem Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, der in vielen Dingen nicht auf katholischer Linie ist, ein «fortschrittlicher Katholik» in einer gehobenen Führungsposition also. Solche Leute machen es für moderate Gläubige leichter, Mitglied dieser Kirche zu bleiben. Katholiken, welche z.B. in Frauenfragen, in Sachen Sexualität etc. einigermassen progressiv sind, finden ihn sicher repräsentativer für «ihre Kirche» als einen Vitus Huonder. Ich bin ja eher der Meinung, dass Werlen etwas auf verlorenem Posten kämpft, trotzdem ist mir ein solcher Bischof viel lieber als die Hardliner unter ihnen. In seinem aktuellen Bestseller «Miteinander die Glut unter der Asche entdecken» legt er viele Gedanken dar, die ich sehr sympathisch finde. Sehr überrascht wäre ich jedoch, wenn diese Ideen bald auch wirklich in der Kirche umgesetzt würden. Ich habe ihm persönlich gegenüber übrigens schon zugeben müssen, dass er für die säkulare Bewegung ein durchaus mühsamer Bischof ist, denn Huonder, Overbeck et al. führen ja immer wieder mal zu Kirchenaustrittswellen. Er hingegen verleiht der katholischen Kirche so etwas wie ein angenehm menschliches, ja in Teilen fast schon progressives Gesicht.

Eigentlich bin ich es halt leid, dass sich jeder aus dem Begriff «katholisch» das für ihn gerade passende herauspickt. Ich nehme es mittlerweile eigentlich keinem Menschen mehr richtig ab, dass er «katholisch» ist, denn er muss ja dann eh immer die Ausnahmen und seine ganz persönliche Privatdefinition darlegen. Vielleicht sollten wir diesen Begriff also ganz aus unserem Vokabular streichen? Mein Hirn übersetzt das Selbstbekenntnis «Ich bin katholisch.» jedenfalls schon seit geraumer Zeit direkt in: «Ich bin so ein bisschen katholisch, wenn es mir gerade in den Kram passt».

Ich jedenfalls bin ganz froh, dass ich keine solche Geistesgymnastik betreiben muss, dass ich aus dieser Kirche ausgetreten bin. Ich bin auch froh, dass mich diese Kirche exkommuniziert hat. Ich bin lieber Freidenker und Humanist als Katholik. Wie auch immer man den letzten Begriff jetzt zurechtbiegt.

(Valentin Abgottspon/news.ch)

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