Jahresrückblick 2012: Verlierer des Jahres: Demokratie

publiziert: Freitag, 30. Nov 2012 / 12:10 Uhr
Ungarns Viktor Orban: Kämpfer gegen die Demokratie.
Ungarns Viktor Orban: Kämpfer gegen die Demokratie.

Vor einem Jahr konnte man als Optimist noch zuversichtlich sein und darauf hoffen, dass die Demokratie dank des Schwungs in den arabischen Ländern auch anderswo einen Schub bekommen würde. Doch das Gegenteil ist passiert. Die demokratische Mitbestimmung ist allenthalben in Bedrängnis.

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Auftritt der Bundeshaus-Band
Die Bundeshaus-Band spielt für Maya Graf. Lautstärke vorsichtig einstellen!
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Es ist ein perfekter Sturm für die Demokratie, der sich da zusammen gebraut hat. Wirtschaftskrise und Fundamentalisten, Nationalisten und Technokraten erodieren die Volksrechte an allen Ecken und Enden. Dies nicht nur in Ländern, wo sich das zarte Pflänzchen Demokratie noch nicht hat etablieren können sondern auch in Europa und in den USA, wo die Volksherrschaft eigentlich Tradition ist.

Das krasseste Beispiel in Europa ist vermutlich Ungarn, wo unter dem konservativen Ministerpräsidenten Victor Orban Volksrechte beschnitten, Minderheiten mit Freude diskriminiert werden und die Jobbik-Nazis im Parlament unterdessen ungestraft eine Judenerfassung im Land fordern kann. Die EU schaut untätig zu, greift nur ein, wenn die Regierung droht, die Unabhängigkeit der Nationalbank zu untergraben. Ein Trauerspiel und ein erschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn Populisten in einer Protestwahl die absolute Macht zugesprochen wird.

Unterdessen wird etwas weiter südlich die Wiege der Demokratie dermassen heftig geschaukelt, dass es den Insassen schon längst schlecht geworden ist. Nachdem Griechenland, dass die Euro-Kriterien zwar nie erfüllt hatte, aber diese Zwangsjacke (für wirtschaftlich schwache Länder) trotzdem übergestreift kriegte (und dies damals auch wollte) realisieren musste, dass Geld, dass sich nicht abwerten lässt, sauteuer ist, wurde das Lande praktisch unter Zwangsverwaltung gestellt. Auch hier sind bereits wieder Rechtsnationalisten und Linkspopulisten im Vormarsch, die im Endeffekt aber von Demokratie noch weniger halten, als jene, die nun versuchen, das Land irgendwie wieder zu sanieren und den Erfolg der Spekulanten wider die Demokratie zu verhindern.

Während in Europa mehr oder weniger alte Demokratie-Bäume serbeln (vorgängig wurden ja nur die Highlights genannt), werden im arabischen Raum mit fundamentalistischen Flammenwerfern die jungen Pflänzchen der Mitbestimmung abgefackelt. Soeben hat eine von Islamisten dominierte verfassungsgebende Versammlung (alle anderen sind aus dieser Farce eines Gremiums schon ausgetreten), eine Verfassung durchgepeitscht, die den Weg zu einem Gottesstaat ebnen soll. Demokraten, Nicht-Religiöse und Minderheiten können wieder nur auf der Strasse demonstrieren, während die Muslimbruderschaft, die sich erst mit Mubarak in einem kalten Frieden arrangiert hatte und praktisch nichts zum Sturz des alten Despoten beigetragen hatte, daran ist, einen neuen zu installieren. Das Resultat wäre ein religiöser, korrupter Willkürstaat wie zum Beispiel im Iran (nur in der Geschmacksrichtung sunnitisch statt schiitisch).

In Tunesien sind sie schon eine Stufe weiter. Bereits gibt es dort wieder blutige Konflikte und Aufstände gegen korrupte Gouverneure. Die Gewerkschaften sind hier an vorderster Front in dem Kampf gegen die korrupt-religiöse Ennahdha-Partei mit dabei. Tunesien ist ja der Ort der Initialzündung des so hoffnungsvoll getauften arabischen Frühlings. Sollte es dort nun doch noch gelingen, die Fundamentalisten los zu werden, wäre dies wenigstens ein Hoffnungsschimmer.

Gehen wir über den grossen Teich, erinnern wir uns vermutlich alle mit Grausen an den endlos-Wahlkampf in den USA, wo endgültig klar wurde, dass Demokratie heute vom grossen Geld bestimmt wird. Mitt Romney und seine republikanischen Mitbewerber hatten praktisch alle superreiche «Sugar Daddies», wie der ultra-zionistische Unterstützer und Casino-Milliardär Sheldon Adelson, der nach Newt Gingrichs Ausscheiden im Vorwahlkampf zu Romneys grösstem Einzelunterstützer wurde. Doch Romney erfuhr auch viel Liebe von den Grossbanken wie Goldman Sachs der Credit Suisse. Die sechs grössten Firmen-Spender Romneys waren Banken, während Obama keine einzige Bank unter seinen Top-Spendern hatte (dafür Universitäten und Internet-Firmen).

Der Wahlkampf kostete mindestens zwei Milliarden US-Dollar (es werden aber auch Zahlen jenseits der 4 Milliarden genannt) - man sollte daher annehmen, dass die Qualität entsprechend hoch gewesen wäre. Das Gegenteil war aber der Fall: Extremismus, Propaganda und Lügen prägten diese Wahlschlacht. Auch gab es Versuche von lokalen Behörden, in manchen Wahlbezirken Wähler mit Schikanen von der Wahl abzuhalten. Selbst in den USA ist die Demokratie im Belagerungszustand.

Doch auch ausserhalb des News-Fokus geht es mit der Demokratie bergab. Südafrika entwickelt sich unter dem ANC, der Partei mit eingebautem Machtanspruch, immer mehr zur Kleptokratie, welche die Berichte über Korruption nicht mit dem Kampf gegen den Misstand selbst, sondern mit Gesetzen gegen die freie Presse zu beseitigen sucht. Das «Wunderland Indien» droht auch an Korruption und Machtmissbrauch zu scheitern, in China stehen demokratische Reformen still und Venezuelas Präsident Hugo Chavez macht alles, um sich als Festland-Wiedergänger seines guten Freundes Fidel Castro zu installieren.

Und in der Schweiz? Geht es hier der Demokratie noch gut? Schwer zu sagen, aber immerhin gibt es nun eine überparteiliche Bundeshaus-Band, die zur Feier der neuen Nationalratspräsidentin, Maya Graf, ihr lautstarkes Debut gab. Und vielleicht ist dies ja die Lösung auch für den Rest der Welt: Politiker machen zusammen schlechte Musik statt schlechte Politik!

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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