«Absolute Sicherheit gibt es nicht»

Japan: Unglücke kommen selten allein

publiziert: Dienstag, 15. Mrz 2011 / 14:45 Uhr / aktualisiert: Mittwoch, 16. Mrz 2011 / 10:36 Uhr
Rauchwolken über Tokio: Ein Unglück kommt selten allein.
Rauchwolken über Tokio: Ein Unglück kommt selten allein.

Zürich - Dass täglich neue Katastrophen aus Japan gemeldet werden, ist für Soziologen keine Überraschung. «Ein Unglück kommt selten allein. In Japan erlebten wir ein Erdbeben, dass zu stark für die AKWs war, und überdies einen Tsunami, der die Mauern überspült und die Notsysteme beschädigt hat. Je mehr Faktoren zusammenkommen, desto schwieriger bekommt man die Lage in den Griff», so Dirk Helbing, Forscher an der ETH Zürich.

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Die Vorfälle hätten gezeigt, dass es keine absolute Sicherheit gibt, denn manche Faktoren lassen sich nicht kontrollieren. Da sie unbekannt sind, werden sie in der Risikoeinschätzung jedoch oft vernachlässigt - ein problematisches Vorgehen, wie die Tagesereignisse gezeigt haben. «Zu oft bewahrheitet sich Murphys Gesetz: Alles, was schief gehen kann, wird auch schief gehen - früher oder später. Man muss daher mit dem Schlimmsten rechnen», so Helbing.

Die Relevanz von Vorfällen mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,01 Prozent oder weniger werde oft unterschätzt. «Katastrophen wie Erdbeben, Überflutungen oder auch grosse Finanzkrisen folgen keiner Normalverteilung, sondern einem Potenzgesetz. Daher treten Extremereignisse viel häufiger auf als erwartet. Sobald eine kritische Belastung für ein System überschritten wird, kommt es zu Domino-Effekten und ein Problem zieht ein anderes nach sich. Dass gleich mehr Atomreaktoren in einen kritischen Zustand gerieten, ist symptomatisch», so Helbing.

Zusammenrücken bringt Hoffnung

Die Ereigniskette vergleicht Helbing auch mit einer Lawine, die immer mehr Schnee mit sich reisst. «Nicht nur die Küste Japans, sondern ganz Japan und schliesslich auch die gesamte Welt ist betroffen, da die Systeme etwa über finanzielle Abhängigkeiten, Versicherungsrisiken oder Warenströme eng gekoppelt sind», so Helbing. Ankündigungen unmittelbar nach dem Beben, Japan und die Finanzmärkte würden sich schnell erholen, widerlegt schon heute der Blick auf die Börsen. «Die Systeme sind zu komplex für gute Vorhersagen und die Orientierung an der Vergangenheit, etwa dem Kobe-Beben, ist nur begrenzt möglich. Durch die Globalisierung ist die Welt inzwischen viel vernetzter.»

Doch die Katastrophe bringe auch einen Hoffnungsmoment mit sich. «Krisen lassen Menschen näher zusammenrücken. Die japanische Gesellschaft wird stark an einem Strang ziehen und dabei neue Kräfte entwickeln. Zu wünschen ist, dass dies auch für die globale Gesellschaft gilt. Es wäre falsch, in Depression zu verfallen», betont Helbing. Ähnlich warnen auch Psychologen vor einem nicht zielführenden Abdriften in Rückzug und Fatalismus.

Reinen Wein einschenken ist besser

In Japan selbst haben die Medien zuletzt deutlich vorsichtiger als im Rest der Welt von der atomaren Katastrophe berichtet - wie sich auch Japans Politiker eher zurückhaltend zeigten. «Durch das Warten, ob man die Lage vielleicht nicht doch in Griff bekommt, hat man wahrscheinlich viel Zeit verloren. Besser wäre es gewesen, gleich von Beginn an vorbeugende Massnahmen zu treffen und den Menschen zu sagen, was Sache ist und was passieren kann», meint Helbing. Klar sei allerdings, dass bei einem Ballungsraum der Dimension Tokios die Möglichkeiten beschränkt sind.

Allgemein überschätze die Politik die Neigung der Bevölkerung, in Panik zu geraten und habe deshalb in der Vergangenheit oft nicht reinen Wein eingeschenkt. Dieses Paradigma zeigt sich jedoch immer mehr als falscher Ansatz, urteilt der Züricher Soziologe. «Die Bevölkerung ist vernünftiger, als man oft denkt, und immer besser aufgeklärt. Versucht man, Informationen zu unterdrücken, so besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung das Vertrauen verliert und die Lage dadurch noch unkontrollierbarer wird. Die Gefahr ist, dass die Bevölkerung dann denkt, die Lage sei wirklich hoffnungslos.»

(dyn/pte)

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