Kindesschutz-Debatte

KESB reagiert betroffen auf öffentliche Kritik

publiziert: Sonntag, 2. Aug 2015 / 14:36 Uhr
Die Facebook-Gruppe «Stopp der KESB Willkür» kritisiert die Organiation.
Die Facebook-Gruppe «Stopp der KESB Willkür» kritisiert die Organiation.

Zürich - Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) stehen seit Monaten unter Dauerbeschuss. Nun fordern KESB-Verantwortliche die Politik auf, die mit Kritik überhäuften Behörden mit einer Aufklärungskampagne zu unterstützen.

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Zu reden gegeben hatte jüngst der Fall einer Familie mit Wohnsitz im Kanton Aargau. Ein Familiengericht hatte nach einer Gefährdungsmeldung den Eltern die Obhut über ihre zwei Töchter entzogen und diese in einer Wohngruppe im solothurnischen Trimbach fremdplatziert.

Ende Juli hatte der Vater die 2- und 6-jährigen Kinder nach einem Besuchsrecht nicht zurückgebracht und diese stattdessen zusammen mit seiner philippinischen Frau illegal auf die Philippinen reisen lassen. In Kommentaren in sozialen Medien wurde der 46-Jährige danach als Held gefeiert und die Kindesschutzbehörden zu Sündenböcken gestempelt.

«Im Regen stehen gelassen»

Das Phänomen ist nicht neu. Wird ein KESB-Fall öffentlich, ist die Kritik meist heftig und die Empörung gross. Dann wird jeweils dem Unmut über die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden auf Facebook oder Twitter freien Lauf gelassen. Den Behörden werden Fehlentscheide vorgeworfen und der Ruf nach Abschaffung der KESB wird lauter.

«Wir werden im Regen stehen gelassen», liess sich der Präsident der KESB Bern, Patrick Fassbind, in der «Schweiz am Sonntag» zitieren. Bundesrat und Parlament hätte die neue KESB-Organisation gewollt. Doch statt diese nun zu verteidigen, würden einige aus wahltaktischen Gründen auf den KESB-Bashing-Zug aufspringen, und die andern schwiegen.

Nach Ansicht des Berner KESB-Präsidenten muss der Bundesrat nun eingreifen. Es brauche eine Aufklärungskampagne, die darlege, warum man sich erst vor einigen Jahren gegen die bisherigen Laienbehörden und für einen professionellen Kindesschutz entschieden habe.

Kritik tut weh

Auch der Leiter der Aargauer KESB, Jürg Lienhard, tut sich schwer mit der öffentlichen Kritik. Viele Kommentare seien wenig differenziert, sagte der Oberrichter im Interview mit der «Schweiz am Sonntag».

Es seien «Unmutsbekundungen von einzelnen Direktbetroffenen und Wutbürgern», die nicht repräsentativ seien. Online lasse sich eben sehr schnell und anonym Frust ablassen.

«Ungeheuerlich» ist für Lienhard der Vorwurf, die KESB blähten die Sozialindustrie unnötig auf. «Wir haben keinerlei Interesse daran.» Im Gegenteil: Es diene den Gerichten in keiner Weise, sich mit unnötigen Fällen zusätzlich Arbeit zu machen.

Die Behörde habe häufig heikle und hochemotionale Fälle zu beurteilen: Kinder, die unterernährt oder gar nicht zur Schule geschickt, die sexuell missbraucht oder geschlagen würden.

Handle die Behörde zu langsam oder gar nicht, werde ihr dies zum Vorwurf gemacht. «Allen werden unsere Entscheide nie gefallen, eine Seite ist meist unzufrieden», erklärte Lienhard.

Wo Menschen arbeiten, könnten Fehler passieren. Mit einer unabhängigen und professionellen Gerichtsorganisation, einem rechtsstaatlichen Verfahren und mehreren Beschwerdemöglichkeiten könnten solche jedoch auf ein Minimum beschränkt werden. «Allgemein sind wir mit dem neu eingeführten System auf einem guten Weg, auch wenn einzelne Abläufe noch optimiert werden können.»

Es gibt noch Verbesserungspotenzial

Diese Meinung teilt auch der Präsident der Zürcher KESB-Vereinigung, Ruedi Winet. «Wir arbeiten zwar besser als vor einem Jahr und noch besser als vor zwei Jahren. Aber gewisse Bereiche laufen noch nicht gut», räumte er in einem Interview mit der «SonntagsZeitung» ein.

Noch gelte es bei der noch jungen Organisation einiges zu verbessern. Zum Beispiel vermisst Winet schweizweite Fallstatistiken für die Jahre 2013 und 2014. Auch müssten die Entscheide der KESB so verfasst werden, dass die Betroffenen diese verstünden. Winet ist aber überzeugt, «dass die neue Organisation schon jetzt für die Betroffenen vor allem eine grosse Verbesserung bedeutet.»

Dass KESB-Entscheide in der Öffentlichkeit starke Emotionen auslösen, dafür hat Winet Verständnis. Ein Obhutsentzug sei ein drastischer Eingriff. Solche Eingriffe seien aber nicht neu. «Solche Entscheide werden getroffen, seit es Vormundschaftsbehörden gibt.»

Der Hauptteil der KESB-Arbeit bestehe zudem nicht darin, Kinder zu platzieren. In neun von zehn Fällen, in denen die KESB im Kanton Zürich intervenierten, bleibe das Kind bei der Familie.

(jz/sda)

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Nicht repräsentative Direktbetroffene
Jürg Lienhard, Leiter der Aargauer KESB, findet, die negativen Online-Kommentare über seine Behörde seien nicht repräsentative „Unmutsbekundungen von einzelnen Direktbetroffenen und Wutbürgern“. Dazu ein Vergleich:

Wenn ich ein gutes Restaurant suche, entsprechende Websites konsultiere und unter den Kommentaren zu einem bestimmten Lokal ein paar negative Einträge finde, die sich gleichen, zum Beispiel einen unfreundlichen Service bemängeln, dann nehme ich an, dass da etwas dran ist. Natürlich machen nicht alle Gäste dieselbe Erfahrung, es legen auch nicht alle gleich viel Wert auf Freundlichkeit. Aber ich weiss: Das Restaurant wird so geführt, dass eine unfreundliche Bedienung möglich ist, und zwar regelmässig. Wenn ich da hingehe und Pech habe, werde ich unfreundlich bedient.

Was ich damit sagen will: 1. Die Direktbetroffenen, im Beispiel die Gäste, sind die einzigen, deren Urteil für mich relevant ist. 2. Es muss nicht eine repräsentative Mehrheit dieselbe negative Erfahrung machen, damit ein systemimmanenter Mangel zum Vorschein kommt.

Es ärgert mich gewaltig, wenn ein KESB-Leiter Kritik von Direktbetroffenen als nicht repräsentativ abtun will. Jeder Direktbetroffene, dazu zählen auch die Kinder in Trennungssituationen, der durch mangelhaftes Vorgehen der KESB oder der von ihr mandatierten Personen in familiären Beziehungen unnötig beeinträchtigt wird, ist ein Direktbetroffener zu viel. Solche Fehler führen zu unwiederbringlichen Verlusten.

Ein KESB-Leiter, der die verzweifelten und wütenden Menschen als nicht repräsentativ ad acta legt, ist wie der Wirt, der mit ein paar unzufriedenen Gästen kein Problem hat. Mit dem Unterschied: Das Restaurant kann ich meiden, der KESB bin ich ausgeliefert.
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