Kirchen: Tendenz und Lizenz zur Diskriminierung

publiziert: Donnerstag, 7. Feb 2013 / 09:07 Uhr
Heilarmee und andere Kirchen: Diskriminieren mit Staatsgeldern.
Heilarmee und andere Kirchen: Diskriminieren mit Staatsgeldern.

In Deutschland sind die Kirchen in den Fokus geraten, weil sie als grösste Arbeitgeber und als grösste staatlich subventionierte Dienstleister offenbar eine Lizenz zur Diskriminierung haben. In der Schweiz dürfte das Ausmass kaum kleiner sein, es ist aber vor allem noch viel weniger transparent.

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Experten schätzen den Jahresumsatz der beiden grossen Schweizer «Landeskirchen» auf drei bis vier Milliarden Franken. Damit schaffen sie es auf der Liste der umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz (ohne Banken und Versicherungen) auf ca. Rang 50. Genaues weiss man nicht, weil niemand die Zahlen kennt oder kennen will. Ein Überblick ist schwierig, weil in der Schweiz die Kirchen von unten nach oben organisiert und finanziert sind.

Auch auf dem Arbeitsmarkt sind die staatlich anerkannten Kirchen ein wesentlicher Player. Als Arbeitgeber dürften die beiden Konfessionen es sogar unter die ersten 20 in der Rangliste schaffen. Auf «weit über 10'000» Personen, so schätzte 2005 die Fachzeitschrift der arbeitsmarkt, sind für die beiden Konfessionen tätig. Eigene Berechnungen ergeben indes eine Vielfaches davon: Allein in den total 2500 katholischen und reformierten Kirchgemeinden der Schweiz dürften rund 5500 Vollzeitstellen bestehen, die ausschliesslich mit Kirchenmitgliedern besetzt werden.

Weitere Hinweise ergeben sich aus der Mitgliederschaft des katholischen Kirchenmusikerverbands SKMV mit 25'000 Mitgliedern und der Kantonalen reformierten Kirchenmusikerverbände RKV, in denen einige Tausend reformierte Kirchenmusiker Mitglied sind.

Dazu kommen Universitäten und konfessionelle Schulen als Arbeitgeber, konfessionelle Sozialwerke etc.pp. Es dürfte kaum übertrieben sein anzunehmen, dass weit über 50'000 Beschäftigte in der Schweiz direkt von den beiden anerkannten Kirchen abhängig sind (zum Vergleich: in der öffentlichen Verwaltung arbeiten rund 160'000 Menschen) und deren Jobs fast ausschliesslich Mitgliedern der beiden Konfessionen offenstehen.

Das liest sich im Stellenanzeiger aktuell zum Beispiel so: Die Caritas Zürich sucht einen Sozialarbeiter und die Kirchgemeinde St. Anton in Zürich einen Hauswart: beide sollten berufliche Erfahrung im «kirchlichen Umfeld» mitbringen. Auch das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) sucht einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der «mit der katholischen Kirche vertraut» ist, die katholische Kirche Uster einen Hauswart mit «Interesse am kirchlichen Leben», der künftige Siegrist in Oberwinterthur soll «im christlichen Glauben verwurzelt und Mitglied der Evangelisch-reformierten Landeskirche» sein und auch Oberglatt sucht einen Organisten mit «Vertrautheit mit den reformierten Traditionen».

Problematisch ist, dass Anders- und Nichtgläubige kaum eine Chance haben, eine solche Stelle zu bekommen und sicher nicht die in der Bundesverfassung gewährleistete Wahl, jederzeit aus der jeweiligen Kirche auszutreten.

Kirchen sind sogenannte «Tendenzbetriebe», wie die vielen religiös motivierten Sozialwerke auch. Das Schweizer Bundesgericht hat 2004 anerkannt, dass Arbeitnehmer von «Tendenzbetrieben» (Unternehmen, deren Zweck nicht hauptsächlich gewinnorientiert ist und die eine Tätigkeit mit geistigem oder intellektuellem Charakter ausüben, sei es politischer, konfessioneller, gewerkschaftlicher, wissenschaftlicher, künstlerischer, karitativer oder ähnlicher Art) «bis zu einem gewissen Grad» die geistig-ideellen Grundsätze ihres Arbeitgebers mitzutragen haben. Ihre eigenen Grundrechte müssen demnach zurückstehen: die Kirchenmitgliedschaft etwa, oder aber auch die persönliche Lebensführung.

Höchst problematisch wird diese Sicht der Dinge da, wo solche Betriebe auch noch staatliche Subventionen oder andere öffentliche Beiträge erhalten, so 2012 im Fall der Heilsarmee (1600 Beschäftigte in der Schweiz), die eine Kaderfrau, Leiterin einer Zürcher Behinderteneinrichtung, entliess, weil sie mit einer Frau eine Beziehung unterhält. Die betroffene soziale Einrichtung wird vom Kanton Zürich mitfinanziert. Dort goutiert man zwar die Vorgehensweise der Heilsarmee offiziell nicht, habe aber keine rechtliche Handhabe, dagegen vorzugehen ...

Und es geht noch versteckter auch anderswo so: Vor einiger Zeit wurde im Kanton Solothurn ein qualifizierter Bewerber für die Leitung eines öffentlichen Altersheims in zweiten und entscheidenden Gespräch plötzlich gefragt, ob er Mitglied einer Landeskirche sei. Er war es nicht. Er hat die Stelle nicht erhalten. Später fand er heraus, dass der Pfarrer, der von seinem Kirchenaustritt gewusst hat, im Leitungsgremium des Altersheims sass...

Der Staat als Garant der Grundrechte privilegiert also offensichtlich Konfessionen, akzeptiert religiöse «Tendenzen» und erteilt damit Lizenzen zum Diskriminieren.

(Reta Caspar/news.ch)

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