Komatöser Wahlkampf

publiziert: Montag, 21. Mrz 2005 / 10:57 Uhr / aktualisiert: Montag, 21. Mrz 2005 / 13:23 Uhr

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Es geht nicht um Terri Schiavo. Der Rechtsstreit darum, ob die künstliche Ernährung dieser Frau aus Florida eingestellt werden darf, ist zum Politikum geworden, seit der Kongress das sogenannte Schiavo-Gesetz gebilligt hat. Dieses erlaubt das Weiterziehen der Entscheidung, ob die künstliche Ernährung einer Person, die nicht mehr selbst zu entscheiden vermag, von den Staatsgerichten an das Bundesgericht.

Doch wer ist Terri Schiavo und worum geht es hier eigentlich? Terri war eine Bulimikerin, die nach dem Erbrechen vermutlich durch einen Kaliummangel ein Herzversagen erlitt. Ihr Hirn wurde in der Folge mehrere Minuten lang nicht mit Sauerstoff versorgt. Dies verursachte eine weitgehende Zerstörung der Grosshirnrinde und in der Folge ein so genanntes Wachkoma.

Ihr Ehemann Michael wollte schon 1998 von einem Gericht die Entfernung der Nahrungsschläuche erwirken, doch Terris Eltern wehrten sich dagegen. In den folgenden Jahren wurde der Rechtsstreit auf verschiedenste Weisen geführt. Dabei wurde Terris Mann auch von den Eltern unterstellt, aus persönlichen, niederen Absichten zu handeln.

Dabei war eindeutig anhand von Zeugenaussagen etabliert worden, dass Terri selbst vor dem Unglücksfall sich gegen das künstlich am Leben erhalten gewendet hatte, sollte sie in eine solche Situation geraten, in der Heilung und bewusstes Leben nicht mehr möglich sind.

Genau dies, behaupten die verzweifelten Eltern, sei nicht der Fall. Terri reagiere auf Stimuli, könne Befehle ausführen und auf Fragen reagieren. Als Beweis dafür kann man auf der Website der Eltern viereinhalb Minuten Video von Terri anschauen, wo sie offenbar auf Fragen reagiert und einem Ballon nachschaut. Unterschlagen wird, dass diese wenigen Minuten aus viereinhalb Stunden Videoband herausgeschnitten worden sind. Ein Gericht befand denn auch, dass diese Reaktionen zufällig seien, mithin normale Aktionen einer Wachkomapatientin.

Auch die Behauptung, dass Zeichen der Besserung da seien, beruht auf Wunschdenken. Terris Grosshirnrinde ist – wie zum Beispiel in katatonischen Patienten – nicht einfach disfunktional. Sie ist eigentlich gar nicht mehr vorhanden und zum grössten Teil durch Hirnflüssigkeit ersetzt.

Dass sich der US-Kongress nun einschaltet, ist eine Antwort auf den Druck von christlichen Fundamentalisten ausserhalb und innerhalb der Regierung. Eine Flut von E-Mails fordert die 'Rettung' von Terri Schiavo und – die Kongresserneuerungswahlen rücken näher – schon hüpften die Parlamentarier brav und hebeln auf die Schnelle die Gewaltenteilung aus, die den Rechtsstaat garantiert.

Dies ist ein weiterer Schritt der USA hin zu einer Theokratie. Terri Schiavo, die nur noch eine Hülle ist, die keine Chance mehr auf Heilung hat, die – zumindest wenn den behandelnden Ärzten geglaubt werden kann – über kein Bewusstsein mehr verfügt und die nachgewiesenermassen keine künstliche Lebensverlängerung gewünscht hat, wird nun als leuchtendes Beispiel im angeblichen Kampf ums Leben ins Feld geführt und von den Republikanern instrumentalisiert.

Dass die Eltern sich weigern, ihr Kind sterben zu lassen, ist verständlich, denn die Illusion der Hoffnung ist so lange da, wie Terri noch 'lebt' und sie sich weigern, die grausamen Tatsachen zu akzeptieren. Doch dass die Politiker diese vegetative Frau vor ihren Wahlkampfkarren spannen und dabei die Gewaltentrennung missachten, ist abstossend.

Der einzige Trost ist dabei, dass Terri dieses unwürdige Gezerre um sie nicht mitbekommen muss.

(Patrik Etschmayer/news.ch)

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