Can Dündar und Erdem Gül verurteilt

Mehrjährige Haftstrafe für kritische Journalisten in der Türkei

publiziert: Freitag, 6. Mai 2016 / 21:25 Uhr
Ist Recep Tayyip Erdogan mitverantwortlich für den Angriff?
Ist Recep Tayyip Erdogan mitverantwortlich für den Angriff?

Istanbul - Ein Gericht in Istanbul verhängt jahrelange Gefängnisstrafen gegen die regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül. Kurz vor dem Urteil bleibt Dündar bei einem Attentat unverletzt. Dündar sagt, er wisse genau, wer ihn zur Zielscheibe gemacht habe.

6 Meldungen im Zusammenhang
«Cumhuriyet»-Chefredaktor Dündar erhielt in dem international kritisierten Verfahren fünf Jahre und zehn Monate Haft, sein Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül fünf Jahre. Das Gericht in Istanbul befand beide Journalisten am Freitagabend der Veröffentlichung geheimer Dokumente für schuldig.

Vor dem Urteil schoss ein Attentäter vor dem Gericht auf Dündar, der aber unverletzt blieb. Dündar machte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mitverantwortlich für den Angriff.

«Ich kenne den Attentäter nicht, aber weiss sehr genau wer ihn ermutigt und mich zur Zielscheibe gemacht hat», sagte er. Grund für die Drohungen der vergangenen Monate und für das Attentat sei, «dass wir von der Staatsspitze dieses Landes persönlich zur Zielscheibe erklärt wurden».

Dündar sagte dem Sender CNN Türk, der Angreifer habe zunächst gerufen: «Du bist ein Vaterlandsverräter!» Dann habe er geschossen. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie sich der in einen Anzug gekleidete Attentäter widerstandslos festnehmen liess.

Der Polizei sagte der Attentäter, er habe Dündar «nicht töten», sondern seine Beine treffen wollen. CNN Türk berichtete, bei ihm handele es sich um einen im Jahr 1976 im zentralanatolischen Sivas geborenen Mann.

Ein türkischer Fernsehjournalist, der zur Berichterstattung vor dem Gerichtsgebäude war, sei durch einen Streifschuss leicht verletzt worden.

Berufung angekündigt

Bereits vor der Urteilsverkündung hatte Dündars Anwalt Bülent Utku für den Fall eines Schuldspruchs Berufung angekündigt. Nach Utkus Angaben müssen Dündar und Gül vor einem rechtskräftigen Urteil nicht ins Gefängnis.

Hintergrund des Verfahrens ist ein «Cumhuriyet»-Bericht über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien aus dem vergangenen Jahr. Erdogan hatte danach angekündigt, Dündar und Gül würden «teuer dafür bezahlen», und Anzeige gegen die beiden Journalisten erstattet. Sowohl Erdogan als auch der türkische Geheimdienst MIT waren als Nebenkläger zugelassen.

Nicht schuldig befand das Gericht die beiden Journalisten in den Anklagepunkten, in denen ihnen vorgeworfen wurde, die Regierung stürzen zu wollen und Spionage betrieben zu haben.

Weiterhin verantworten müssen sich Dündar und Gül für angebliche Unterstützung einer Terrororganisation. Das Gericht gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, dass dieser Punkt in einem gesonderten Prozess behandelt werden soll.

Dündar sagte: «Diese Drohungen und Repressionen werden uns nicht einschüchtern.» Ein Ausreiseverbot gegen Dündar und Gül hob das Gericht auf.

«Juristisches Attentat»

Dündar sagte zum Urteil: «Das war ein juristisches Attentat, das alle Journalisten der Türkei zum Schweigen bringen sollte.» Erdogan habe sich «von Anfang an wie der Staatsanwalt dieses Verfahrens» verhalten.

Dündar sagte, er hoffe, das Attentat auf seine Person sei Erdogan «eine Lektion. Ich wünsche mir, dass er sich schämt. Und dass er zweimal nachdenkt, bevor er wieder einen Journalisten zur Zielscheibe macht.»

Das Gerichtsverfahren gegen Dündar und Gül war international als Schlag gegen die Pressefreiheit in der Türkei gewertet worden. Der Prozess hatte unter grosser öffentlicher Aufmerksamkeit am 25. März begonnen. Schon am ersten Verhandlungstag wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen, was zu scharfer Kritik führte.

Dündar und Gül verbrachten drei Monate in Untersuchungshaft, bevor das Verfassungsgericht Ende Februar ihre Freilassung anordnete. Erdogan hatte die Entscheidung des Obersten Gerichts mit den Worten kritisiert: «Ich sage es offen und klar: Ich akzeptiere das nicht und füge mich der Entscheidung nicht. Ich respektiere sie auch nicht.»

(arc/sda)

Kommentieren Sie jetzt diese news.ch - Meldung.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Bern - Die niederländische Journalistin, ... mehr lesen
Ebru Umar war am 23. April vorübergehend festgenommen worden. (Archivbild)
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.
Bern - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat womöglich das mit dem EU-Flüchtlingspakt verknüpfte Ziel aufgegeben, schon ab Ende Juni Visa-Freiheit für seine ... mehr lesen 1
Istanbul/Berlin - Die Verurteilung von zwei regierungskritischen Journalisten in ... mehr lesen
Can Dündar wurde zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. (Archivbild)
Istanbul - Beim Prozess gegen ... mehr lesen
Weitere Artikel im Zusammenhang
Die Schweiz sprang vom 20. auf den 7. Rang.
Bern - Journalisten und unabhängige Medien stehen nach Angaben der Reporter ohne Grenzen (ROG) weltweit unter zunehmendem Druck. In der internationalen Rangliste der Pressefreiheit 2016 belegt ... mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Apple hatte Musikstreaming-Konkurrenten im App Store benachteiligt.
Apple hatte Musikstreaming-Konkurrenten im App Store ...
Musikstreaming-Apps im App Store  Brüssel hat Apple mit einer Geldstrafe in Höhe von 1,8 Milliarden Euro belegt. Laut einer Untersuchung der EU-Kommission hat das US-Unternehmen seine dominante Stellung durch bestimmte Regeln im App Store missbraucht und Konkurrenten im Musik-Streaming-Geschäft behindert. Ein zentraler Punkt ist das allgemeine Verbot von Apple für Entwickler, in ihren Apps auf günstigere Kauf- oder Abonnementmöglichkeiten hinzuweisen. mehr lesen 
Um den Anforderungen der Wirtschaft Genüge zu tun  Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) hat im Jahr 2023 insgesamt 50 neue oder überarbeitete Berufe genehmigt und eingeführt: 23 in der grundlegenden beruflichen Ausbildung und 27 in der höheren beruflichen Bildung. mehr lesen  
Publinews In der sich ständig weiterentwickelnden Welt der Technik gewinnen Anwendungen oft schnell an Aufmerksamkeit, nur um ... mehr lesen  
Der Weg für Peppr war mit Hindernissen gepflastert.
Menschliche Beteiligung ist unerlässlich für KI-generierte Kunstwerke ohne US-Copyright  In zunehmend mehr Bereichen wird die KI-Technologie eingesetzt, jedoch hat ein US-Gericht bestätigt, dass Kunstwerke, die von dieser Technologie erstellt wurden, keinen Urheberrechtsschutz geniessen. mehr lesen  
WISSEN: OFT GELESEN
Titel Forum Teaser
 
Stellenmarkt.ch
Der Remoteserver hat einen Fehler zurückgegeben: (500) Interner Serverfehler.
Source: http://www.news.ch/ajax/top5.aspx?ID=0&col=COL_3_1
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Sa So
Zürich 4°C 19°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt
Basel 7°C 19°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig gewitterhaft wechselnd bewölkt
St. Gallen 5°C 18°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt
Bern 4°C 18°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wolkig, aber kaum Regen
Luzern 6°C 19°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt
Genf 10°C 21°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wolkig, aber kaum Regen wechselnd bewölkt, Regen
Lugano 7°C 12°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig anhaltender Regen anhaltender Regen
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten