Polit-Urgestein mit viel Machtgespür

publiziert: Sonntag, 11. Mrz 2007 / 13:12 Uhr

Paris - Jacques Chirac hat als Präsident mit viel Machtgespür und einigen Überzeugungen zwölf Jahre lang versucht, Frankreichs Grösse auf einer zunehmend globalisierten Weltbühne zu verkörpern.

Chirac wird voraussichtlich am Sonntagabend seinen Abschied von der Macht ankündigen.
Chirac wird voraussichtlich am Sonntagabend seinen Abschied von der Macht ankündigen.
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Er hat den Irak-Krieg abgelehnt und keine Angst vor einem Iran mit Atomwaffen; er hat den Euro mit durchgesetzt, aber auch die EU-Verfassung gegen die Wand gefahren. In der oft karikierten Persönlichkeit des 74-Jährigen spiegeln sich viele der Widersprüche wider, mit denen sein Land konfrontiert ist.

Die Widersprüche in seiner Persönlichkeit faszinieren die Franzosen noch heute. Der scharfe Kritiker von US-Präsident George W. Bush liebt Westernfilme, aber auch kalligrafierte chinesische Poesie oder Kunsthandwerk aus Ozeanien.

Im gerade erschienenen Interviewbuch «L'inconnu de l'Elysée» (Der Unbekannte aus dem Elysée) stellt er sich als Mann dar, der vor allem den Einsatz für Toleranz als sein Vermächtnis sieht. «Liberalismus ist genauso gefährlich wie Kommunismus», fasste Chirac sein Credo zusammen.

«Meine Beziehung zu Frankreich ist sehr physisch», sagte er. Innenpolitisch hielt er die Fahne des «sozialen Gaullismus» hoch und versuchte, unpopuläre Einschnitte im Wohlfahrtsstaat auf die lange Bank zu schieben.

Herold eines unabhängigen Europa

Aussenpolitisch gefiel sich Chirac als Apostel von Ökologie, Nachhaltigkeit und Entwicklungshilfe in Afrika. Mit demselben Elan boxte er allerdings EU-Subventionen für Frankreichs Bauern durch, die das Elend in der Dritten Welt festschrieben.

Beim Irak-Krieg wurde er zum Herold eines unabhängigen Europa und zum Anwalt des multilateralen System der Vereinten Nationen gegen die einzig verbliebene Supermacht USA. Dort liess Chirac tatsächlich Überzeugungen durchblitzen.

Ebenso in seinen mutigen Reden zu den dunklen Seiten der französischen Geschichte - etwa zur historischen Mitschuld am Holocaust oder Sklavenhandel.

Mit diesen Auftritten setzte sich Chirac vom Image des bodenständigen «Frère Jacques» ab, das sich der Pariser Bankierssohn als Abgeordneter eines ländlichen Wahlbezirks im Herzen Frankreichs aufgebaut hatte, der stundenlang Hände schütteln, essen und trinken oder Nutztiere betätscheln kann.

Bewunderung für Mitterrand

Chirac wurde 1962 als Berater von Premierminister Georges Pompidou in den inneren Zirkel der Pariser Macht eingeführt. Seitdem hat er Dutzende politischer Widersacher im eigenen oder im linken Lager ausmanövriert und sich über Posten als Premierminister und Hauptstadt-Bürgermeister den Weg in den Elysée-Palast geebnet.

Politische Dolchstösse liessen ihn kalt, sagte Chirac: «Es ist mir völlig wurscht, ob Sarkozy oder wer anders ...» Der Satz blieb unvollendet. Chirac macht keinen Hehl daraus, dass ihm der aussichtsreichste Anwärter auf seine Nachfolge im bürgerlichen Lager, Innenminister Nicolas Sarkozy, zu weit rechts steht.

Seinen verstorbenen sozialistischen Vorgänger François Mitterrand bewundert er dagegen: «Das war ein wirklich schlauer Mann - er versuchte schon, alle ein wenig zu manipulieren, doch so sind alle Politiker, Ausnahmen gibt es nicht.»

(Von Reinolf Reis, afp/sda)

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Chirac gibt sich bedeckt.
 
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