Proteste vor Tschernobyl-Schliessung

Im Kontrollraum des letzten noch aktiven Reaktors trugen Ingenieure am Donnerstag bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma demonstrativ Trauerflor. «Die Abschaltung bereitet nur unnötige Kosten», sagte ein Tschernobyl- Techniker dem ukrainischen Fernsehen.

Das Parlament in Kiew unternahm einen letzten, aussichtslosen Versuch, die Betriebsdauer des Kraftwerks zu verlängern. Angesichts der Stromknappheit im Winter empfahlen die Abgeordneten der Regierung, den pannenanfälligen Atommeiler noch bis April 2001 weiter zu betreiben, meldete die Nachrichtenagentur Itar-Tass.

Westlicher Druck

Auf westlichen Druck hatte Kutschma der Schliessung zugestimmt und den Termin auf den 15. Dezember festgelegt. Um 11.00 Uhr MEZ soll in der Schaltzentrale von Tschernobyl das Ende der weltweit gefürchteten Atomanlage besiegelt werden, in der sich 1986 mit einer Explosion des vierten Reaktors die grösste Katastrophe in der Nutzung der Kernenergie ereignet hatte.

Damit überhaupt die Zeremonie der Abschaltung zu Stande kommen konnte, wurde der Reaktor am Donnerstag auf ein niedriges Kontrollniveau hochgefahren. Der Block lag eigentlich bereits nach einer Reihe von Pannen seit dem 6. Dezember still. Die ersten beiden Tschernobyl-Blöcke sind bereits seit Jahren ausser Betrieb.

In Kiew und weiteren Städten der Ukraine forderten hunderte Opfer der Tschernobyl-Katastrophe internationale Unterstützung. «Wir fordern eine breit angelegte Wirtschaftshilfe von der internationalen Staatengemeinschaft und soziale Garantien für alle Opfer der Katastrophe», sagte ein Sprecher der Allukrainischen Volkspartei für Tschernobyl in Kiew.

Allein in der Ukraine sind mehr als drei Millionen Betroffene der Atomkatastrophe registriert. Die ausländischen Kreditzusagen für zwei unvollendete Atomreaktoren sowjetischer Bauart in der Westukraine als Tschernobyl-Ersatz stiessen auf Kritik bei Umweltschützern.

Die Europäische Union (EU) hatte am Vortag ein Darlehen in Höhe von 585 Millionen Dollar gewährt. Mit westlichen Krediten von insgesamt etwa 1,5 Milliarden Dollar sollen in Chmelnizki und Rowno zwei Atomreaktoren auf einen Sicherheitsstandard gebracht werden, der der westlichen Genehmigungspraxis entspricht.

(bb/sda)