Recht gegen Gerechtigkeit

publiziert: Freitag, 15. Jan 2016 / 13:28 Uhr / aktualisiert: Freitag, 15. Jan 2016 / 13:47 Uhr
Jemand findet Homo-Ehen «gruusig?» Egal! Geschmacksfragen und Herkunft dürfen nicht über Recht und Unrecht entscheiden - sonst kann auch gleich die Scharia eingeführt werden.
Jemand findet Homo-Ehen «gruusig?» Egal! Geschmacksfragen und Herkunft dürfen nicht über Recht und Unrecht entscheiden - sonst kann auch gleich die Scharia eingeführt werden.

«Durchsetzung» und «Heiratsstrafe» sind die Reizworte, mit denen das Volk dazu verführt werden soll, sich selbst zu Richtern und Henkern zu erklären. Dabei sind es ausgerechnet Regimes wie der Iran oder Saudi-Arabien, die längst perfektioniert haben, was diese Initiativen anstossen wollen.

12 Meldungen im Zusammenhang
Weiterführende Links zur Meldung:

Hervorragendes Argumentarium zum Thema «Durchsetzungsinitiative»
Durchsetzungsinitiative unter dem Sichtpunkt der Menschenrechte betrachtet.
humanrights.ch

Pro-Contra «Durchsetzungsinitiative»
Was spricht für und was gegen die Durchsetzungsinitiative - Befürworter und Gegner äussern sic im «Bund».
derbund.ch

Argumentarium gegen die «Heiratsstrafe-Initiative»:
Gründe für die Ablehnung der «Heiratsstrafe-Initiative»
gemeinsam-weiter.ch

Recht ist dazu da, um Gerechtigkeit zu schaffen. Dies wird unter anderen dadurch erreicht, dass das Recht für alle Menschen dieses Landes in gleichem Masse gelten soll. Ganz unabhängig, ob ein reicher oder ein armer Mensch ein Verbrechen begangen hat, das Gesetz soll für beide gleich gelten. Es ist auch einer der Grundpfeiler unserer Gesellschaft, dass wir nicht für die Taten unserer Väter bestraft werden können; Sippenhaft ist deshalb in unserer Gesetzgebung nicht vorgesehen. Ein weiterer Pfeiler ist die Verhältnismässigkeit, nach der eine verhängte Strafe dem konkreten Fall angepasst werden können muss. Der dilettantisch ausgeführte Taschendiebstahl eines Junkies auf Entzug sollte deshalb milder beurteilt werden, als wenn dieser Taschendiebstahl gewerbliche Dimensionen gehabt hat und von einem Überzeugungstäter begangen worden ist.

Es gibt an anderen Orten dieser Welt aber auch Rechtsordnungen, die solche Finessen nicht kennen, die «streng» und «konsequent» im Sinne des Gesetzesbuchstaben sind. Den Richtern in diesen Ländern wird in der Auslegung der Gesetze enge Leitplanken vorgegeben, von denen nicht abgewichen werden kann. Wer also wissen möchte, wie eine Gesellschaft aussieht, in der Gesetze nicht mehr individuell, sondern kollektiv umgesetzt werden, schaut am besten in ein Land, in dem die Scharia gilt.

Mit der «Durchsetzungsinitiative», die eine Verschärfung zur bereits angenommenen «Masseneinwanderungsinitiative» darstellt, kommt am 28. Februar eine Vorlage vors Volk, welche Grundprinzipien der Scharia auch bei uns einführen möchte. Denn neu soll es ein Zweiklassensystem des Rechts geben, in dem Ausländer nach anderen Massstäben be- und verurteilt werden als Schweizer. Genau wie in der Scharia zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen unterschieden wird.

Niemand wünscht sich, Tür an Tür mit Gewalttätern zu leben. Dass dies insbesondere dann gilt, wenn die Täter aus dem Ausland kommen, ist sicher nicht fair, entspricht aber der Realität. Der Reflex, solche Täter kompromisslos und unverzüglich an die Grenze stellen zu wollen, ist deshalb naheliegend. Die «Durchsetzungsinitiative» schiesst hier aber mit demagogischen Atombomben auf Spatzen, denn nicht nur Mörder und Vergewaltiger müssten bei einer Annahme ausgeschafft werden. Mit den Verschärfungen würden auch unzählige Bagatelldelikte ungebührlich streng bestraft.

Ein Österreicher beispielsweise, der seit Jahrzehnten bei einer Schweizer Bank angestellt ist und gegenüber der Familienausgleichskasse den Ausbildungsunterbruch seines Sohnes nicht gemeldet hat, wäre des Sozialhilfemissbrauchs schuldig und müsste ungeachtet seiner Familie, die hier verwurzelt ist, das Land verlassen. Ein Schweizer, der dasselbe getan hat, käme mit einer Busse davon.

Ein anderes Beispiel: Ein 20jähriger Ungar, der hier aufgewachsen ist und kein Wort Ungarisch spricht, bricht zusammen mit seinen Schweizer Kollegen in alkoholisiertem Zustand ein Auto auf und wird noch während der Tat von der Polizei erwischt. Seine Schweizer Kumpanen kommen mit einer Busse davon. Der Ungar muss die Schweiz und damit auch seine Familie verlassen.

Natürlich bin ich nicht der Meinung, dass Sozialhilfemissbrauch und das Aufbrechen eines Autos nicht zu bestrafen seien. Man kann mir aber nicht erklären, warum dasselbe Vergehen mit unterschiedlichen Massstäben beurteilt werden soll, abhängig vom Pass des Täters. Ein Einbruch ist ein Einbruch, ganz egal, ob ihn ein Schweizer oder ein Ausländer begangen hat. Warum es schlimmer sein soll, wenn das Auto von einem Ausländer aufgebrochen wurde, ist mir schleierhaft.

Unter diesem Grundsatz ist die «Scharisierung» unserer Verfassung klar abzulehnen, auch in Bezug auf die sogenannte «Heiratsstrafe-Initiative», welche die Interessen von einer ideologisch nahe am iranischen Revolutionswächterrat operierenden Gruppe vertritt. Dabei mag ich mich überhaupt nicht auf die steuerrechtlichen Äste hinauslassen, mag nicht erklären, dass vor allem gut verdienende Doppeleinkommen von der Annahme profitierten oder auf die zu erwartenden Steuerausfälle hinweisen.

Es geht hier nur um den einen Artikel, der eigentlich mit Steuerrecht herzlich wenig am Hut hat und sich trotzdem elegant der Inhaltsangabe auf dem Etikett entlangschlängelt: «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.» Hier soll also unter dem Deckmäntelchen der Steuergerechtigkeit eine stockkonservative, archaisch-religiös geprägte Definition von «Ehe» in unsere Verfassung geschrieben werden, was lachhaft ist, wenn man die Realität in unserem Land ansieht. Mittlerweile kennt ja wohl jeder und jede mindestens ein homosexuelles Paar und nur religiöse Fanatiker und Ewiggestrige sehen darin noch etwas «Unnatürliches» oder gar «Abartiges». Warum der staatliche Segen einer Lebensgemeinschaft - der kirchliche Segen darf ja nach wie vor munter verweigert werden - davon abhängen soll, dass der Anteil pro Geschlecht in dieser Gemeinschaft 50 Prozent nicht übersteigt, konnte mir bisher noch niemand erklären.

Ausser, jemand sagt mir wie letzthin eben, er fände Homosexuelle «eifach gruusig». Das ist ein Argument, bei dem ich wenig Überzeugungsarbeit leisten kann. Wenn es aber eine Geschmacksfrage ist, was in der Verfassung steht, wenn Ideologie, das persönliche Ekelgefühl, Angst vor dem Fremden oder die eigene (vielleicht mangelnde) Sexualität darüber entscheiden, wer bei uns welches Recht zugesprochen bekommt, wenn der aufgefachte Volkszorn zum Nonplusultra wird und kein Bundesgericht, kein Parlament ihn mehr in rechtsstaatliche Bahnen lenken kann, darf der Islamische Staat ruhig kommen: Unsere Gesetzgebung ist dann nämlich bereits hervorragend auf die Einführung der Scharia vorbereitet.

( Claude Fankhauser/news.ch)

Machen Sie auch mit! Diese news.ch - Meldung wurde von 2 Leserinnen und Lesern kommentiert.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Bern - Die Ausgangslage für die ... mehr lesen 28
Durchsetzungsinitiative: Ja oder Nein?
St. Gallen - Die Grüne Partei der Schweiz lehnt drei der vier Vorlagen ab, über die ... mehr lesen
«Wenn eine neue Kaffeemaschine weniger kostet als die Reparatur, stimmt etwas nicht», sagte Regula Rytz.
Bern - Nicht nötig, nicht verhältnismässig, nicht schweizerisch: Mit solchen ... mehr lesen 1
Würden die Bestimmungen der Initiative tatsächlich angewendet, müsste die Schweiz wahrscheinlich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) austreten.
Weitere Artikel im Zusammenhang
SP Roger Nordmann spricht klar von Ausländer Paranoia.
Bern - Die Schweiz neigt aus Sicht der SP zunehmend dazu, für alle Probleme Ausländerinnen und Ausländer verantwortlich zu machen. Mit der Durchsetzungsinitiative werde diese ... mehr lesen
SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt: Die Initiative ziele «nicht primär auf Secondos», sondern vor allem auf schlecht integrierte Ausländer ab.
Bern - Wer in der Schweiz geboren ist, soll auch bei einer Annahme der Durchsetzungsinitiative nicht ausgeschafft werden. Diese Meinung vertritt der Zürcher SVP-Nationalrat und ... mehr lesen 5
Bern - Der Bundesrat sieht in der CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe ... mehr lesen
Der Bundesrat sieht eine Möglichkeit.
Bern - Der Nationalrat empfiehlt ein Nein zur Volksinitiative der CVP für die Abschaffung der Heiratsstrafe. Er hiess mit 97 zu 72 Stimmen den Antrag der Einigungskonferenz gut. CVP und SVP wollten keine Abstimmungsempfehlung machen. mehr lesen 
Die Gegen-Initiative wurde abgelehnt.
Bern - Der Ständerat hat den direkten Gegenvorschlag zur CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe am Mittwoch in der Schlussabstimmung abgelehnt. Der Entscheid fiel knapp mit 22 zu ... mehr lesen 4
Bern - Der direkte Gegenvorschlag zur CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe ... mehr lesen
Ehepaare sollen bei den Steuern und den Sozialversicherungen nicht schlechter gestellt werden als Konkubinatspaare, darin waren sich die Ständeräte einig. (Symbolbild)
Grundsatz Wegschauen
Versuchen Sie mal als Schweizer einen Polizisten anzuspucken, zu schnell zu fahren oder eine Rechnung nicht zu bezahlen. Dann spüren Sie die volle härte des Gesetzes.

Ein Bekannter von mir hat an einem Wochenende einen Joint geraucht und kam am Montag nüchtern in eine Bullenkontrolle mit Drogentest. Den haben Sie ein Jahr lang mit ständigen Untersuchungen, jede für Hunderte von Franken auf seine Kosten, fertig gemacht. Wäre er Ausländer und würde am Bahnhof Kokain verkaufen, hätte man ihn in Ruhe gelassen. Der Nigerianer der Drogen dealt und der marokkanische Dieb haben ja schliesslich ihre Menschenrechte! Warum die kriminellen Ausländer und Asylbewerber zu Halbgöttern gemacht werden, ist mir unbegreiflich.

Linke Socken wie Kassandra behaupten immer noch das stimme nicht und wundert sich warum die Leute die Schnauze voll haben. Das Menschenrecht auf Unversehrtheit gilt offensichtlich nicht für Schweizer.
Grundsatz der Rechtsordnung?
Da wird das Verhältnismässigkeitsprinzip als tiefsitzender Grundsatz unserer Rechtsordnung dargestellt. Leider leider ist dieser Grundsatz schon mehrfach durchlöchert, am extremsten im Bereich des Strassenverkehrs (und zwar schon lange vor der Einführung des Raserartikels). Wer um x Stundenkilometer zu schnell fährt, bekommt den Ausweis um mindestens x Monate entzogen. Bei Wiederholung oder besonders schlimmer Fahrweise noch länger. Weniger geht nicht, das hat das Bundesgericht nun bereits x-fach bestätigt. Kein Raum für Einzelfallprüfung. Kein Raum für Verhältnismässigkeit. Egal ob wer das Auto 3x jährlich für die Ferien nutzt oder als selbstständiger Handwerker existenziell vom Auto abhängt. Weshalb hat denn da niemand aufgemuckt, als diese starren Regeln ins Gesetz geschrieben wurden? Klar, Autofahrer als Milchkühe und Dummesel der Nation kann man so behandeln...
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 21
Glaskinn und 'Meitschiblase': Köppels Freipass für die Leitung des medizinhistorischen Instituts.
Glaskinn und 'Meitschiblase': Köppels ...
Satire darf alles - aber wenn die Realität absurd genug ist, stösst Satire an Grenzen, die sie nicht durchbrechen kann. mehr lesen 
Ein offener Brief an die Elite der Schweiz, die, dem Lamento der Verlierer vom 28. Februar nach, eine schändliche SVP-Initiative zu Fall gebracht hat. mehr lesen  
Christoph Blocher: Neuerdings Mitglied des Proletariats.
Die weissen Stimmvieh-Schäfchen würden wohl ohne grossen Anführer in den Abgrund stürzen...
Noch selten war ein Abstimmungssonntag für die Schweiz so bedeutend. Sowohl das Risiko wie auch die Chance, dass an diesem Tag Geschichte geschrieben wird, sind gross. Es liegt deshalb auch an Ihnen, wie künftige Generationen ... mehr lesen   1
«Durchsetzung» und «Heiratsstrafe» sind die Reizworte, mit denen das Volk dazu verführt werden soll, sich selbst zu Richtern und Henkern zu erklären. Dabei sind es ausgerechnet Regimes wie der Iran oder Saudi-Arabien, die längst perfektioniert haben, was diese Initiativen anstossen wollen. mehr lesen   2
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Die Nike Air Jordan 13s kamen 1998 heraus.
Shopping Erreichen Air Jordan Sneaker 2-4 Mio. Dollar in der Versteigerung? Ein Paar Turnschuhe, das Geschichte geschrieben hat, steht zum Verkauf: Die Nike Air Jordan 13s, die Michael Jordan in seiner letzten ...
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Do Fr
Zürich 11°C 24°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
Basel 11°C 25°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
St. Gallen 10°C 22°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
Bern 11°C 23°C sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
Luzern 12°C 23°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig wolkig, aber kaum Regen
Genf 13°C 24°C vereinzelte Gewitterleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
Lugano 14°C 23°C gewitterhaftleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig vereinzelte Gewitter
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten