Religion für Atheisten. Atheismus für die Religiösen

publiziert: Donnerstag, 23. Mai 2013 / 15:03 Uhr
Herr Bergoglio findet, dass auch Atheisten gut sein können. Wie nett!
Herr Bergoglio findet, dass auch Atheisten gut sein können. Wie nett!

Wahrlich, wir leben in heiteren Zeiten! Der Atheist Alain de Botton möchte Tempel für Atheisten bauen. Und Papst Franziskus sagt, Atheisten seien okay. Das heisst, wenn sie okay sind, sind sie okay. Dank Jesus. Und dank Gott.

4 Meldungen im Zusammenhang
Atheisten, Ungläubige und Freidenker seien auch gut, wenn sie Gutes tun, sagte Jorge Mario Bergoglio gemäss Radio Vatikan am 22. Mai in einer Homilie zum Morgengottesdienst in seiner Residenz. Und einige Medien haben jetzt auch schon Purzelbäume geschlagen, wie progressiv und anders diese Aussage doch sei. Ich jedoch frage: «Und sonst so?»

Freilich, verglichen mit den bisherigen Äusserungen der Catholica über Freidenker, Humanisten, Ungläubige und andere Höllenkandidaten ist das ein Fortschritt. Das sagt aber halt sehr viel über den Jetzt-Zustand aus. Wenn die simple Tatsache, dass ein religiöser Führer gute Leute anderer Religionen oder ohne Religionen potenziell für gut hält, dann muss man darüber nachdenken, wieso dies eine Meldung wert ist.

Es verhält sich mit dem plötzlich etwas versöhnlicheren Ton für mich etwa so: Alle haben schon gemerkt, dass man auch ohne Religion gut, sinnvoll und erfüllt sein Leben gestalten kann. Es war und ist nicht mehr zu leugnen, dass sich die Sache so verhält. Und was man nicht mehr leugnen kann, was von der Mehrheit der Gesellschaft durchschaut und akzeptiert wurde, das muss man auch als ewige Kirche irgendwann mal konstatieren. In der Geschichte hielt sie es ähnlich mit Frauenrechten, mit Pressefreiheit, Prügelstrafe und so weiter. Zuerst gegen die Freiheit und den Fortschritt, dann irgendwann dafür, anschliessend wird betont, wie wandlungs- und lernfähig die Kirche doch sei. Bisweilen erfrecht sie sich dann nach einer gewissen Zeit sogar noch, zu behaupten, sie sei für diese Werte eingestanden und habe zu deren Entstehung und Durchsetzung beigetragen.

Eine Aussage von Christopher Hitchens (bis zu seinem Tod ein guter Atheist) passt jedenfalls hier wie die Faust aufs in Richtung Moderate schielende Auge der Kirchenoberen:

«Viele Religionen treten uns nunmehr einschmeichelnd grinsend mit offenen Armen entgegen, wie ein salbungsvoller Händler auf einem Basar. Sie bieten Trost und Solidarität auf einem Marktplatz der Dienstleister an. Aber wir haben ein Recht darauf, uns daran zu erinnern, wie barbarisch sie sich verhielten, als sie stark waren und ein Angebot machten, das kein Menschen ablehnen konnte.»

Wir sollen und dürfen also durchaus etwas nachtragend sein und nicht allzu schnell vergessen. Aber wir brauchen ja nicht einmal in die Vergangenheit zu schauen, um Unschönes zu suchen, es reicht ja der Blick an die gegenwärtige Kirche. Wir Freidenker müssen uns also nicht wirklich Sorgen um die Kirche machen, sie bleibt reaktionär in ganz vielen Dingen: Masturbation, Verhütung, (Homo-)Sexualmoral, Frauenbild, Präimplantationsdiagnostik usw. Und auf eine echte Aufklärung der systematischen Kindervergewaltigung durch Kleriker und der diesbezüglichen Vertuschungsmechanismen im Grossen und Ganzen warten wir immer noch.

Schön, dass ein Papst endlich anerkennt, dass auch Ungläubige gut leben können. Wir wussten das aber schon lange. Wir brauchen dieses päpstliche Gütesiegel eigentlich gar nicht. Falls solche und ähnliche vernünftige Äusserungen jedoch dazu beitragen können, dass in Weltregionen, in denen religionsfrei lebende Menschen starker Verfolgung ausgesetzt sind, weniger leiden müssen, so hat der Papst hier vielleicht ein sehr gutes Werk getan. Auch Päpste können also gut sein. Wenn sie gut sind.

Vielleicht mag Papst Franziskus übrigens den platonischen Dialog Euthyphron lesen. Und falls er dann die von Sokrates geäusserten Gedanken zum Thema «gut» und «Gott» versteht, wäre das alles ja noch besser!

Papst Franziskus sollte aber bei allzu vernünftigen - und ich meine wirklich vernünftige, nicht jene, die «katholisch vernünftig» sind, es gibt da nämlich theologische Privatdefinitionen - Äusserungen in Zukunft wohl etwas mehr Vorsicht walten lassen. Er tönt ja bisweilen fast schon wie ein reformierter Toleranzler. Weitere solche unbedachte Schritte in Richtung Humanismus, Rationalität und Freidenkertum könnten dazu führen, dass ihn die Glaubenskongregation, welche ja immer noch für die Reinheit der Lehre zuständig ist und bis vor Kurzem noch «Inquisition» hiess, aus der Gemeinschaft der Weltkirche ausschliesst. Einen exkommunizierten Papst hatten wir ja schon länger nicht mehr, aber auch zwei Päpste gleichzeitig hatte die Welt schon länger nicht mehr gesehen.

Aber zurück zu den Äusserungen Bergoglios: Er bleibt dem Amt entsprechend natürlich immer noch sehr kirchlich: Auch die Atheisten und Andersgläubigen habe Jesus durch sein Blutopfer erlöst. Alle. Wovon? Erbsünde und so weiter. Und gut seien die Freidenker ja auch «nur», weil sie Ebenbilder Gottes seien und daher das Gute in ihnen angelegt sei. Darauf dürfen wir Freie souverän antworten: «Tja, das ist ja allerliebst! Danke, aber nein, danke!»

Bei diesem ganzen Traraa um den neuen, angeblich ach so offenen Papst sollten wir übrigens nicht vergessen: Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Und Jesus ist kein Erlöser von irgendwelchen Erbsünden. Also freue dich deines Lebens, tue Gutes und vermeide es, anderen empfindungsfähigen Lebewesen durch dein Handeln und Konsumieren Leid zuzufügen. Und gut ist.

(et/news.ch)

Machen Sie auch mit! Diese news.ch - Meldung wurde von 3 Leserinnen und Lesern kommentiert.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Vatikanstadt/Rom - Ein 47-jähriger ... mehr lesen
Blick auf dem Petersdom.
In seiner Predigt kam Papst Franziskus auf seine Kernthemen Neuheit, Harmonie und Mission zurück.
Rom - Papst Franziskus hat die katholische Kirche bei der Pfingstmesse auf dem Petersplatz in Rom erneut zu Einheit und Harmonie aufgerufen. Sich in Parteilichkeiten zu ... mehr lesen
O'Brien soll mehrere Monate lang «geistliche Erneuerung» suchen und sich in «Gebet und Busse» üben.
Vatikanstadt - Der nach schweren Vorwürfen als Erzbischof von St. Andrews und Edinburgh zurückgetretene Kardinal Keith O'Brien verlässt Schottland auf unbestimmte Zeit. ... mehr lesen
Wenn es keinen Gott gibt...
... Warum denn Gutes tun? "laßt uns essen und trinken, denn morgen sterben wir" (1.Kor 15.32) ist die Konsequenz die wohl die meisten Menschen ziehen. Raff- und Geldgier, Habsucht etc. ist eine logische Geisteshaltung von Menschen, die keine Hoffnung über dieses Leben hinaus haben. - Die Natur lehrt uns, dass es einen Schöpfer gibt (Römer 1.19) - Die Folgen des Sündenfalles sehen wir täglich - und das Evangelium von Jesus Christus ist uns genauestens überliefert
(Lukas 1) - Wer dieses Evangelium ausschlägt, dem ist nicht mehr zu helfen (Römer 2.4)
Wer ist gut?
Mk 10,18 "Jesus aber sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott"[a]. a) Ps 86,5
Die Güte Jesu wird in den Evangelien ausreichend klargestellt. Anders fällt das Urteil über den Menschen aus: Von "Otternbrut" lesen wir in Matthäus 3 und 12 in Bezug auf Religiöse. - Im Römer 3 fallen auch alle Gottlosen unter dieses Urteil: "Da ist kein Gerechter, auch nicht einer". - Die gute Botschaft lesen wir z.B. ab Römer 3.21
FANATISCH?
Wer ist fanatischer? Gottgläubige oder "Ungläubige? Am liebsten sind mir Leute, welche andere nicht ausgrenzen.
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 21
Folie zum Thema Frei Denken aus einem Vortrag des Autors an einer pädagogischen Hochschule.
Folie zum Thema Frei Denken aus einem Vortrag des ...
Mittlerweile scheinen fast alle vernünftig, humanistisch und menschenrechtsbewegt sein zu wollen. Dabei werden viele Begriffe trüb. mehr lesen 
Kritik an Aberglauben und Glauben wird oft als ausschliesslich zerstörend und negativ wahrgenommen. Das ist eine Fehleinschätzung. Trotzdem müssen wir Freidenkerinnen und ... mehr lesen  
Auch Erich Kästner hinterfragte die Frage «Und wo bleibt das Positive?» bereits.
.
Gräueltaten sind nicht immer pervertierte religiöse Ideen. Manche religiösen Ideen sind pervers. Handlungen aus religiösen Gründen sind nicht per se übel. Aber viele religiöse Begründungen führen zu üblen ... mehr lesen   2
Anlässlich von Terrorakten und Gräueltaten vernehmen wir immer wieder mal ein «Das hat mit (wahrer) Religion nichts zu tun!» oder «Das sind keine Muslime, das hat mit dem Islam nichts ... mehr lesen 2
.
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Die Nike Air Jordan 13s kamen 1998 heraus.
Shopping Erreichen Air Jordan Sneaker 2-4 Mio. Dollar in der Versteigerung? Ein Paar Turnschuhe, das Geschichte geschrieben hat, steht zum Verkauf: Die Nike Air Jordan 13s, die Michael Jordan in seiner letzten ...
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Sa So
Zürich 12°C 26°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig sonnig
Basel 14°C 26°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig recht sonnig
St. Gallen 12°C 23°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig wolkig, aber kaum Regen
Bern 12°C 25°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig wolkig, aber kaum Regen
Luzern 13°C 26°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig recht sonnig vereinzelte Gewitter
Genf 12°C 26°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig vereinzelte Gewitter wolkig, aber kaum Regen
Lugano 16°C 26°C vereinzelte Gewitterleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig gewitterhaft gewitterhaft
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten