Religion tötet keine Menschen, Menschen mit Religion töten Menschen

publiziert: Donnerstag, 5. Feb 2015 / 10:17 Uhr / aktualisiert: Donnerstag, 5. Feb 2015 / 12:15 Uhr
.
.

Anlässlich von Terrorakten und Gräueltaten vernehmen wir immer wieder mal ein «Das hat mit (wahrer) Religion nichts zu tun!» oder «Das sind keine Muslime, das hat mit dem Islam nichts zu tun!» Eine Aussage, die mich befremdet.

9 Meldungen im Zusammenhang
Gar nichts habe es mit Religion, Allah oder anderen Göttern zu tun, wenn Menschen während sie Schwule von Hochhäusern stürzen, Piloten bei lebendigem Leibe anzünden, Homosexuellen sagen, dass sie in der Hölle schmoren werden, anderen Köpfe abhacken und so weiter und dabei laut schreien: «Allah/Gott/Jahwe ist gross!» «Im Namen der Religion!» «Für Gott!». Mich befremdet es, dass ausgerechnet solche Handlungen angeblich nichts mit Religion zu tun haben sollen. Weshalb sollen wir jenen Menschen partout nicht glauben, dass ihr Handeln etwas mit Religion zu tun hat, wenn sie sich bei ihrem Handeln doch explizit auf göttliche Anleitung berufen?

Wir können verstehen oder zu verstehen versuchen, was auf dem politischen Parkett damit gemeint ist, wenn beispielsweise der französische Präsident in der Folge der islamischen Terrorakte gegen die Redaktion des Charlie Hebdo behauptete, das habe nichts mit dem Islam zu tun. Er meint damit: «Die Mehrheit der Muslime ist friedlich. Wir wollen und dürfen den Islam nicht unter Generalverdacht stellen und die Menschen, welche sich als Muslime bezeichnen dürfen wir nicht vorverurteilen.» Es ist pragmatisch, dergleichen zu äussern. Damit die Grenze zu den Attentätern klarer wird. Ehrlicher und korrekter wäre es aber, zu formulieren: «Das hat mit Religiosität und Islam, wie ihn die Mehrheit hier lebt, nicht viel zu tun!» Eben nicht nichts. Und schon gar nicht «gar nichts».

Tut man denn dem Islam oder allgemein der Religion einen Dienst, wenn man ihre schlechten Seiten, die extremistischen Ausprägungen auszublenden sucht? Sie irgendwo anders anrechnen will, bloss nicht bei der Religion, damit diese schön rein und nur für Positives verantwortlich bleibt?

Es herrscht eine ziemlich krasse Asymmetrie: Wenn Religion grundsätzlich kritisiert wird, erschallt unmittelbar ein lautes «Aber das muss man differenziert anschauen! Religion sorgt auch für so viel Gutes! Sie gibt vielen Menschen halt!». Die selben Religionsapologeten sind dann aber mucksmäuschenstill, wenn Religion als Weichspülerideologie daherkommt, wenn unkritisch über Kuschelchristentum berichtet wird, wenn die Rede oder Schreibe von angeblich gemeinsinnstiftenden Funktionen der Religion ist. Dann höre ich kein «Aber das muss man differenziert anschauen! Religion sorgt auch für Ausgrenzung und Abwertung! Und sie dient so vielen dazu, fürchterliche, unmenschliche Handlungen zu begründen!» Stille. Jedenfalls von den Religionsverteidigern, welche im umgekehrten Fall derart schnell um Vielseitigkeit und angebliche Fairness ersuchen. Manchmal waren sie auch nicht so still, weil sie es gerade selber waren, welche diese undifferenzierten Weichspülersätze äusserten.

Diese Strategie macht sich die gedankliche Bequemlichkeit des Menschen zunutze. Zu wenig wird über die Frage nachgedacht, was denn Religion sei. Es wird den Religionsfunktionären zu leicht durchgelassen, das Positive als Religion zu verbuchen und das Negative als Missbrauch von Religion, als «im Namen der Religion», als menschliche Schwäche. Leider wird der Elefant im Raum zu selten erkannt oder benannt: Religion ist ein Glaubenssystem. Es geht darin recht selten um Wissen oder Wissenschaft. Vieles bleibt unhinterfragbar. Regeln kommen aus angeblich heiligen Schriften. Einzelheiten an Religion bleiben ganz einfach irrational. «Glaubenswahrheiten» halt. Ein solches System bleibt anfällig dafür, dass sich gewisse Menschen die hässlichsten Stellen aus diesen «heiligen Schriften» heraussuchen, um ihr fürchterliches Handeln zu begründen. Die Denkfaulheit der Menschen blendet aber zu oft aus, dass dieser Gebrauch (gemässigt Religiöse nennen es dann Missbrauch) der heiligen Schriften und religiösen Traditionen eben nicht etwas komplett anderes ist als das, was die liberal Religiösen tun: Es werden Schriften angeschaut und es wird nicht wirklich radikal (lateinisch: radix, Wurzel) hinterfragt, ob die uralten Regeln und Sprüche noch ins 21. Jahrhundert passen. Für einen Christen bleibt unverhandelbar, dass Jesus ein grossartiger Mensch gewesen ist, für die meisten Muslime ist der Koran das unveränderbare und unfehlbare Wort Gottes. Es ist zu wenigen Menschen klar, dass der Fortschritt gerade darin liegt, Menschenrechte unabhängig von Religion zu begründen. Für alle. Und nicht nur für die eigene religiöse Gemeinschaft. Von allen. Nicht von Gott.

Allgemein eignen sich halt religiöse Traditionen und religiöse Texte immer noch prima um Intoleranz, Ausgrenzung und Gewalt zu rechtfertigen. Ich stelle hier mal folgende Aufgabe: Bitte begründet jene Schreckenstaten, welche «im Namen der Religion» letzthin wieder durch die Medien gingen mit Hilfe der Menschenrechte. Rechtfertigt diese Anschläge auf Menschen und Menschlichkeit mit humanistischer Ethik, mit jenen Werten, auf die sich Freidenkerinnen und Freidenker beziehen. Ich mutmasse: Das wird euch schwer fallen.

Ja: Wahrscheinlich hätten einige von diesen Irren (man liegt übrigens nicht komplett falsch, wenn man hier ausschliesslich die männliche Form verwendet...) auch ohne Religion irgend einen Verblendungszusammenhang aus irgend einem Hut herausgezaubert, um ihre psychotische Handlungsweise zu rechtfertigen. Aber die Religion eignet sich halt bestens für solche Zwecke, daher wird sie dafür auch so oft gebraucht. Dessen sollten sich auch die gemässigten Religiösen bewusster sein. Fundamentalisisch verstandene und gelebte Religion ist auch Religion. Und ich bin froh, dass in der Schweiz Religion zum Grossteil nicht mehr exzessiv gelebt wird.

Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg hat geschrieben: «Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion.»

In diesem Zitat steckt Wahrheit.

(Valentin Abgottspon/news.ch)

Machen Sie auch mit! Diese news.ch - Meldung wurde von 2 Leserinnen und Lesern kommentiert.
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Bern - Die Schlagzeilen der ... mehr lesen
«SonntagsZeitung»/«Schweiz am Sonntag»: Sicherheitsdirektor Pierre Maudet fordert nach den Anschlägen in Brüssel eine öffentliche Debatte über Sicherheit und Persönlichkeitsrechte: «Wir sind in der Schweiz blind und taub.»
Rom - Die italienische Polizei hat 15 muslimische Migranten festgenommen, weil sie vor der Küste Siziliens zwölf Christen aus einem Flüchtlingsboot über Bord geworfen haben sollen. ... mehr lesen 3
Amman - Die Regierung Jordaniens ... mehr lesen 1
Sadschida al-Rischawi und Siad al-Karbuli wurden angeblich erhängt. (Symbolbild)
Der jordanische Pilot Moaz al-Kasasba.
Tunis/Washington - In ihrer bislang grausamsten Videobotschaft hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Tod des jordanischen Piloten Muath al-Kasasba verkündet. ... mehr lesen 1
Weitere Artikel im Zusammenhang
Präsident François Hollande: «Die Franzosen muslimischen Glaubens haben dieselben Rechte, dieselben Pflichten wie alle Staatsbürger.»
Dakar - Eine Woche nach den ... mehr lesen
Der Anschlag ereignete sich in der nordpakistanischen Stadt Peshawar.
Peshawar/Kabul - Nach dem Massaker der Taliban in einer Schule hat Pakistan um die 148 meist jugendlichen Opfer getrauert. Die Regierung beschloss zudem am Mittwoch, die Todesstrafe künftig ... mehr lesen 2
Peschawar - Kämpfer der radikal-islamischen Taliban haben in einem Schulkomplex ... mehr lesen
Religion tötet keine Menschen, Menschen mit Religion töten Menschen
L E I D E R ist das so - weltweit! Ethik fehlt meistens - auch L E I D E R !
Gutes und Böses im Namen der Religion
Das hat mit dem Islam nichts zu tun? Das hat mit dem wahren Islam nichts zu tun? Beide Aussagen sind völlig falsch. Die Christen, die Juden und die Moslem haben einen allmächtigen Gott. Wie kommt dann ein Angehöriger dieses Glaubens dazu, Menschen zu töten im Namen Gottes? Ein allmächtiger Gott braucht weder Richter noch Gotteskrieger, die sein Wille vollstrecken. Solche Menschen, die so etwas von sich behaupten, sind die grössten Gotteslästerer, die man sich nur denken kann.
Ihr Gläubigen denkt zu wenig nach, ihr wollt einfach nur glauben und wisst gar nicht, was ihr glaubt. Verbrecher sind Verbrecher und weil man nicht so einfach als solcher von den Mitmenschen akzeptiert wird, begeht man halt Verbrechen in Gottes Namen, das kommt besser an und erfüllt den gleichen Zweck. Die niederen Instinkte finden ihr Ziel. Ob das der schlagende Vater ist, der Kinderschänder, der Gotteskrieger, der Attentäter im Namen Gottes oder ob das nur der Pfarrer ist, der Homosexualität für eine schlimme Sünde hält und jede Nacht zu seinem Freund ins Bett schlüpft.
Mein einziger Schluss aus diesem Hirngewimmel der Religiösen, die ich streng von Gläubigen unterscheide, ist der: Der Mensch will Führung, damit er nicht selbst denken muss. Der Mensch braucht Feindbilder damit seine Mordabsichten einen sittlichen Schein bekommen
Da Gott sich ja offensichtlich weigert, zu den Menschen direkt zu reden, verrichten selbsternannte „Stellvertreter des Allmächtigen“ das gleich selbst. So gut wie immer liegen diese „Erwählte“ Propheten völlig daneben. Man schaue sich nur einmal das Alte Testament an, da wimmelt es von verrückten religiösen Fanatikern, da fliesst das Blut der Feinde in Strömen und manchmal geht sogar Jahwe selbst voran und taucht sein Schwert tief ins Blut der Feinde oder er opfert sogar seinen eigenen Sohn. Sie verfolgen ihre niedrigen Ziele, was in Extremis bis zum Verbrennen von Menschen bei lebendigem Leibe führt. (Gerade gesehen aber bereits millionenfach durch sadistische Mönche, Pfarrer und sonst welche religiösen Fanatiker geschehen.)
Alles die besten Vorbilder für die heutigen Verbrechen. Das hört auch nie auf, wenn man seine Gräueltaten derartig gut religiös begründen kann.
Aber ich sage euch auch dies, lasst das alles beiseite, Religiöse sind auch nur Feindbilder der Nichtreligiösen!
Verbrechen lassen sich durch nichts rechtfertigen und werden auch ohne jegliche Religion immer geschehen, solange es Menschen gibt, es geht halt nur leichter mit Gott.

Zum Nachdenken: „Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg hat geschrieben: «Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion.»
Für mich ist der Fall ein wenig anders: Wirkliche gute Menschen tun auch im Namen Gottes nichts Böses,s weil das nicht möglich sein kann, und böse Menschen tun Böses auch ohne Gott.
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 22
Folie zum Thema Frei Denken aus einem Vortrag des Autors an einer pädagogischen Hochschule.
Folie zum Thema Frei Denken aus einem Vortrag des ...
Mittlerweile scheinen fast alle vernünftig, humanistisch und menschenrechtsbewegt sein zu wollen. Dabei werden viele Begriffe trüb. mehr lesen 
Kritik an Aberglauben und Glauben wird oft als ausschliesslich zerstörend und negativ wahrgenommen. Das ist eine Fehleinschätzung. Trotzdem müssen wir Freidenkerinnen und Freidenker wohl öfter wiederholen, für welche positiven Inhalte wir einstehen. Auch wenn das in der schnelllebigen Aufmerksamkeitsökonomie und ohne grosse Werbekampagnen schwierig sein mag. mehr lesen  
Gräueltaten sind nicht immer pervertierte religiöse Ideen. Manche religiösen Ideen sind pervers. Handlungen aus religiösen Gründen sind nicht per se übel. Aber ... mehr lesen   2
.
.
Anlässlich von Terrorakten und Gräueltaten vernehmen wir immer wieder mal ein «Das hat mit (wahrer) Religion nichts zu tun!» oder «Das ... mehr lesen  2
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Der Kauf eines neuen Dufts ist immer ein Erlebnis, besonders in einer Parfümboutique.
Shopping Die zauberhafte Welt der Duft- und Parfümboutiquen Duft- oder Parfümerieboutiquen sind besondere Geschäfte, die sich auf den Verkauf von Düften und Parfüms spezialisiert haben. Sie bieten eine grosse ...
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Sa So
Zürich 10°C 26°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich recht sonnig
Basel 13°C 26°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich recht sonnig
St. Gallen 12°C 23°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt recht sonnig
Bern 11°C 25°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig freundlich recht sonnig
Luzern 12°C 26°C freundlichleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt recht sonnig
Genf 13°C 26°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig sonnig recht sonnig
Lugano 15°C 25°C recht sonnigleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig sonnig recht sonnig
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten