Wer nicht um Roger Federers Formstand der letzten Monate gewusst
hätte, wäre im Match gegen Michael Chang nie darauf gekommen, dass
der Baselbieter in einer veritablen Krise steckt(e). Der
Münchensteiner deklassierte den Altmeister in 94 Minuten 6:3, 6:1,
6:3 und dürfte nun auf den Belgier Xavier Malisse treffen, der
gegen Vince Spadea mit 2:1 Sätzen und 4:0 führte, als die Partie
wegen Regens vertagt werden musste.
Federer zeigte im Louis-Armstrong-Stadium Tugenden, die man
zuletzt vermisst hatte: Nach einigen Anfangsschwierigkeiten führte
er den ehemaligen Weltranglisten-Zweiten mit 47:12 Winnern, über
weite Strecken brillantem Tennis inklusive einiger Zauberbälle und
sechs Breaks (bei nur einem Serviceverlust) zeitweise regelrecht
vor. «Manchmal war ich auch überrascht, was mir alles gelungen
ist», freute sich Federer über die deutliche Steigerung gegenüber
dem Match gegen Jiri Vanek (ATP 157).
Grund zu Euphorie besteht allerdings überhaupt nicht. Ob die
Krise definitiv überstanden ist, lässt sich angesichts der
Schwächen seines Gegners nicht schlüssig beurteilen. Der Michael
Chang Ausgabe 2002 hat mit jenem Grundlinienwühler, der vor einer
Dekade fast alle Gegner zum Wahnsinn trieb, kaum mehr etwas
gemeinsam. Chang verschlief die spielerische und materialtechnische
Entwicklung, versucht nun aber, mit aggressiverem Spiel die Mängel
zu kompensieren. «Er hat ein Spiel, das mir nicht weh tun kann», so
Federer nach der gelungenen Darbietung.
Hingis ungefährdet
Martina Hingis bekundete mit der italienischen Qualifikantin
Antonella Serra Zanetti keine grossen Probleme. Die Weltnummer 120
hielt lange gut mit, Hingis setzte sich nach 68 Minuten aber doch
standesgemäss 6:4, 6:1 durch. «Ich bin froh um jede Runde. Heute
habe ich schon viel besser gespielt als im ersten Match», war
Hingis mit ihrer Vorstellung, die aber immer noch zu viele
«unforced errors» beinhaltete, zufrieden.
Einem erneuten und zuverlässigen Formtest kann sich Hingis in
der nächsten Runde gegen das Laufwunder Amanda Coetzer unterziehen.
Gegen die Südafrikanerin hat sie zwar elf von dreizehn Begegnungen
gewonnen, einige führten aber über die volle Distanz. Interessant
wird vor allem, wie Hingis die zu erwartenden langen
Grundlinienduelle physisch verkraftet.
Im Achtelfinal müsste sie dann punkto Tempo voraussichtlich
gegen Monica Seles einiges zulegen. Die Amerikanerin hatte grosse
Mühe, um die zweite Niederlage nach dem Fedcup gegen die
Österreicherin Barbara Schwartz zu vermeiden, setzte sich letztlich
aber doch mit 1:6, 7:6 (7:5), 6:2 gegen die Linkshänderin durch.
Schnyder fordert Mauresmo
Mit einer soliden Leistung zog Patty Schnyder erstmals seit 1999
wieder in die Sechzehntelfinals der US Open ein. Die Baselbieterin
setzte sich gegen die Slowakin Martina Sucha (WTA 39) 6:3, 6:3
durch und wiederholte damit den Sieg aus New Haven. Die
Linkshänderin, die das Spiel von der Grundlinie aus dominierte,
trifft nun auf eine alte Bekannte, die Französin Amélie Mauresmo.
Gegen die Montreal-Siegerin hat sie neun Partien bestritten und
davon vier gewonnen. «Wir haben meistens gute Spiele gegeneinander.
Wenn ich noch etwas besser aufschlage, kann ich sie schlagen»,
hofft die Baselbieterin, die in zehn Tagen zum zweiten Mal in
diesem Jahr nach dem Exploit von Charleston in die Top 20
vorstossen wird.
Myriam Casanova musste hingegen Lehrgeld bezahlen. Die
Ostschweizerin hatte gegen Doppelspezialistin Lisa Raymond keine
Siegchance und verlor 4:6, 2:6. Die routinierte Amerikanerin
spielte immer wieder mit tiefen Slicebällen auf die Rückhand von
Casanova und wechselte sehr geschickt den Rhythmus, so dass die
Ostschweizerin nur selten zu ihrem Powerspiel ansetzen konnte.
«Raymonds Spiel liegt ihr überhaupt nicht», sagte Fedcup-Captain
und Casanova-Coach Zoltan Kuharszky.
Reprise Hewitt - Blake
Während die Favoritinnen noch mehrheitlich durch das Tableau
promenieren, sind bei den Männern am Donnerstag mit Jewgeni
Kafelnikow (Russ/4) sowie French-Open-Sieger Albert Costa (Sp/8)
und Carlos Moya (Sp/9) drei aus den Top Ten der Gesetztenliste
ausgeschieden. In der 3. Runde kommt es zum «Kracher» zwischen
Lleyton Hewitt (Au/1) und James Blake (USA/25). Die beiden
Vertreter der «New balls, please»-Generation hatten bereits im
Vorjahr gegeneinander gespielt, Hewitt siegte damals in fünf
Sätzen. Die Begegnung warf vorab deshalb hohe Wellen, weil der
Australier damals eine rassistische Bemerkung wegen der Hautfarbe
eines Linienrichters machte.
(Marco Keller, New York /sda)