Scharmützel als Spektakel

publiziert: Montag, 2. Jun 2003 / 18:03 Uhr / aktualisiert: Montag, 2. Jun 2003 / 18:20 Uhr

Bern - Bei den Ausschreitungen in Genf und Lausanne waren nicht nur Vermummte und Polizisten vor Ort. Eine grosse Schar Schaulustiger zog durch die Strassen, um das Geschehen hautnah mitzuerleben. Die Polizei hatte dabei einen besonders schweren Stand.

Viele Schaulustige versammeln sich dort wo es kracht.
Viele Schaulustige versammeln sich dort wo es kracht.
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Die Genfer Innenstadt war am gestrigen Sonntagabend äusserst belebt. Neben dem schönen Wetter treib die Neugier die Menschen auf die Strasse: Sie folgten dem Blaulicht und versammelten sich dort, wo Scheiben in die Brüche gingen.

Wenn sich irgendwo zwei Dutzend Vermummte und Polizisten abwartend gegenüberstehen, sind innert kürzester Zeit Hunderte Schaulustige und Medienleute vor Ort. Die Schnellen ergattern sich die besten Plätze: Sie klettern auf Mauern und Abfallkübel. Auch Kinder und ältere Leute sind dabei, manche mit Fotoapparat ausgerüstet.

Es scheint, als ob dieses immense Interesse mitunter die Randalierer zu weiteren Taten animieren würde. Sie werfen Bierflaschen in Richtung Polizei. Das Publikum wartet gespannt, hin und wieder werden die Vermummten gar angefeuert. Dann fliegen Pflastersteine und die Polizei setzt Knallkörper ein.

Das laute Krachen erschreckt die Schaulustigen. Sie laufen weg, manche panikartig. Zuweilen stolpern sie übereinander, stürzen, verletzen sich. Aber nichts hält sie davon ab, das Spektakel weiter zu verfolgen.

Auf Interaktivität gepolt

Sensationslust und Voyeurismus sind altbekannte Phänomene. Das Ereignis - ein Unfall etwa - ist aber meist bereits vorüber und wird, anders als bei den Szenen in Genf und Lausanne, durch die Schaulustigen nicht beeinflusst. Im "Teilnahmecharakter" sieht die Soziologin Michaela Pfadenhauer ein jüngeres gesellschaftliches Phänomen.

Interaktivität komme gegenwärtig gut an. Durch Big Brother und Co. seien die Leute darauf gepolt. Ausserdem habe die Medienberichterstattung im Vorfeld die Erwartungen geschürt: Die Leute hätten sich auf Aussergewöhnliches eingestellt - und dann auch solches erleben wollen.

Der Soziologe Ueli Mäder spricht von einem Spiel mit Grenzen und mit dem Kitzel. Es handle sich um "Action" in geschütztem Rahmen. Solches könne auch als Kompensation eines wenig aufregenden Alltags verstanden werden. Mäder weist aber darauf hin, dass "Schauwilligkeit" nicht in jedem Fall negativ zu bewerten sei: "Manchmal ist hinschauen auch besser als wegschauen".

Harter Stand der Polzei

Die Polizei hingegen stellt das Phänomen vor Probleme: Jede Intervention gefährde nicht nur Täter, sondern auch Zuschauer. Die Anwesenheit von Hunderten Schaulustigen mache den Einsatz für die Polizei "sehr schwierig", sagt Jean-Christophe Sauterel, Sprecher der Waadtländer Polizei.

Die Randalierer nutzten unter diesen Umständen die Gelegenheit und mischten sich unter die Gaffer. Seiner Meinung nach legen die Schaulustigen ein "unverantwortliches Verhalten" an den Tag.

Manche der braven Bürger heizen indes nicht nur das Geschehen an und bringen sich selbst in Gefahr, sondern werden zu Trittbrettfahrern und Plünderern: Kaum sind die Scheiben eingeschlagen und die Vermummten geflohen, schnappen sie sich einen Krokodil-Pullover und verschwinden um die nächste Ecke.

(Charlotte Walser/sda)

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