Dieser seltsam ruhige Platz am Tor zum Berner Oberland hat etwas Magisches. Mit seinem See, der träumerisch anmutenden Gebirgskette Eiger - Mönch - Jungfrau und der deepen Energie, die da am Fusse des Niesens herrscht, ist Thun «ein wunderschönes kleines Paradies», wie eine deutsche Bekannte mal bei einem Besuch sagte. Einheimische sind sich sicher: «Wer mit 25 nicht weg ist, bleibt für immer». Diese Sesshaftigkeit und Anziehungskraft hat de Ort seit die ersten Siedler kamen - 2'500 vor Christus.
Zentrale des Römischen Reiches
Bevor die neue Zeitrechnung begann, besiedelten die alten Römer Thun. Dass die Imperialisten die «Stadt der Alpen» zu einem ihrer wichtigsten europäischen Administrationszentren machten, dürfte den wenigsten bekannt sein, aber klar machen, welchen strategischen Wert das heutige 90'000-Seelen-Städtchen europaweit hatte. In Thun-Allmendingen stand bis im vierten Jahrhundert noch ein Tempelbezirk mit neun Gebäuden. Als die Burgunder im Jahre 395 die Römer vertrieben, wurde Thun in einen südlichen christlichen und einen nördlichen alemannischen Teil dividiert - der Aare entlang.
Zähringer Donjon für wehende Blutkutten und Diebe
Bis der Zähringer Berthold der V. 1186 an die Macht kam und in einem blutrünstigen Gemetzel dem burgundischen Adel den Garaus machte. Als Machtdemonstration errichtete er auf 560 M.ü.M. das achtzehn Meter hohe Donjon auf dem heutigen Schlossberg Thun. Der Sage nach soll er blutgetränkte Burgunderkutten als Trophäe an die Fahnenmaste gehängt haben. Klar, dass das Monument vor allem Signalwirkung haben sollte, denn der einzige grössere Saal war in vierzehn Metern Höhe nur mühsam über zig Treppen erreichbar (der heutige «Rittersaal») und komplett unbewohnbar. Wie die ganze Festung - zumindest für nicht unbescholtene Bürger. Denn ab dem 17. Jahrhundert wurden am höchsten Thuner Stadtpunkt Gefängnisse, ja richtige Kerker, eingebaut. Wehe dem, der sich fehlverhalten hatte ...
Das «Neue Schloss» und der Sieg über Karl den Kühnen
Nach Bertholds Tod wurden die Zähringer Besitze unter den Grafen von Kyburg und Urach aufgeteilt. Das Schloss bekamen die Kyburger, welche das oberste Geschoss erweiterten und einen 32 Meter tiefen Brunnen in den Schlosshof bauten. Auf den Mauern der Vorgängerbauten wurde westlich des Donjons 1429 das sogenannte «Neue Schloss» errichtet. In diesen spätgothischen Gebäuden waren Amts- und Wohnräume der bernischen Schultheissen untergebracht (wo bis vor fünf Jahren das Regionalgericht Berner Oberland noch tagte). 1476, bei der berühmten Schlacht von Murten, unterstützten die Kyburger Bern (inzwischen Eigentümerin des Schlosses) im Kampf gegen das erneut einmarschierende Burgund. An der Seite der Berner schlugen die Thuner Karl den Kühnen in die Flucht und nahmen seinen Hofnarren gefangen.
Der Fulehung als Trophäe
Und den trieben sie dann durch die Gassen bis er zusammenbrach. Diese Legende ist der Anlass des jahrhundertealten Brauchs, die berühmte Szene jährlich in den Thuner Schlossgassen nachzustellen. Erst wurde der «Bajass» zur Belustigung aller spöttisch beschimpft und rumgescheucht, ab dem 20. Jahrhundert nannte man ihn «Fulehung» («fauler Hund»). Im Gedenken an die glorreiche Schlacht und der mittelalterlichen «After-Battle-Party» suchen und jagen anlässlich des Kadettenausschiessets (jeweils Ende September) Stadtkinder den topfiten Mann im Fulehung-Kostüm auf dem Schlossareal rum. Dabei hat er eine Teufelsmaske und einen «Söiplaatterestäcke» (Ast mit aufgeblasenen Saumdärmen bzw. Ballonen), um sich zu «wehren». Ihn frühmorgens um 4 h im Dunkeln zu finden, gilt als unheimlicher Kick für lokale Halbwüchsige. Alle schreien «Fulehung! Souhung!», rennen erst vor ihm weg, dann ihm nach, bis er schliesslich aus einem Fenster der Oberen Hauptgasse Süssigkeiten für die Kinder in die johlende Menge wirft.
Nicht weit von anderen Fenstern, woraus früher schon mal Burgunderköpfe runterrollten.
(Sascha Plecic/news.ch)