«Sex ist wie Klavier spielen!»

publiziert: Samstag, 6. Okt 2007 / 18:01 Uhr / aktualisiert: Montag, 8. Okt 2007 / 07:45 Uhr

Alle tun es, die meisten reden darüber, für viele ist es ein Tabu, aber kaum jemand beschäftigt sich wissenschaftlich damit: Sex. Christa Gubler ist eine Ausnahme. Als klinische Sexologin lüftet sie die Geheimnisse der Welt der Lust und Leidenschaft.

Was entfacht denn eigentlich die Leidenschaft zwischen zwei Menschen?
Was entfacht denn eigentlich die Leidenschaft zwischen zwei Menschen?
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Christa Gubler, Sigmund Freud sagte einst, dass sich sexuelle Leidenschaft und eine dauerhafte Beziehung ausschliessen. Stimmt das?

Christa Gubler: Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass die Spannung in der Beziehung verloren geht, wenn man sich gut kennt. Es kommt aber auf die Einstellung an! Man kann im Partner nämlich immer wieder Neues entdecken und ihn erregend finden, wenn man sich Mühe gibt und ihm Wertschätzung und Neugier entgegenbringt. Liebe und sexu­elles Begehren in der Beziehung wollen gepflegt werden! Viele Paare machen das aber nicht, und dann kommt’s zu Langeweile.

Also besteht das Problem darin, dass sich viele Paare zu wenig Mühe geben miteinander?

Christa Gubler: Nicht unbedingt zu wenig Mühe. Oft wird einfach angenommen, dass die Leidenschaft und das Begehren automatisch vorhanden sind. Dabei ist Sexualität nichts Selbstverständliches! Das sexuelle Verhalten ist bei den Menschen, im Gegensatz zu den meisten Säugetieren, nicht genetisch verankert. Der Mensch durchläuft Lernprozesse, die bereits vor der Geburt und im Kindesalter stattfinden. Dieses Wissen wird später in der Beziehung angewendet. Das sind Kompetenzen, die man halt nicht in der Schule oder durch Beziehungsratgeber lernt.

Diese Ratgeberbücher finden sich heute in jeder Buchhandlung und verkaufen sich sehr gut.Sie scheinen nicht viel von ihnen zu halten.

Christa Gubler: Sie haben alle ihre guten Seiten. Aber was ich dabei vermisse, ist der Input des Lernprozesses. Diese Bücher vermitteln hauptsächlich Techniken: «Machen Sie dies und jenes, zünden Sie Kerzen an und tragen Sie schöne Unterwäsche.» Und das soll dann Verführung sein. Dabei ist es wichtig, wirklich zu lernen, wie man verführt: Wie kommuniziert man sexuell erotisch? Zum Beispiel mit Blicken, mit einem Lachen, mit seiner Körpersprache.

Diese Lernprozesse beginnen bereits im Kindesalter. Ist es also auch Sache der Eltern, den Kindern den richtigen Umgang mit Sexualität beizubringen?

Christa Gubler: Die Eltern können viel dazu beitragen, indem sie Sexualität nicht tabuisieren, sondern als etwas Selbstverständliches behandeln. Das Kind sollte sich selber entdecken dürfen und die eigene Erregung als etwas Persönliches und Erfreuliches erleben.

Wieso ist denn Sexualität in unserer Gesellschaft so ein Tabu, obwohl wir überall mit Sex konfrontiert werden?

Christa Gubler: Ich denke, das hat verschiedene Gründe. Wir sind es zwar gewohnt, über Sex zu sprechen, aber wir reden über Sex und nicht über unseren Sex. Ich kenne niemanden, der in der Runde einfach so über seinen Orgasmus spricht oder erzählt, was ihn im Bett besonders anmacht. Sex wurde nicht enttabuisiert, sondern zum Thema gemacht.

Sie sind ein Gründungsmitglied des Zürcher Instituts für klinische Sexo­logie und Sexualtherapie(ZISS). Wer kommt zu Ihnen in die Therapie?

Christa Gubler: Personen im Alter von 18 bis 80 Jahren. Frauen, Männer, Paare, Einzelpersonen, Homosexuelle, Heterosexuelle und Transsexuelle.

Wie unterscheiden sich die sexuellen Probleme. Gibt es nicht große Unterschiede zwischen den einzelnen Patienten?

Christa Gubler: Die Probleme unterscheiden sich stark. Ältere Männer haben zum Beispiel häufig Erektionsprobleme, weil sie nicht mehr den gleichen «Hormonspiegel» wie junge Männer haben. Erotische Kompetenzen können dann den jugendlichen Überschwang ersetzen. Diese Männer können lernen, in der Beziehung zu erotisieren, zu verführen, das Begehren aufrecht zu erhalten. Junge Männer hingegen verfügen zwar über eine gute Erektion, haben aber manchmal zu schnell einen Samenerguss. Sie können jedoch lernen, wie sie ihre Erregung beeinflussen und verlängern können. Das sind relativ einfache Fälle. Sehr häufig muss nur die eigene Körperwahrnehmung verbessert werden.

Wie wird das gemacht?

Christa Gubler: Wir führen Gespräche und zeigen Übungen. Wir arbeiten viel mit Muskelspannung, Atmung und Bewegung. Allein an der Körpersprache, den Bewegungen und dem Verhalten lässt sich erkennen, über welche sexuellen Kompetenzen jemand verfügt! Es ist beispielsweise kaum vorstellbar, dass ein Mann mit einer schlaffen Körperhaltung ein wilder Liebhaber oder ein grossartiger Geniesser ist.

Wie lange dauert eine Therapie?

Christa Gubler: Oft braucht es nur wenige Sitzungen, und dann ist der Knopf gelöst. Häufig reicht es schon, wenn die Person lernt, sich anders zu bewegen und anders zu atmen. Dadurch wird die eigene Weiblichkeit oder Männlichkeit besser wahrgenommen. Es braucht natürlich den Willen, etwas zu verändern, und es braucht viel Übung. Sex kann man mit Klavier spielen vergleichen, da geht auch nichts ohne Üben! Jeder Mensch entscheidet für sich selbst: «Bin ich zufrieden mit ‹Alle meine Entchen› oder will ich eine Sonate von Beethoven spielen?»

Sind sich also viele Paare gar nicht bewusst, dass Sexualität ein Lernprozess ist?

Christa Gubler: Ja, viele Paare denken, wenn die grosse Leidenschaft weg ist, stimme etwas nicht mit der Beziehung. Aber das ist nicht so! Wenn das Interesse auf beiden Seiten vorhanden ist und sich beide wieder näher kommen wollen, kann man sehr wohl einiges verändern. Vielfach wird die Sexualität in der Partnerschaft nicht so ausgelebt, wie es eigentlich erwünscht wird. Stellen Sie sich ein Paar vor, das vor dem Sex ein bisschen Vorspiel macht, die Frau hat vielleicht einen Orgasmus, dann dringt der Mann in sie ein und macht vielleicht zehn Minuten so: (macht Handzeichen). Das ist für die Frau nicht besonders spannend! Sie hat in der Vagina keine Oberflächenrezeptoren, sondern Tiefenrezeptoren oder Druckrezeptoren. Das heisst, es braucht einen gewissen Druck in der Vagina. Viele Menschen wissen das nicht und machen das so genannte «Bumsen». Statt Bumsen sollte der Mann aber mit dem Penis die Vagina spüren, sich über die Lust und das Begehren freuen.

Es gibt ja viele Frauen, die über Un­lust klagen und denen der Sex, den sie haben, nicht gefällt.

Christa Gubler: Speziell für Frauen bieten wir im ZISS einen Orgasmuskurs an. Wir vermitteln Wissen durch Filme, Vorträge und in Gruppenarbeiten. Dazu kommen Übungen. Die Frauen sollen ihren eigenen Körper kennen lernen. Die Vagina ist kartographisch oft ein weisser Fleck! Sie darf im Kurs erkundet und entdeckt werden. Das im Kurs Gelernte kann dann in die Partnerschaft übertragen werden.

Was entfacht denn eigentlich die Leidenschaft zwischen zwei Menschen?

Christa Gubler: Ich beantworte diese Frage aus der Sicht des «Approche sexocorporelle». Jeder und jede entwickelt von Kindheit an gewisse emo­tionale und sexuelle Attraktionscodes. Diese sind mehr oder weniger zufällig geprägt. Ein Beispiel: Ein kleiner Bub lernt laufen und hält sich am Bein seiner Mutter fest. Die Mutter trägt Strümpfe. Weil der Bub sich festhält und deshalb am Bein reibt, hat er durch Reflex eine Erektion. Das ist nicht zu vergleichen mit den Lustgefühlen eines Erwachsenen, sondern einfach ein angenehmes Gefühl. Es kann aber sein, dass er später als Erwachsener Strümpfe mit Erregung assoziiert.

Sie therapieren auch Sexualstraftäter im Psychologisch Psychiatrischen Dienst der Justizdirektion (PPD). Wie sieht eine solche Therapie aus?

Christa Gubler: Das sind einerseits Gruppentherapien und andererseits Einzeltherapien. In den Gruppentherapien wird vor allem deliktpräventiv gearbeitet. Das heisst, man zeichnet auf, wie ein Deliktkreis abläuft, welche Wünsche, Fantasien und Vorgehensweisen zur Tat vorhanden sind. In den Einzeltherapien versuche ich, die Art und Weise der Sexualität und den Erregungsmodus des Straftäters zu verändern. Diese Männer sind oft wenig sexualisiert und haben wenig Erfahrung darin, was es heisst, die eigene Sexualität zu erleben. Pädophile beispielsweise machen sich abhängig vom Objekt «Kind» und sind nicht im Stand, sexuelle Erregung anders zu erleben. Diese Männer können durch Therapie ermächtigt werden, Sexualität mit sich und vielleicht auch mit Erwachsenen als etwas Schönes zu erleben.

Verspüren Sie Ekelgefühle gegenüber diesen Tätern?

Christa Gubler: Ich unterscheide zwischen dem Menschen und der Tat. Man kann einen Straftäter nicht therapieren, wenn man ihn von Anfang an als Menschen verurteilt. Ich versetze mich in diese Personen hinein, um ihre Strategien zu erkennen und Veränderungen zu bewirken. Viel schwieriger finde ich es, mit Opfern zu arbeiten. Das habe ich lange gemacht, aber es ging mir emotional sehr nahe und hat mich bis in die Träume verfolgt.

Verraten Sie zum Schluss noch einen speziellen Sextipp für die Studentinnen und Studenten?

Christa Gubler: Studieren hat ja extrem viel mit Leistung zu tun. Oft kommt es vor, dass dieser Leistungsdruck in die Sexualität übertragen wird. Für Studierende ist es deshalb wichtig, dass sie vom Leistungsdenken wegkommen und Sex genussvoll erleben! Es kommt nicht darauf an, wie oft oder wie schnell man Sex hat. Wichtig ist, die eigene Lust und das Begehren zu geniessen.

Christa Gubler, 50, arbeitet als Psychotherapeutin und Klinische Sexologin im Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie ZISS. Das ZISS wendet die klinische Sexologie des Professors Jean-Yves Desjardins an. Desjardins entwickelte den «Approche sexocorporelle» am Département de séxologie de l’Université du Québec in Montréal, der weltweit einzigen sexologischen Fakultät, die er 1968 gegründet hat. Das ZISS bietet Lehrgänge in der Schweiz an. Weitere Informationen unter www.ziss.ch im Internet.

(von Anouk N‘Guyen/studisurf.ch)

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