Über 60 Medienleute hatten sich im Paraplegiker-Zentrum Nottwil
versammelt, als der Skirennfahrer von seinem Freund und Manager
Giusep Fry im Rollstuhl in die Aula geschoben wurde. Und dann
erlebten die Journalisten, Reporter und Fotographen das Gleiche,
was zuvor schon seine Familienangehörigen und Freunde beeindruckt
hatte: Silvano Beltrametti sprach mit einer Souveränität und
Abgeklärtheit über seinen Unfall und die Folgen, als ob es sich um
die selbstverständlichste Sache der Welt handeln würde. «Das hätte
ich so kurze Zeit nach dem Unfall noch nicht gekonnt», staunte
selbst der mehrfache Behindertensportler des Jahres Heinz Frei.
Drei Wochen mit Hochs und Tiefs
Nachdem Chefarzt Dr. Dieter Michel und der Rückenchirurg Dr.
Patrick Moulin, die Beltrametti während 5 1/2 Stunden operiert
hatten, die medizinischen und therapeutischen Aspekte nochmals
erläutert hatten, übernahm Beltrametti das Wort. «Wenn ich euch
alle sehe, weckt es Erinnerungen in mir», sagte Beltrametti, der am
Vorabend die Intensivstation hatte verlassen können. «24 Stunden im
Tag habe ich für den Skisport gelebt. Diese Zeit ist jetzt vorbei.
Innerhalb einer Sekunde haben sich alle Träume, Ziele und Visionen
in nichts aufgelöst. Drei Wochen mit Hochs und Tiefs liegen hinter
mir. Ich bin daran, alles zu verarbeiten. Wichtig ist, dass ich mir
neue Ziele setze.»
Er sei ein Kämpfer gewesen, sagte Beltrametti, und er werde
weiterhin kämpfen und mit Hilfe seiner Familie und seinen Freunden
das neue Leben meistern: «Ich habe das beste Umfeld, das ich mir
wünschen kann.» Er dankte seinen Angehörigen, Swiss-Ski-Arzt Dr.
Thierry Maitre und Cheftrainer Dieter Bartsch, die in Val d'Isère
erste Hilfe geleistet hatten, den Ärzten und Betreuern im
Paraplegiker-Zentrum, aber auch den Tausenden von Leuten, die ihm
mit Briefen, E-Mails und Geschenken ihre Anteilnahme gezeigt
hatten. «Das hat mir Mut gegeben», meinte er, «viele Sachen haben
mich aber auch traurig gestimmt.»
Die Frage nach dem Warum
Die Frage nach dem Warum habe er sich selbstverständlich auch
gestellt. Den Kantenfehler mit dem linken Ski kann er im Detail
erklären. In 500 Abfahrten passiere ihm ein solcher Fehler einmal.
«Das ist Schicksal», sagt Beltrametti, «der liebe Gott hat es so
gewollt, dass ich diese Aufgabe kriege. Ich akzeptiere sie.» Über
allfällige Mängel in den Sicherheitsvorkehrungen wollte er sich
nicht äussern: «Darüber mache ich mir bewusst keine Gedanken.»
Vorläufig hält Beltrametti bewusst etwas Distanz zum
Abfahrtsrennsport: «Mit dem Herzen bin ich noch bei der Mannschaft.
Aber die Rennen sehe ich mir nicht an. Das würde noch zu grossen
Schmerz verursachen -- das will ich mir nicht antun.» Slaloms und
Riesenslaloms hat er sich mitunter schon angeschaut.
Wie seine neue (berufliche und sportliche) Zukunft aussieht,
konnte der gelernte Zimmermann Silvano Beltrametti nach so kurzer
Zeit verständlicherweise noch nicht sagen: «Ich möchte einfach ein
selbstständiges und schönes Leben führen.» Im Behindertensport
sieht er sich weniger: «Ich glaube kaum, dass ich da eine Rolle
spielen werde. Das sage ich jetzt, später werde ich vielleicht
anders reden.»
«Kleine Siege» mehr wert als Podiumsplätze
Beltrametti will auch kein Vorzeige-Behinderter sein: «Ich habe
nicht das Gefühl, dass ich etwas m ü s s t e. Ich will stark für
mich sein, nicht für die andern.» Er sei dankbar, dass die Folgen
des Unfalls nicht schlimmer seien: «Das Gedächtnis funktioniert,
Kopf und Herz sind unverändert geblieben. Ich kann reden, sehen,
hören.»
Es gebe schon Momente, in denen ihn Trauer erfasse, «aber ich
freue mich an kleinen Siegen. Die bedeuten mir mehr als alle
Podiumsplätze bisher.» Er erlebe und geniesse die kleinen Dinge,
die ihm vorher völlig banal erschienen seien.
Die nächsten vier bis sechs Monate im Paraplegiker-Zentrum
bezeichnete er als «hartes Trainingslager, das härteste, dass ich
je hatte.» Er werde immer der gleiche Silvano bleiben, nur werde er
nie mehr so schnell über die Abfahrtspisten fahren -- und gehen
können. «Wir packens schon.» Mit Betonung auf «wir». Mit diesen
Worten beschloss er die Pressekonferenz.
(sk/sda)