Sozialsystem oder Bedingungslosigkeit

publiziert: Mittwoch, 20. Apr 2016 / 08:53 Uhr
Initianten bedingungsloses Grundeinkommen: Initiative als Bedrohung für Bullshit-Jobs?
Initianten bedingungsloses Grundeinkommen: Initiative als Bedrohung für Bullshit-Jobs?

Am 5. Juni stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Die Argumente der Regierung und einiger Sozialdemokraten sind so einfach wie altbacken: Das Sozialsystem garantiere ein menschenwürdiges Dasein während die Initiative Utopie bleiben müsse. Die Diskussion zeigt: Unbedingt am 5. Juni ein «Ja» zum BGE.

10 Meldungen im Zusammenhang
Innenminister Alain Berset behauptet dagegen, dass das bedingungslose Grundeinkommen den sozialen Zusammenhalt gefährden würde. Sein Argument belegt sein neoliberales und eher hobbsches Menschenbild. Nach Berset ist der eine Mensch dem anderen faul - eine Angst, die völlig unbegründet ist. Menschen, die nicht arbeiten, sind nämlich nie faul, während arbeitende Menschen in Jobs wie Projektmanager, Börsenanalyst, Berater, Systemcoach etc. sehr oft nichts in Wirklichkeit tun. Berset geht in seiner absurden Argumentation noch weiter: Er findet ein bedingungsloses Grundeinkommen ungerecht, da Menschen entweder arbeiten oder vom Staat Hilfe kriegen. Wie bitte? Das nennt Berset gerecht? Diesen patriarchalen Staat, der gnädig entscheiden kann, ob jemand «bedürftig» ist? Diesen Staat, indem die Mehrheit der bedürftigen Minderheit ständig Konditionen, Wohlverhalten etc. vorschreibt und dabei die reiche Minderheit noch reicher macht? Hmm, interessante Aussagen für einen Sozialdemokraten.

Die Bedingungslosigkeit ist es wohl, die die Habenden fürchten. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen geht bedingungslose Freiheit einher. Menschen sind nicht mehr via Geld, via Formulare, via «sich bei der betreffenden Behördenmitarbeiterin gut zu stellen», angewiesen.

Menschen sollten schon längst ein selbständiges Recht auf bedingungslose Würde und Anerkennung haben. Nur so ist Gerechtigkeit garantiert. Der Zwang von Einkommen und Leben muss gebrochen werden. Menschen haben ein bedingungsloses Recht auf Menschsein. Das bedingungslose Grundeinkommen garantiert Freiheit vom Staat bei gleichzeitiger Freiheit zum Staat. Es macht unabhängig von Autoritäten, vom Nachbar, von den Eltern, von der Universitäten, von Banken, von der Notwendigkeit, Karriere um jeden Preis zu machen, um überhaupt existieren zu können.

Finanziert könnte das BGE locker via Transaktionssteuer und/oder globale Erbschaftssteuer - die 25 Milliarden, die nach Berset noch fehlen, werden wohl noch aufzutreiben sein. Und nicht vergessen: Viele Menschen leben von einem Grundeinkommen, meist durch den Staat subventioniert. Der Unterschied ist eben nur die Bedingungslosigkeit.

Es gibt nur schlechte Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die sympathischen, engagierten und durch und durch anständigen Kampagnenmenschen fürs BGE machen es vor: Sie haben die besseren Argumente, sie sind lebendige, kreative Menschen und ja: Sie haben Zukunft. Ihre Gegner sind der perfekte Spiegel all dessen, was falsch läuft in unserer Zeit. Sie halten an Modellen fest, die unfrei, vormundschaftlich, patriarchalisch, züchtigend und machterhaltend sind.

Das bedingungslose Grundeinkommen zielt auf Resonanz in den Weltbeziehungen (siehe Hartmut Rosa) und nicht - so wie heute - auf stumme Gewalt oder verkorkste Strukturen. Das BGE sieht viele, unkonventionelle Menschenbilder. Den «homo ludens» beispielsweise, den spielenden Menschen, der nur dann wirklich Mensch ist. Eine spielende Person, der es egal ist, ob sie vom Professor gelobt und gefördert wird oder nicht, Hauptsache, sie darf denken, lesen, wissenschaftlich arbeiten und sich unter Gleichen austauschen und muss nicht ständig Hierarchien bedienen. Das bedingungslose Grundeinkommen setzt auf souverände, selbständige Menschen, die, einmal die verdammte Notwendigkeit gedeckt, sich zu ernähren, ein Dach über dem Kopf zu haben, Zugang zu Gesundheit, Bildung und Kultur garantiert zu wissen, endlich in Freiheit leben können.

Das bedingungslos garantierte Grundeinkommen macht endlich auch Schluss mit all den Bullshit-Jobs (David Graeber), die so absurd sind, dass sie nur mehr Bürokratie, Regeln und Formulare bescheren und wirklich keinen Menschen, der sich noch Mensch nennt, glücklich machen. Was mich zu Alain Berset bringt. Wissen Sie, weshalb soviele Karrieremenschen das bedingungslose Grundeinkommen derart heftig bekämpfen? Weil mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ihre Karrieren vielleicht endlich als das erkannt würden, was sie vielleicht sind: Bullshit.

PS: Hannah Arendt hat dies selbstverständlich eleganter formuliert und zwar auf S. 157 in ihrer Vita activa. Ich fasse zusammen: Solange es nur öffentlich zur Schau gestelltes Privates gibt, eben das Animal laborans, der arbeitende Mensch, dann müssen die Menschen dessen Massstäben gehorchen. So wird auch Kultur zum Zwecke der Unterhaltung und des Zeitvertreibs der leeren Zeit benutzt, statt öffentliches Gut der gemeinsamen Gestaltung zu sein. Das Unglück der Welt lässt sich u.a. auch daran messen, dass wir in einer Gesellschaft von Konsumenten leben, die nicht mehr genug Arbeit hat, um den Massen das zu geben, was sie mit Glück verbinden. Eben. Dann kommt auch noch die Natur hinzu, die nicht einfach aus Gütern, sondern aus Leben besteht und Dingen, die gebraucht werden und nicht aus Dingen, die hergestellt werden, um Menschen glücklich zu machen. Denn glücklich werden Menschen mit anderen Menschen, nicht mit Dingen.

(Regula Stämpfli/news.ch)

xxxFORUMHINWEISxxx
Lesen Sie hier mehr zum Thema
Genf - Die Initiantinnen und Initianten eines bedingungslosen Grundeinkommens haben am Samstag in Genf mit einem 8000 Quadratmeter grossen Plakat für ihr Anliegen geworben, über das am 5. Juni abgestimmt wird. Die Aktion war zugleich ein Weltrekordversuch. mehr lesen 
Etschmayer Im Juni kommt das kommunistisch-anarchische Projekt des bedingungslosen ... mehr lesen
Für Schwarzarbeit Beraterrechnung von den Cayman-Islands: Die BBF macht es möglich!
Am 5. Juni wird über die Initiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» abgestimmt.
Bern - Der ehemalige Vizepräsident der Schweizer Nationalbank (SNB) Jean-Pierre Danthine stellt sich gegen die Initiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen». Er ... mehr lesen
Bern - Der Bundesrat lehnt die Initiative «Für ein bedingungsloses ... mehr lesen
Für die Schweizer Wirtschaft und das Sozialsystem befürchtet der Bundesrat einschneidende Konsequenzen.
Mit einem Flyer der aussieht wie eine Zehnernote werben die Initianten für ein bedingungsloses Einkommen.
Bern - Mit einer echten Zehnernote als Flyer werben die Urheber der Initiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» für ihre Idee. Zum Start der Abstimmungskampagne betonten die ... mehr lesen
Weitere Artikel im Zusammenhang
Bern - Ein bedingungsloses Grundeinkommen, über das am 5. Juni abgestimmt ... mehr lesen
Ex-Bundesratssprecher Oswald Sigg propagiert für eine «automatische Mikrosteuer auf dem Gesamtzahlungsverkehr». (Archivbild)
Der Roboter ist der erste nicht menschliche Teilnehmer am WEF.
Davos GR - Ein tanzender Roboter ... mehr lesen
Etschmayer In der Schweiz sind die ersten selbst ... mehr lesen
Autonom fahrender Lastwagen: Im Fadenkreuz der Automatisierung.
Das vorliegende Volksbegehren sei aber handwerklich schlecht gemacht und würde bei einer Annahme zu Sozialabbau führen. (Archivbild)
Zürich - Die Delegierten der Jungsozialistinnen und -sozialisten Schweiz (JUSO) haben am Samstag die Neinparole zur Initiative «für ein bedingungsloses Grundeinkommen» gefasst. Der ... mehr lesen
.
Digitaler Strukturwandel  Nach über 16 Jahren hat sich news.ch entschlossen, den Titel in seiner jetzigen Form einzustellen. Damit endet eine Ära medialer Pionierarbeit. mehr lesen 
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: ...
«Männer stimmten für Hofer, Frauen für Van der Bellen» titelte die FAZ nach dem Wahlkrimi in Österreich. «Warum wählen junge Männer so gern rechts?» fragte jetzt.de einen Soziologen. «Duh» war meine erste Reaktion, hier ein paar weitere. mehr lesen 
Gewinnorientierte Unternehmen wie der ORS machen aus der Flüchtlingshilfe ein Geschäft. Das Rote Kreuz und die Caritas, die gemeinnützig sind und seit Jahren über grosse Erfahrung ... mehr lesen  
Flüchtlinge (hier in Mazedonien): Mit Gewinnziel zu verwaltende Konkursmasse oder doch Menschen?
Armeechef Blattmann: bedenklicher Umgang mit demokratischen Grundrechten.
Korpskommandant André Blattmann wird von den Mainstreammedien der «Beleidigung» bezichtigt. Er nannte den Rundschau-Chef Sandro Brotz, «Sandro Kotz.» Wer meint, dies sei nur ein Sturm im Wasserglas, irrt. Blattmann ... mehr lesen  
«Bist Du nicht willig, stimmen wir ab.» So lautet die Devise der unschweizerischen bürgerlichen Mehrheit seit den Wahlen im Herbst 2015. «Wie schamlos hätten Sie es denn gerne?» titelte klug (aber leider zu spät) der ... mehr lesen
Der Nationalrat - seit 2016 absolut schamlos.
Typisch Schweiz Der Bernina Express Natürlich gibt es schnellere Bahnverbindungen in den Süden, aber wohl ...
Die Brautkleidsuche in der Schweiz ist ein besonderes Erlebnis, das mit viel Freude und Aufregung verbunden ist.
Shopping Brautmoden Boutiquen in der Schweiz: Ein Streifzug durch die Welt der Träume Die Suche nach dem perfekten Brautkleid ist für viele angehende Bräute ein unvergessliches Erlebnis, erfüllt von Vorfreude ...
Erstaunliche Pfingstrose.
Jürg Zentner gegen den Rest der Welt.
Jürg Zentner
Frauenrechtlerin Ada Wright in London, 1910: Alles könnte anders sein, aber nichts ändert sich.
Regula Stämpfli seziert jeden Mittwoch das politische und gesell- schaftliche Geschehen.
Regula Stämpfli
«Hier hätte ich noch eine Resistenz - gern geschehen!» Schematische Darstellung, wie ein Bakerium einen Plasmidring weiter gibt.
Patrik Etschmayers exklusive Kolumne mit bissiger Note.
Patrik Etschmayers
Obama in Hanoi mit der Präsidentin der Nationalversammlung, Nguyen Thi Kim Ngan auf einer Besichtigungstour: Willkommenes Gegengewicht zu China.
Peter Achten zu aktuellen Geschehnissen in China und Ostasien.
Peter Achten
Recep Tayyp Erdogan: Liefert Anstoss, Strafgesetzbücher zu entschlacken.
Skeptischer Blick auf organisierte und nicht organisierte Mythen.
Freidenker
 
Stellenmarkt.ch
Kreditrechner
Wunschkredit in CHF
wetter.ch
Heute Di Mi
Zürich 10°C 21°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt
Basel 12°C 20°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wolkig, aber kaum Regen
St. Gallen 9°C 19°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt
Bern 9°C 20°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wechselnd bewölkt
Luzern 9°C 20°C wechselnd bewölktleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen freundlich
Genf 13°C 20°C wechselnd bewölkt, Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig wechselnd bewölkt, Regen wolkig, aber kaum Regen
Lugano 9°C 15°C wolkig, aber kaum Regenleicht bewölkt, ueberwiegend sonnig anhaltender Regen wechselnd bewölkt, Regen
mehr Wetter von über 8 Millionen Orten