Eine Kolumnenserie zum neuen Knuts Koffer-Album
Teil 6: Charly
publiziert: Freitag, 27. Nov 2015 / 14:38 Uhr

So. Jetzt mal tief Luft holen und entspannen. Jetzt kommen wir nämlich zum Charly. Und wenn es um einen Charly geht, gibt es für mich keine Politische Korrektheit.

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Als ich vor gut zweieinhalb Jahren in Kabale, Westuganda ankam, einem kleinen Städtchen nahe der ruandischen Grenze, da dachte ich in den ersten Wochen, ich sei der einzige Weisse in der Stadt. Das war zuerst überhaupt kein Problem für mich. Ich wurde nämlich von allen Ugandern, denen ich begegnete und die mir vorgestellt wurden, ausgesprochen herzlich willkommen geheissen. Ich teilte mir mein Zimmer mit Koch Eric, ging mit Küchenjunge Ambrose auf dem Markt einkaufen, auf dem Weg dorthin wollte er immer meine Hand halten, und für meinen Boss Robert war ich Chauffeur, Rezeptionist, Rechtsberater und Maskottchen.

Robert liebte es, «seinen» Weissen zu haben, der ihn durch die Stadt chauffierte, und ich trieb meine Rolle auf die Spitze, indem ich Robert bat, im Auto zu bleiben, wenn wir hielten, dann ausstieg, ums Auto herum ging und Robert in bester Chauffeur-Manier die Türe öffnete. Wir waren jeweils ein Hingucker, wenn wir uns in der Stadt bewegten. Im Hostel, wo ich für Robert arbeitete, servierte ich immer mal wieder in Restaurant und Bar. Sie können sich kaum vorstellen, wie ungläubig, begeistert, fast unangenehm berührt die Gäste reagierten, wenn ein Weisser sie bediente. Denn dass sie das einmal erleben würden, hätten sie sich doch nie träumen können.

Ich hatte bereits nach wenigen Tagen meinen Freundeskreis. Schweizer Freunde von mir, Marie und Silvan, waren früher schon in Kabale gewesen und hatten mich mit Robert in Kontakt gebracht. Täglich kamen nun Leute ins Hostel, stellten sich mir vor und hiessen mich willkommen. Mit Junior schaute ich im Ritz Fussball, und die Rasta-Boys Martin, Goldie und Kenneth nahmen mich mit ins Edirisa oder in die Clubs «Match and Mix» oder den «Pine Health Club». Ja, der hiess tatsächlich Pinien-Gesundheits-Club.

Und wenn ich vorher geschrieben habe, ich hätte anfangs kein Problem damit gehabt, der einzige Weisse zu sein, so will ich gerne erklären, weshalb sich das änderte. Bereits auf der Fahrt von Kampala, der Hauptstadt, nach Kabale, hatte ich Robert gefragt, ob es in Uganda einen pejorativen Begriff für Weisse gebe. Robert sagte: «Nein, wieso? Gibt es bei euch einen negativen Begriff für Schwarze?» Da wurde mir ein bisschen mulmig zumute.

Mit der Zeit, beispielsweise als ich als einziger Weisser unter gegen tausend Schwarzen im Pine Health Club von Tänzerinnen auf die Bühne geholt wurde, um mit ihnen unter den Blicken der versammelten Menge zu tanzen, fing ich an, mir Gedanken zu machen, wie es sich anfühlt, wenn man sich aufgrund seiner Hautfarbe von der Mehrheit unterscheidet. Ich war Gast auf Zeit, meine Situation nicht vergleichbar mit der eines Schwarzen, der bei uns lebt. Aber ich bekam ein Gefühl dafür, wie man sich fühlen kann, wenn man angeschaut wird. Selbst wenn es, wie in Uganda, freundlich-neugierige Blicke sind.

Und dann wurde ich so richtig wütend. Ich entwickelte einen heiligen Zorn auf Rassisten und ihre ignoranten Sprüche. Die ersten Wochen in Kabale, das Zusammenleben mit diesen vielen feinen Ugandern, die durchaus anders waren als wir Schweizer, anders aber wunderbar, das waren die intensivsten, interessantesten und lehrreichsten Erfahrungen meines Lebens. Und irgendwie fühlte ich mich ihnen gegenüber schuldig für die Ignoranz mancher Idioten aus der westlichen Welt, die dieses Fremde despektieren, ohne es im Geringsten zu kennen. Auch für meine eigene Ignoranz. Denn ich merkte, dass ich keine Ahnung von Afrika gehabt hatte. Ich habe im übrigen noch immer keine Ahnung. Aber ein bisschen weniger keine Ahnung.

Das erste Lied, das ich in Uganda geschrieben habe, war Charly. Es porträtiert einen Stammtischrassisten, der besoffen über die Unterlegenheit der Schwarzen schwadroniert. Dabei entwickelt er sich von Strophe zu Strophe vom Primitivling zum degenerierten Schwein, reduziert auf schmutzige Urtriebe.

Der Text ist radikal. Einen Charly will ich aber nur ungeschönt zeigen, so, wie er tatsächlich spricht. Und ein Charly sagt nicht: «das N-Wort». Ein Charly sagt Neger. Auch in unserem Lied. Sonst bringt er nichts. Nur so konnte ich meiner unendlichen Wut auf die Dummheit, die hinter rassistischer Ideologie steckt, ehrlich Ausdruck verleihen. In diesem Sinne: Scheiss uf de Charly!

* Der Autor und Musiker Frédéric Zwicker hat mit seiner Band Knuts Koffer ein verrücktes viertes Album aufgenommen. Bevor die Doppel-Vinyl mit dem Titel «ii» am 20. November erscheint, erzählt er hier etwas über die neuen Lieder. Und: Filmemacher Lars Badertscher hat die Titel in Kurzfilmen umgesetzt.

(Frédéric Zwicker*/news.ch)

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